Caroline von Weber an Ida Jähns in Berlin mit Nachschrift von Alexander von Weber
Dresden, Dienstag, 13. August 1844
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1844-07-15: an Meyerbeer
- 1844-07-19: von Meyerbeer
Folgend
- 1844-08-20: an Jähns
- 1844-11-14: von Jähns
Korrespondenzstelle
Vorausgehend
- 1844-03-11: an Jähns
Folgend
- 1844-08-20: an Jähns
Meine liebe Ida!
Ich habe wohl einen unpassenden Zeitpunkt gewählt Dir zu schreiben und hätte, auf die Gefahr hin, ein wenig lieblos in Deinen Augen zu erscheinen auch wohl noch länger gezögert wenn ich nicht das ausdrückliche Gebot Deines Pagen erfüllen müsste welcher Dich nicht ohne Nachricht wissen will. Ich schreibe Dir nehmlich an seinem Krankenbett auf welchen der arme Junge nun bereits 8 Tage viel Qual und Schmerzen leidet. Schon seit Deiner Abreise* war sein Aussehen verändert, er verlor immer mehr seine heitere Laune, so, dass ihm am Ende alles gleichgültig war, oder anwiederte. Oft sagte ich ihm er solle zum Doctor gehen, und durch zwekmässige Vorkehrung villeicht einer Krankheit vorbeugen, aber der liebe Eigensinn fogte‡ seinem Köpfchen und thats nicht. Vor 8 Tagen nun lässt er sich bereden auf die Vogelwiese in die Kunstreiterbude zu gehen, wo es gewiss enorm warm war, beim nachhausegehn aber, wurde mein guter Alex nass, und kam schon mit argen Kopfschmerzen nach nach‡ hause. Den andern Tag stellte sich bedeutendes Fieber ein welches von Stunde zu Stunde so zunahm dass ich fürchtete er würde ein Nervenfieber bekomen. In dieser Angst blieb ich denn auch 3 Tage und Nächte, weil sich jeden Abend die Kopfschmerzen vermehrten, und Alex fast jedesmal beim Indiehöhrichten‡ ohnmächtig wurde. Umschläge, Blu[t]egel pp wechselten ab, bis sich die Schmerzen in Kopf und Glieder etwas minderten und so ist denn heute die erste Nacht gewesen wo wir beide ein paar Stunden geschlafen haben. Traurig, recht traurig ist es gewiss ein liebes wesen leiden zu sehen, aber doppelt Qualvoll ist ein Krankenlager in einem Local wie das unsrige — — Du hast keinen Begriff meine Ida wie es in unsern kleinen Häuschen zuging. Natürlich hatte ich Alex gleich in meine Kammer gebettet, und ich schlief in der Stube auf dem Sopha, aber wenn am Tage jemand kam, wusste ich oft nicht wo ich ihn empfangen sollte, weil Alex immer vermehrte Kopfschmerzen bekam wenn er reden hörte, und weil ich nicht gern die Kammerthür zumachte der ungesunden Luft wegen in dem engen Raum. Die ersten Tage, wo Alex auch Schmerzen im Leibe hatte, mussten wir alle 10 Minuten frische Umschläge machen, die aber mussten wir in der Küche der Wirtschaft kochen, und also den Weg ununterbrochen hin und her laufen. Nun denke Dir auch noch in diesen kleinen Raum einen Chirurg welcher Blu[t]egel setzt den Artzt welcher dabey blieb, und eine zum Tode geängstigte Mutter welche nicht einmal ein Winkelchen hatten‡ wo sie sich unbemerkt ausweinen konnte! Ja meine Ida, das waren 8 harte Tage, und ich danke Gott dass er mir sie hat überstehen helfen. Der Artzt sagte mir heute früh dass keine Gefahr mehr sey, dass aber der Kranke noch sehr ruhig bleiben müsste und keine Menschen sprechen dürfte. Da sitzen wir denn einander gegenüber und wenn Alex sprechen will, sprechen wir gewöhnlich von Euch, von Dir, und machen Pläne zur Reise nach Berlin. Leider wird Alex noch lange nicht malen dürfen, und ob alsdan sein Bild für die Ausstellung noch fertig werden wird ist sehr zu bezweifeln* — nun, wie Gott will! wenn Alex nur erst wieder gesund ist, dann findet sich das Uibrige. Er lässt Dich herzlich grüssen und Dir sagen er sey ein armer Lazarus, und Du sollst Deinen treuen Pagen nur recht bedauern welcher nicht einmal so viel Kraft hätte einen Haken vorzustellen.
