Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer am 17. Juli 1819 (Teil 3 von 3)

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Sappho.

(Beschluß.)

Augenfälliger, noch erschütternder aber ist das Spiel, als ihr Phaon in argloser Unbefangenheit den Traum erzählt. Wie da die Hände vorwärts zucken, wie sie den Kopf, als wolle sie jedes Wort, jede Miene des Sprechenden zweimal verschlingen, vorstreckt, das Hervortreten der Kinn-Muskeln, die geöffneten Lippen, das Hervorquellen des Auges mit steigender Spannung bis zu dem furchtbaren Schrei: Melitta! Wer möchte dieß nicht immer festhalten, in Erz gegraben oder auf Stein gemalt (lächerliches Beginnen!) aufbewahren wollen! Zwei herrliche Momente sind auch das in Glut getauchte Beschleichen des schlummernden Geliebten, wobei uns zwei berühmte Bas-Reliefs des Alterthums recht lebendig vorgezaubert wurden, nur daß es hier der führenden Amorinen nicht bedurfte, da das Spiel der Künstlerin den Liebesgott ergänzte *), und das höchstausdruckvolle, malerische Fortziehn des Rhamnes, als sie ihm ihre Pläne einhaucht. – Sehr wahr sprach und spielte sie die von uns selbst bei einer frühern Entwicklung ganz mißverstandene Stelle, wo sie, bevor die gerufene Melitta eintritt, ihren Namen mit den ohrbezaubernden, liebevollen Melitta gleichsam auf die Wagschaale legt. Sie spricht ihren eigenen, jenem gegenüber, mit Würde, die an Stolz streift, fest und mit Zuversicht aus. Stolz streift oft an Hohn und sie gab uns auch diesen in den Eiferungs-Ausbrüchen gegen Melitta mit der lebendigsten Wahrheit. Doch auch hier möchten wir der Künstlerin zurufen: mit Mäßigung! Sie herrscht besonders in diesem Ausdruck. Einige ihrer Hauptrollen fodern ihn. Doch könnte er gerade hier mehr verwunden, als er sollte. – Uebrigens bedarf sie in ihrer Machtvollkommenheit eben so wenig kleinlicher, vorbereitender Motiven (wie z. B., wo ihr der Einfall, die Sclavin nach Chios zu senden, als ein Götterbote erscheint und sie das, was ein Blitzstrahl seyn muß, durch keine Pause vorbereitet), als ängstliche Behutsamkeit, um nicht aus dem Ebenmaß des Schicklichen zu fallen. So könnte vielleicht die Art, wie sie den Lorbeerkranz – von Tausenden gesucht und nicht errungen – rechts und links umkehrt, oder den Rosenkranz der Melitta manipuli[r]t, leicht an’s Gemeine streifen. Allein sie weiß, daß sie es wagen darf. Und nun macht’s volle Wirkung. Viel wäre endlich über die Eurhythmie und daß klassische Studium in jeder Stellung zu sagen. Wie schön und kraftvoll hält sie die flache Rechte zum Gebet empor; denn eben dieß längere, und doch gar nicht starre Aushalten in der Attitüde zeigt die Meisterin. Wie wahr und in der Stellung, die uns die Statuen der tragischen Muse und des Apollo Citharödus darbieten, stimmt sie die Lyra an, **) wie sie ¦ am Schluß stehend das Gebet zur Lyra declamirend gedacht wird. (Wäre nur bei uns die Lyra selbst schmückender!). Ueberhaupt aber war auch dießmal wieder ihre Kunst im Händetanz, in dem was man jetzt wieder Cheironomie zu nennen anfängt, durch Reichthum und Wohlklang – wenn wir auch hier das Wort Rhythmus so übersetzen dürfen – so wahr und musterhaft, daß der scharfsinnige Patrik Peale wohl mit unserer Schröder eben das versuchen könnte, was der Britische Geberdenlehrer Austin in seinem trefflichen Werke über die Cheironomie versuchte, als er in 7 tragischen Normalstellungen der großen Siddons uns sieben ihrer Rollen figürlich darstellte. ***)

Manches hatte durch zweckmäsige Anordnung in der Scenerei dießmal gewonnen. Wir rechnen dahin die mit einigen Stufen erhöhete bessere Erhebung des Sitzes und seine Aufstellung auf der entgegengesetzten Seite, so wie die imposantere Form des Felsens, von welchem sie herabspringt. Vieles hängt dabei freilich von dem mehr oder weniger beschränkten Raume der hinteren Bühne ab. So waren bei unserer Beschränkung das Hinaufschreiten der Sappho und die letzten Momente vor dem Sturz etwas gehemmt, was allerdings dem Totaleindruck Eintrag thut.

Unser zwar mehr nach innen genießendes, als nach außen bewegliches Publikum zollte zwar der Künstlerin den lautesten Beifall, rief sie sogar stürmisch heraus und wußte gewiß das von ihr so freundlich angedeutete Wiedersehn ganz zu würdigen. Allein zu jener aufregenden, begeisternden Wechselwirkung anderer Bühnen, wo alles ergriffen und laut bezeichnet wird, kommt es nun einmal bei uns nur selten. Nur ersuchen wir Mad. Schröder es nicht falsch zu deuten, daß der rauschendste Beifall der Stelle wurde, wo sie in der heftigsten Wuth die Landleute aufruft, am Schluß des vierten Akts. Früher hatte man nicht Zeit dazu gehabt. Jetzt athmete man auf und bekam’s in die Hände!

Wir aber rufen mit jenem Unbekannten in der griechischen Anthologie: ****)

Sappho, sieh, wie flechten Dir ewige Kränze des Epheus,Und der herrliche Ruhm weichet, o Sappho, Dir nie!Böttiger.

[Originale Fußnoten]

  • *) Die berühmte Vorstellung der den Endymion beschleichenden Luna im Museo Pio-Clement. T. IV, 16 und im Capitolino T. IV, 24.
  • **) Aber eben darum dürfte nun auch im Sappho-Co¦stüm nach der Antike der breite Gürtel, der der Lyra zum Stützpunct diente, um so weniger fehlen, als er ganz scenisch ist und im Geiste der Antike in aller Farbenpracht der Stickerei und edler Steine erglänzen kann. S. Visconti zum Pio-Clementino T. I. p. 31. 32. und was die Stickerei, Juwelen und Perlenschmuck anlangt, die alten Vasengemälde mit Millins Commentar Explication des Vases antiques Tom. I. p. 86. 101. 106.
  • ***) Chironomia or Treatise on rhetorical delivery (London 1806) chapt. XXI. p. 499 ff. auf der 11ten Kupfertafel N. 116–122.
  • ****) T. III. p. 261. DXXII. oder in Jacobs Tempe I, 25.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer (Teil 3 von 3)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 185 (4. August 1819), Bl. 2v

Textkonstitution

  • „zweckmäsige“sic!

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