Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, erhalten Samstag, 23. November 1850
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- 1850-12-20: an Jähns
Meine lieben Kinder!
Habt herzlichen Danck für Eure guten Wünsche. Ich will, ganz bescheiden mit der Erfüllung der Hälfte derselben zufrieden sein, und Gott danken wenn Er nur so alles bei’m Alten lässt. Leider aber meine Lieben wird uns wohl das Neue nicht ausbleiben, und viel viel zu spät wird die jetzige Generation einsehen lernen dass sie erst mit ihrem Blut, mit Aufopferung alles dessen was das Leben schmükt, das Alte wieder erkaufen müssen, und dass Blut und Thränen einem Wahnbild geflossen sind — doch still davon! spricht man so, so wird man nur mit altmodischen Ansichten verhönt, und wenn sie sich auch auf theuer erkaufte Erfahrungen stützen. Es bestätigt sich wieder dass Jeder nur durch eigenen Schaden klug wird, und den Kreislauf von Hoffnung, und Täuschung durchmachen muss. Nur gebe Gott es gnädig! Ich wollte ich brauchte es nicht noch einmal wieder mit zu erleben. Aber diesem Wunsch zum trotz geht es jetzt mit meiner Gesundheit besser, nur dass sich jetzt eine Menge Blutschwäre* in den Beinen und unter dem Arm entwiklen welche unbequem und schmerzlich sind. Der Artzt sag[t], das wäre gut dass die Krankheit sich nach aussen wirft, und so mag es drum sein — Meine Stimung war in der letzten Zeit recht traurig und muthlos, darum habe ich Euch auch nicht geschrieben, denn geschrieben sieht das Schwarze noch schwärzer aus. Die Witterung ist aber auch bey uns so gräulich dass man von der nächsten Ungebung‡ durch Meerähnliche Fluthen getrennt ist und man froh sein muss wenn man in seinen 4 Mauern Trübsal blasen kann. Da sind nun die Kinder der beste Trost. Marichen ist mein Lebens Sonnenstrahl. Das kleine liebe Geschöpf ist mir für alles Trost und Ersatz. Linchen wird auch täglich niedlicher und das garstige Weinen hat sich ganz verloren. Carl ist Vaters, und Mutters Liebling, und es ist rührend wenn man Max’ens Liebe zu dem Kinde sieht. Der arme Max hat jetzt entsetzlich viel zu thun und komt oft erst Abends 9 Uhr vom Bureau. Man hatte den Telegraphen, auf der Böhmischen, und Bairischen Bahn zerstört und ihm dadurch unendliche Arbeit und Vertruss bereitet. In dem schreklichsten Wetter musste er (natürlich zu Fuss) die Bahnstreken untersuchen um den Schaden zu finden, denn es lag, natürlich, viel daran alles schnell wieder in brauchbaren Standt zu setzen. Ob der Schaden durch Bösswilligkeit oder Zufall entstanden, ist noch nicht ermittelt aber eine Belohnung von 300 Thaler auf entdekung des Thäters gesetzt. Ausser des Mittags sehe ich Max fast gar nicht, denn ist er auch zu Haus so hat er nothwendig zu arbeiten oder es werden ihm Berichte abgestattet. Ich bin daher viel in meinen kleinen traulichen Logie, und lese und arbeite viel. Marichen ist fast immer bey mir wenns die Mama erlaubt.
Frau von Quandt* komt noch täglich zu Nettchen, und die scheint sie so viel zu lieben als sie kann. Ich habe villeicht sehr unrecht, aber ich traue der Quandt* noch nicht recht, mir ist’s immer als müsste uns aus dieser Freundschaft einmal was Schlimes erwachsen. — Nun wir wollen sehen! Max hat auch noch manche angenehme, und angesehene Bekanten ins Haus gebracht mit denen er durch seine jetzige Stellung in Berührung gekomen. Sogar der Minister Bär* war mehremal bey uns, und es freut mich um Maxens willen, weil es ihm einen ganz anderen Halt giebt. Von den Damen gefällt mir die Geheimra[e]thin von Ehrenstein*, und von Polenz* am besten. Nettchen fängt an sich benehmen zu lernen, was dem Max, solchen Frauen gegenüber, sehr angenehm ist.
