Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 29. Sept. 1819: „Die Onkelei“ von Müllner und „Wallensteins Lager“ von Schiller (Teil 1 von 2)

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Mittewoche, den 29. Sept. Zuerst die Onkelei, von A. Müllner. Warum giebt uns der dem Soccus wie dem Kothurn gleich zugewandte Dichter nicht mehr solche Umgestaltungen französischer Scherzspiele, wie diese vortreffliche Bearbeitung einer kleinen Oper une heure de mariage?* Das kleine Stück erhielt beim heutigen Spiel sein volles Recht. Die komischen Verpuffungen von Eifersüchtelei, die nach und nach aus allen vier Heirathslustigen hervorsprühen, wurden höchst ergötzlich und zum Theil muthwillig dargestellt. Ganz vorzüglich gelang die 19te Scene zwischen Henrietten (Mad. Schirmer) und Hold (Hr. Julius). Die Künstlerin durchlief in wenig Minuten die ganze Stufenleiter einer gereizten Empfindlichkeit bis zur schmelzenden Hingebung, aber immer mit der Leichtigkeit eines komischen häuslichen Zwistes, wodurch verhütet wird, daß ein Scherzspiel nicht zur Vexirmaske werde, die halb lacht, halb weint, nicht der bunte Tagschmetterling sich an den düstern, schwerbeleibten Nachtvogel hefte. Hrn. Julius rasches Zuspiel und das komische Lauf-Feuer beim schnellsten Wortwechsel war im Einklang. Dergleichen Stücke haben noch den besondern Vortheil, den feinen Conversationston durch das Gebundene des Metrums frei zu regeln – denn da muß gut gelernt seyn – und durch ächten Scherz zu beflügeln. Sie sind der Prüfstein eines tüchtigen Schauspieler-Vereins.

Hierauf folgte: Wallensteins Lager, Vorspiel von Schiller. So wie wir früher schon in diesen Anzeigen der Direction den Dank des Publikums dafür, daß wir die Piccolomini’s und Wallensteins Tod in zwei Vorstellungen nach einander unverkürzt erhielten, gern darbrachten; so dürfen wir jetzt unsre Freude nicht unterdrücken, daß sie uns zur Vollendung des großen und in unsern Theater-Annalen einzigen Cyclus von Wallenstein, nun auch Wallensteins Lager nicht länger vermissen ließ. Es hat nie ein geist- und beziehungreicheres Vorspiel gegeben, so viel auch seitdem, auch von Meistern, wie unser Fr. Kind ist, mit Glück versucht worden sind. Alles lebt und bewegt sich darin in rein plastischen Formen. Mag es seyn, was so oft angeführt worden ist, daß Schiller die Empfindungen seiner Personen nur aus Büchern schöpfte und sie dann durch sein Nachdenken künstlerisch bildete, da hingegen Göthe alles aus dem wirklichen Leben hervorruft und in reine Objectivität gestaltet: nur einem so hartnäckigen historischen Vorstudium, als Schiller fast zwei Jahre lang über die Geschichte des dreißigjährigen Krieges machte, konnte solche Wahrheit der allbewegten, allverderblichen Zeit, als sie in diesem Lager vor uns steht, so gelingen, und nur einer so genährten und Ganzes aus Einzelnheiten meisterhaft hervorrufenden Fantasie konnte das Drama entspringen, von welchem der Dichte selbst sagt:

sein Lager nur erkläret sein Verbrechen.

Selbst die Wahl des Verses, durch welchen die Muse „ihr altes deutsches Recht, des Reimes Spiel, bescheiden wiederfodert“, greift, wie schon oft bemerkt wurde, herrlich in’s Ganze ein, und wenn nirgends Mißbrauch den Gebrauch aufhebt, so sollten manche seitdem mißlungene Versuche diesen Vers im niedern Scherzspiel auf der Bühne anzuwenden, geniale Dichter nicht abhalten, ihn immer auf’s neue anzuwenden. In gutem Andenken ist, was Fr. Tiek darüber gesagt und darin selbst versucht hat. ¦

