Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, erhalten Samstag, 15. März 1851
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Meine lieben Kinder!
Ihr fragt ob ich Euch nicht mehr lieb hätte, weil ich Euch so lange nicht schreibe? Ich habe Euch lieb, darum schreibe ich Euch lieber nicht — Ist es nicht unangenehm nur Klagen zu schreiben und zu lesen? ist es nicht besser die Leute welche wir lib haben, lieber böse, als traurig zu machen? Wenn Ihr auf die faule Schreiberin zürnt so wird doch Eure Liebe für mich noch tausend Entschuldigungen finden welche meine Fehler beschönigen; wisst Ihr aber Eure arme Freundin krank, und unglücklich, dann steigert wohl die Entfernung, und das Unvermögen mir zu helfen, Eure Theilnahme zu schmerzlichen Kummer, und den mögte ich Euch gern, meine Lieben, dadurch ersparen dass ich Alles was mich quelt allein trage ohne Eure guten kindlich gestimten Herzen zu betrüben. Doch Ihr wollt wissen wie es der armen Mutter geht, ich soll Euch von meinen Leben und Treiben berichten, und so müsst Ihr denn auch das traurige Bild betrachten welches ich malen muss. Ich bin fast den ganzen Winter krank gewesen. Abwechselnd an dem alten Pillnitzer Uibel, an der Gripp, und jetzt zuletzt an so einen heftigen Herzkrampf dass ich bey dem letzten Anfall zu sterben dachte, und die beiden herbey gerufenen Aertzte selbst nac[h] Max auf das Ministerium schickten um ihn zu haben weil sie ein schnelles Ende fürc[h]teten — Ich selbst glaubte es bald überstanden zu haben, und ich kann Euch versichern dass ich dem Augenblick nur sehnsüchtig entgegensah, denn ein Leben wie ich es jetzt führe ist wahrlich das Athem holen nicht werth. Nettchen wird mit jedem Tage unfreundlicher und impertinenter sie giebt mir bey jeder Gelegenheit die grobsten Antworten, sagt mir fast nie guten Tag wenn ich hinunter kome, kurz es wurde so arg dass ich nun fast gar nicht mehr hinunter gehe, und auch nicht mehr mit ihnen esse. Es sind oft drey, vier Tage vergangen wo Nettchen weder mit ihrem Mann noch mit mir ein Wort gesprochen hat. Max geht dann aus dem Hause und ich sitze einsam in meinem Stübchen, und beschwöre mir zu Freud, und Leid, die vergangene Zeit herauf, die Zeit wo noch Heiterkeit und Frohsinn mir die Tage verschönten, wo heitere Gestalten gleich Sonnenblicke in mein Leben traten und mich die zaal der verlebten Jahre vergessen liessen. — Jetzt liegt ein düsterer unheilbringender Schatten auf meinem Leben. Es scheint keine Sonne mehr, es ist alles kalt und öde, die frohen Lieder sind verstumt, und verstumt sind alle frohen Anklänge meines Herzens. Ich bin recht alt geworden! Es gab nur noch eine Freude in meinen vereinsamten Leben, das war die Liebe der kleinen Marie zu mir. Dieser kleine Engel schien ordentlich zu fühlen dass ihre Nähe mir Leben war. Aber auch das wird mir missgönnt, denn wenn die Frau auch das Kind nicht liebt, so beleidigt es doch ihren Dünkel dass Marichen mich mehr liebt als sie, und so wollen die Eltern mir nach und nach auch dieses einzige Glück entziehen. Marie hat diesen Winter wieder öfter einen bösen Hals gehabt, so dass der Artzt sagte das Kind müsste Bäder nehmen und recht oft im Freien sein. Da sie sie mir nun nicht mit nach Pillnitz geben wollten mithete ich, dem Kinde zu liebe wieder das Häuschen im Lämchen* damit die Aeltern sie täglich sehen könnten und das Kind doch baden und im Freien sein könnte. Jetzt aber wo bald die Zeit herannaht worauf ich mich so seh[r] freute, erklärt mir meine Schwiegertochter dass sich Marie zu sehr von ihr entwöhnen würde, und es ihr nur erlaubt sein sollte mich dann und wann zu besuchen — Ich kann gar nicht sagen was mich die neue rafinierte Bosheit empört. Gesundheit und Leben des Kindes ist ihr nichts, nur ihr Dünkel. ihr Egoissmuss verlangt dieses Opfer. Ihr