Wie ich höre hat Metz, welcher jetzt bey seinen Eltern in Brandenburg war, auch als Reservist eintreten müssen; nun ich gestehe dass mir das recht leid thut, denn es zerstört doch auf lange Zeit seine Laufbahn. Ich habe immer noch für den Schlingel eine art Zärtlichkeit weil er von der guten alten Klique noch fast der einzig übergebliebene ist — Ja, ja! ich sehe aus meinem Fenster das kleine Gartenhaus im Lämchen, und gedenke oft der schön verlebten Tage — — Oh, oft ist mir’s als wandle dort eine liebe liebe bekante Gestaldt und sehe zu mir herüber als sollte ich kommen. Ja, ich käme wohl gerne wenn Marichen mich nicht so lieb hätte und ich sie. — Nun, 56 Jahre habe ich hinter mir*. Die Zeit vergeht ja so schnell — und alles vergeht mit ihr. Schreibt mir doch ob Meyerbeer in Berlin ist und schikt mir bey Gelegenheit die Partitur des Oberon. Es wird nun doch nichts vorgenomen, denn Schlesinger wird jetzt gewiss die Partitur nicht stechen*. Wie nobel ist’s von ihm dass er uns nicht einmal ein Exemplar vom Freyschütz* geschikt hat. Ja das muss man sagen: Er ist ein feiner Mann! jeder Zoll ein Jude!! Dass es unsern guten Lichtenstein nicht ganz gut geht hat mich sehr betrübt. Mir war es imer als wäre dieser herrlichen Natur das Glück angebohren. — Also auch dieser Nussbaum wird von Insekten zernagt? Wenn ich mich jetzt ansehe und an Euren Vergleiss‡ mit dem Nussbaum denke befällt mich eine Art Mitleid mit mir selber. Der arme Nussbaum sieht traurig aus! und man muss glauben dass ihm an der Wurzel etwas nagt was Blätter und Zweige verdorren macht. Was es ist, was da nagt, wisst ihr wohl ohne dass ich es sage —. Grüsst und küsst mir die Jungen herzlich. Der Max soll ja nicht so dumm sein Soldat zu werden, denn zu Futter für Pulver ist das Kind zu gut. Ich habe die Kinder recht von Herzen lieb denn es sind herzige Naturen die doch noch Etwas lieb haben können. Ach möge diese Herzens Eigenschaft ihnen Gott erhalten, denn nichts ist so schreklich als ein Mensch ohne Herz. So ein Futeral über die Eigenliebe. Von Max und Nettchen soll ich Euch vielmal grüssen. Max fragte mich ob ihr bös auf ihn wärt weil er so lange nicht geschrieben. Ich denke aber, ihr seit nicht bös, und nehmt die Menschen wie sie nun einmal sint mit Gut und bös zusamen. Das Gute hat doch die Oberhandt. So lebt denn wohl ihr lieben Kinder. Bittet Gott mit mir dass Sachsen und Preussen wieder Freunde werden*. Wir Sachsen und Preussen bleiben es für imer.
Apparat
Zusammenfassung
Bericht über ihre gebesserte Gesundheit und die Familie von Max, sie schreibt, dass sie nun 56 Jahre hinter sich habe, sie setzt also ihr Geburtsjahr mit 1794 an; bittet nochmals um die Rücksendung der Oberon‑Partitur, bekrittelt, dass Schlesinger nicht mal die gedruckte Freischütz‑Partitur geschickt habe; reflektiert über die Jähns’schen Jungen; hofft, dass Sachsen und Preußen wieder Freunde werden
Incipit
„Habt herzlichen Danck für Eure guten Wünsche“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler; Eveline Bartlitz
Überlieferung
Themenkommentare
Textkonstitution
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„Ungebung“sic!
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„Vergleiss“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… sich jetzt eine Menge Blutschwäre“Furunkel, eitrige Entzündung des Haarbalgs.
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„… Frau von Quandt“Vermutlich S. von Quandt.
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„… aber ich traue der Quandt“Vermutlich S. von Quandt.
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„… gekomen. Sogar der Minister Bär“Finanzminister Johann Heinrich August Behr (1793–1871).
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„… Geheimra e thin von Ehrenstein“Luise Sophie von Ehrenstein, geb. Freiin von Uckermann-Bindeleben (1811–1903), seit 1832 verheiratet mit Karl Wolf von Ehrenstein (1805–1862).
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„… Ehrenstein , und von Polenz“Mathilde Eckardine von Polenz, geb. von Breitenbauch (1796–1877), seit 1820 verheiratet mit Eduard (Karl Friedrich Adolph) von Polenz (1792–1863).
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„… Jahre habe ich hinter mir“Offenbar ging Caroline von Weber davon aus, dass sie 1794 geboren wäre (ihr Grabstein in Dresden gibt den 19. November 1796 als Geburtsdatum an); das angebliche Taufdatum (19. November 1793) ihrer 1810 ausgestellten Taufbescheinigung hielt sie für unglaubwürdigT. Ihr Geburtsdatum konnte bislang noch nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ist aber eher 1792 oder 1793 zu vermuten; vgl. Weberiana 12, S. 5f. und Weberiana 22, S. 66.
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„… gewiss die Partitur nicht stechen“Nach der Partiturausgabe des Freischütz (1849) verzögerte sich die von Schlesinger angekündigte Partiturausgabe des Oberon bis 1874.
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„… einmal ein Exemplar vom Freyschütz“Die von Jähns vorbereitete Freischütz-Partiturausgabe bei Schlesinger von 1849 (PN: S. 3512.).
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„… und Preussen wieder Freunde werden“Bezogen auf den österreichisch-preußischen Konflikt bezüglich der Wiederherstellung des Deutschen Bundes und der drohenden militärischen Auseinandersetzung in Kurhessen (Herbstkrise 1850).