Es ist bekannt, daß Schiller dieß Stück schon mehrere Monate früher auf die, dadurch auf’s neue eingeweihete, Waimarische Bühne brachte, ehe die zwei Hauptdramen aufgeführt wurden. Der alles wohlberechnende Dichter ließ dem Vorspiel jenen herrlichen Prolog vorausgehn, auf welchen er mit Recht einen großen Werth legte, der ja nirgends fehlen soll, wo wirklich der ganze Cyclus, über den Süvern’s bekannte Schrift noch immer nachgelesen zu werden verdient, zur Aufführung kommt. Und da dieß zur Ehre der Dresdner Bühne hier der Fall ist; so dürfen wir vielleicht hoffen, daß bei einer gewiß bald zu wiederholenden Vorstellung das Lager nicht ohne den deutungvollen Prolog werde aufgeführt werden. Welche Vortheile gewährt nicht überhaupt der Prolog? Unsere Bühnen verstehen ihren Vortheil sehr wenig, wenn sie ihn bloß auf außerordentliche Festlichkeiten versparen. Eine Bühne, wie unsre Dresdner, hätte einen wahren Ueberfluß von dichterischen und dramatischen Mitteln dazu, diesen vermittelnden Prinzip (Medium) zwischen Activum (den Schauspielern) und Passivum (den Zuschauern.)

Die Aufführung von Wallensteins Lager auf unserm Hoftheater selbst gewährte für die scenische Ausschmückung einen weitern Spielraum, als auf dem Vorstadttheater. Die verständige Anordnung der Regie wurde dabei dankbar anerkannt. Die Gruppen und Stellungen waren malerisch geordnet, und durch die im erhöheten Hintergrunde ausgestellten Krieger zweckmäßig gerundet. Wie Schiller selbst die Sache anordnete, ist uns in einem großen Aquatinta-Blatt, das in Weimar nach einer Zeichnung von Krause gestochen worden ist, aufbewahrt worden. *) Die hier beliebte Zusammenstellung giebt jenen im Ganzen nichts nach. Vielleicht läßt sich bei einer neuen Aufführung auch die Trommel im Vorgrunde anbringen, auf welcher zwei Soldatenbuben würfeln, welche dann vom plötzlich erscheinenden Lager-Schulmeister (der übrigens heute auch nicht vermißt wurde) mit ergötzlichen Streichen in die Schule getrieben werden. Eine so vielfach gegliederte, mit der nur langsam sich fügenden Statisten-Masse hart belastete Vorstellung, kann nur durch öftere Wiederholung in allen Theilen vollendet dastehn. So wird ja wohl einmal in der Folge auch das tumultuarische eines so bunt zusammengesetzten, vielfach ausgährenden und ausbrausenden Lagers, welches durch eine nie ganz aufhörende Feld- und Tanz-Musik in der Ferne und durch oft dazwischen tosendes Aufjauchzen der wilden Massen im Hintergrunde wohl zwanzigmal, während das Stück vorn abspielt, nach Schillers Geheiß und Berechnung unterbrochen und angedeutet wurde, noch lebendiger gegeben werden können.

(Der Beschluß folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Es ist das erste in der Reihe von 6 Blättern im größten Format, welche der geschickte Weimarische Kupferstecher Carl Müller als eine Schillersche Gallerie im eigenem Verlage herausgegeben hat*. Thekla vor dem astrologischen Thurm ist das zweite. Diese Blätter sollten in keiner Theater-Bibliothek vermißt werden. Zwei andere Scenen aus Wallensteins Lager, wie es in Weimar durch Schiller geordnet wurde, gleichfalls nach Krausens Vorzeichnung, der Rekrut, und der muß bammlen befinden sich in Cotta’s Taschenbuch für Damen vom Jahr 1808.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Onkelei“ von Müllner und „Wallensteins Lager“ von Schiller (Teil 1 von 2)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 239 (6. Oktober 1819), Bl. 2v

    Einzelstellenerläuterung

    • „… une heure de mariage ?“Une heure de mariage, Comédie en un acte, mêlée de chants par M. Etienne, Musique de Dalayrac.
    • „… im eigenem Verlage herausgegeben hat“Die Darstellung von Wallensteins Lager schuf der Kupferstecher Johann Christian Ernst Müller (1766–1824) 1809 für die Gallerie von Schiller nach einem Gemälde von Georg Melchior Kraus (1737–1806).

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