Doch nun habe ich Dir von einen der Söhne lauter Noth und Qualen erzählt, nun lass mich Dir von dem Andern auch lauter Gutes und Erfreuliches berichten. Max’ens Aufnahme in London ist die schönste welche wir nur wünschen können. Alles beeifert sich ihn sich ihm‡ den Aufenthalt dort angenehm und lehrreich zu machen. Die Ersten seines Fachs wie Stefenson und Brunells* pp nehmen sich seiner mit rührender Theilnahme an, zu allen Theatern, allen Concerten schickt man ihm Freykarten; Damen schicken ihm ihre Albums um seine Handschrift zu besitzen*, kurz, Max ist der Mann der Mode, und fühlt sich, so geschmeichelt, und geehrt, ganz behaglich dort. Er hat auch eine Maskenbüste des Vaters geschenkt bekomen welche damals über seine Leiche gemacht wurde, von welcher wir nie etwas erfahren haben. Max ist ganz entzückt von des Vaters Zügen und schreibt mit dem grössten Enthusiasmuss davon. Sein Besuch an Vaters Sarg war höchst ergreifend und rührend. Aber selbst in diesen heiligen Moment hat er an Euch gedacht und für Wilhelm diesen Splitter von der Sargverzierung losgebrochen. In diesem Augenblick ist er villeicht schon in Schottland, denn den 1. August reisste er von London ab, um erst in 4 Wochen dahin zurück zu kehren, und sodan die Angelegenheit der Translokation von Vaters Asche zu betreiben wozu ihm alles aufs freundlichste die Hand bietet. Sehr gerührt spricht er von der Anhänglichkeit Smarts, des Herrn bey welchen Weber wohnte. Er hat ihm des Vaters Zimmer gezeigt, welches er ganz in dem Zustand gelassen wie Weber darin gewohnt hat. Uiberhaupt ist der Enthusiasmus für Weber in London gross, und Max erntet jetzt was der Vater gesäht. Von Brunells Famil[i]e schreibt er, dass sie höchst liebenswürdig sey und dass der geniale Erbauer des Tunells* ihn wie einen Sohn aufgenomen. Er hat auch eine schöne Tochter welche dem Max nicht übel behagt. — — bey Röckel wohnt und lebt er höchst gemüthlich, und angenehm. Die gute Seele thut alles um ihn den Aufenthalt weniger kostspielig zu machen. Was Max schon alles gesehn, wie grandios er das Leben beschreibt, kann ich Euch freilich in diesen Zeilen nicht genügend mittheilen, aber wenn Ihr wollt kann ich Euch ja einen seiner Briefe schicken. Er lässt Euch herzlich grüssen und bedauert, Euch nicht schreiben zu dürfen. Wahrscheinlich wird Max wenn er zurück kömmt, eine Anstellung in Prag erhalten, wenigstens hat er Aussichten dazu. Das wäre nun sehr wünschenswerth für mich, denn wenn die Eisenbahn fertig ist, währe die Trennung ja fast keine mehr zu nennen*. Nun, Gott wird alles zum Besten lenken! hat er doch dieses Ungewitter was jetzt unsern ganzen Lebensglück drohte, gnädig an unsern Haupte vorüber geführt, Er wird auch ferner uns schützen und bewahren, aus Alexens Brief sehe ich, dass Du mit Deiner Gesundheit auch nicht ganz zufrieden bist, und Dein Humor auch noch nicht eben rosafarb zu nennen ist. Wilhelm schreibt mir aber er sey höchst liebenswürdig und thue alles Dich zu erheitern und zu erfreuen. So hoffe ich denn recht bald zu hören dass diese Medizin wohlthätig auf Deine Stimmung gewirkt, denn das Wilhelm einzig Dein Doctor, und Apotheker sein kann weiss ich wohl. Die Ingredyenzien zu der Heilsamen Medizin hat er immer vorräthig, aber er ist oft zu faul sie zu bereiten, und das ist sein einziger Fehler — Ja, ohne eine kleine Pille kann die Mutter den Wilhelm nicht durchschlüpfen lassen dass ist nun einmal ihr plaisir. Von meinen Bekannten ist noch niemand zurück gekehrt, und ich habe diese Angsttage ziemlich allein verbracht. Doch, wer kann einen auch in solchen Fällen etwas nützen? Da muss man schon selbst sich genug sein, und tapfer die Ohren steif halten. Ein Glück dass Max nichts von Alex’ens Krankheit weiss! Der hätte alles im Stich gelassen und wäre gekomen. Täglich erwarte ich nun einen Brief von ihm aus Schottland. Ob er da auch wohl singt „O Marie! O Marie pp[“] Wahrscheinlich wird der Name den er singt nicht in den Rittmus passen — Ach lieber Gott! sänge er doch lieber Marie! — Doch nun genug für heute mein Kranker ist erwacht und ich muss ihm vorlesen. Wäre doch meine Ida da, die könnte ihm das viel mehr zu Dank machen.