könnt wohl glauben dass mir der Entschluss nicht leicht wurde wieder jene Räume zu bewohnen wo ich einst so froh und glücklich war wo der Geist des geliebten Dahingeschiedenen mir überall entgegen tritt; aber die Sorge für des geliebten Kindes Gesundheit lies mich auch dies schmerzliche Gefühl überwinden, und nun tritt dieser Dämon meines Lebens wieder stöhrend mir entgegen — Ich werde versuchen meine Verbindlichkeit mit dem Wirth im Lämchen zu lösen, und lieber weit, weit hienweg ziehn wo ich von dieser Frau nichts mehr sehe und höre. Ich habe mir schon gedacht ob es nicht besser für mich sey nach Mannheim zu meinen Bruder zu gehen um den Rest meiner Tage mit ihm zu verleben. Nur dass er beim Theater ist, und mir dies Treiben so zuwieder ist hällt mich noch davon ab. — — So kann [ich] aber auch nicht fortleben, das Dasein ist zu qualvoll!! Nun meine Lieben seht ihr wohl dass ich Recht that Euch nicht zu schreiben, denn das düstere Lebensgemälde gefällt Euch gewiss nicht — Und doch fehlen ihm noch die tiefen Schatten welche man nicht schreiben kann, welche aber, sich täglich wiederholen imer schwärzer werden je mehr Seele und Körper krankhaft gereizt sind —. Es wäre wohl recht schön wenn ihr wieder einen Ausflug hieher machtet. Ihr könntet in meiner kleinen Wohnung ganz behaglich hausen, zwar nicht wie in der Gräflichen von vorigem Jahr*, aber doch mit freundlich[er] Aussicht ins weite. Nach Berlin zu komen wollte ich mir versparen bis ich meine Angelegenheit wegen der Oper, mit Meyerbeer abmachen muss, was nothwendig in diesem Jahr geschehen muss. Ich mögte mich nun nicht gern noch länger an der Nase herum führen lassen sondern der Sache mit einemmal ein Ende machen. Zweimal aber in einem Somer kann ich die Reise nicht machen, auch mus ich erst etwas gesünder werden, und der böse Herzkrampf beseitigt sein. Glaubt darum nicht meine Kinder dass ich mich nicht darnach sehne all meine Bekannten und Freunde in Berlin noch einmal zu sehe[n] aber was man nicht möglich machen kann darein muss man sich finden. Ihr seit noch jung und gesund, Ihr könnt viel eher zu mir als ich zu Euch komen. Ich hoffe aber auch, wenn die Wandervögel ziehn wird es Euch auch nicht zu hause leiden und Ihr werdet Euren Flug dahin richten wo Natur und Menschen Euch freundlich empfangen. Denke nur Ida wie wir dann in der Erinnerung leben können, ungestört vor Augen welche keinen Theil an dem heiligen Gedenken nehmen; Du wirst die Rosen von demselben Strauche küssen woran Er sie Dir gepflükt und sein freundlicher Geist wird uns nahe sein — — Ich mögte Dir es ins Ohr sagen gute Ida dass ich in dem k[l]einen Häuschen zu sterben wünsche, gepflegt von Dir, und nur von Dir —
Doch ich muss diesen trauer Brief schliessen denn ich rege mich, und Euch zu sehr auf. Möge Gott Euch schützen meine Lieben und Euch recht recht viel Freude an Euren Kindern erleben lassen. Lebt wohl, recht wohl und gedenkt meiner mit Liebestets Eure treueWeber
Apparat
Zusammenfassung
sehr verzweifelter Brief über ihre Gesundheit (Herzkrämpfe) und die Situation in ihrer Familie; Klagen über ihre Schwiegertochter und dass sie ihr ihre Lieblingsenkelin Mariechen entfremdet; nach Berlin will sie nur noch reisen, um mit Meyerbeer die Opern‑Angelegenheit zu Ende zu bringen; wollte ihnen eigentlich nichts von ihrem Kummer schreiben, um sie nicht zu belasten, aber da sie sich über ihr Schweigen wunderten, tat sie es
Incipit
„Ihr fragt ob ich Euch nicht mehr lieb hätte“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler; Eveline Bartlitz
Überlieferung
Einzelstellenerläuterung
-
„… der Gräflichen von vorigem Jahr“Beim Dresden-Besuch im Juli 1850 hatte die Familie Jähns in der Parterrewohnung der Gräfin Lehndorff, Lüttichaustraße 29, Ecke Bürgerwiese gewohnt; vgl. Jähns, Familiengemälde, S. 345.