So lebt denn beide wohl ihr lieben Kinder. Gott erhalte Euch gesund und froh. Gedenkt unserer in Liebe und bedauert den armen treuen Pagen. Wir beide umarmen Euch von HerzenEure
Mutter Weber
[Nachschrift von Alexander von Weber:] Meine beste Herrin! Der Wille ist wohl sehr gut aber der Page sehr schwach; Du magst nun schelten, mich bedauern oder gnädig sein! Ich kann Dir jetzt auf den lieben Brief nur diese paar Zeilen kritzeln. Ich hoffe bald meine Hand besser regieren zu könnenDein blasser treuerPage.Bettlehem
den 13. Aug.
Apparat
Verfasst von
Zusammenfassung
berichtet von einer schweren fieberhaften Erkrankung von Alex und von Maxens Aufenthalt in London, der Webers Sterbezimmer noch in dem Zustand fand wie es im Juni 1826 war, er habe eine Totenmaske Webers geschenkt bekommen, von deren Existenz sie gar nichts wussten, er habe auch an Webers Sarg gestanden und für Wilhelm ein Stück von der Verzierung gelöst; er sei allenthalben sehr gut aufgenommen worden
Incipit
„Ich habe wohl einen unpassenden Zeitpunkt gewählt“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler Eveline Bartlitz
Überlieferung
-
Textzeuge: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
Signatur: Mscr. Dresd. App. 2097, 92Quellenbeschreibung
- masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 92 des Konvoluts)
- 6 S.
- am Kopf die Notiz: „Empfangen den 14. Aug. 44.“
Dazugehörige Textwiedergaben
-
MJ S. 229–230 (Auszug)
Textkonstitution
-
„fogte“sic!
-
„nach“sic!
-
„Indiehöhrichten“sic!
-
„hatten“sic!
-
„sich ihm“sic!
Einzelstellenerläuterung
-
„… leidet. Schon seit Deiner Abreise“Das Ehepaar Jähns war am 19. Juni 1844 in Dresden eingetroffen, wo Ida Jähns bei Caroline von Weber im Gasthaus Lämmchen abstieg. F. W. Jähns machte ab dem 5. Juli eine vierzehntägige Reise durch die Sächsische Schweiz und traf am 19. Juli wieder in Berlin ein, wohin Ida Jähns bereits zwei Wochen zuvor zurückgekehrt war; vgl. Max Jähns, Familiengemälde, S. 227–229.
-
„… wird ist sehr zu bezweifeln“Gemeint ist die 34. Berliner Akademieausstellung; Alexander von Weber schickte sein Bild „Jungfrau, einen Helm bekränzend“ ein; vgl. Verzeichniss der Werke lebender Künstler, welche [...] vom 15. September bis zum 17. November öffentlich ausgestellt sind. 1844. XXXIV. Kunstausstellung der Königlichen Akademie der Künste, S. 98 (Nr. 1121).
-
„… Fachs wie Stefenson und Brunells“George Stephenson (1781–1848), Marc Isambard Brunel (1769–1849) und dessen Sohn Isambert Kingdom Brunel (1806–1859).
-
„… um seine Handschrift zu besitzen“Vgl. u. a. Max Maria von Webers Eintrag in das Album von Charlotte Moscheles vom 19. Juli 1844, siehe Henrike Rost in Weberiana 27, S. 36 (Abb. S. 38).
-
„… der geniale Erbauer des Tunells“Der Tunnel unter der Themse (fertiggestellt 1843) war von Marc Isambard Brunel geplant worden; Sohn Isambert Kingdom Brunel war leitender Ingenieur beim Bau.
-
„… fast keine mehr zu nennen“Der Bau der Sächsisch-Böhmischen Eisenbahn begann 1845; durchgehend befahrbar war die Strecke Dresden – Prag erst ab 1851.