Aufführungsbesprechung Wien: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 26. Oktober 1823, Teil 1/2

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Correspondenz-Nachrichten.

Wien, am 26. October 1823.

Ich beeile mich, Ihrer Abendzeitung Nachricht von einem Abende zu geben, durch welchen der Morgen deutscher Musik wieder anzubrechen scheint. Ihr Weber, der aber ganz Deutschland angehört, hat gestern auf unserer Hofopernbühne einen neuen Sieg erfochten und einen wiederholten Triumph gefeiert. Es wurde nämlich zum Erstenmale seine Oper Euryanthe gegeben. Es handelt sich hier um ein Werk eines der vorzüglichsten, jetzt lebenden Tondichter, es handelt sich in den Zeiten der Finsternis um einen Stern, der da leuchtet durch die Nacht, es handelt sich um Deutschlands Ehre (nämlich um seine Ehre in der Tonkunst), es handelt sich darum, jene Ohren-Gourmands, jene musikalischen Süßlinge, jene Trommelhelden, jene Verehrer des Fremden, jene Afterdeutschen schweigen zu machen, denen es vielleicht einfallen könnte, selbst gegen dieses Werk, – bloß weil es ihre Ohren nicht vom Anfange bis zum Ende unausgesetzt kitzelt, – weil es Stellen hat, die sie nicht verstehen und die ihnen daher langweilig vorkommen, weil es zu keinen Gurgeleien und Paradestücken auf und bei dem Pianoforte Gelegenheit giebt, mit einem Worte, weil es ächt deutsch, rein heroisch und charakteristisch ist, ihre Stimme zu erheben und ihr fades: „Es hat zu wenig Melodie“, welches so viel sagen will, als: es wird schwer seyn, aus diesem oder jenem Stücke einen Walzer zu machen, auszusprechen, mit einem Worte, es handelt sich um ein eigentliches Kunstwerk, nicht um eine vorübergehende Erscheinung, welche der herrschenden Mode und dem verschrobenen, verweichlichten Zeitgeiste huldigt, darum erlauben Sie mir, Ihrem gewöhnlichen Correspondenten vorzugreifen, der in seinem Tagebuche nur Alle Gegenstände kurz und anzeigweise behandelt und Ihnen ausführlichen Bericht darüber zu erstatten.

Ich glaube, um der Wahrheit und der Würde der Kunst ja nichts zu vergeben, meinen Bericht in drei Theile spalten zu müssen:

1) Was ist an dem Werke selbst?

2) Wie wurde es gegeben?

3) Wie wurde es aufgenommen?

Die erste Frage keck hin zu beantworten, dazu müßte unter diesem Berichte ein gewichtiger Name stehen, ich will es auch nicht keck hin thun, ich will begründen, was ich sage, und wer Gründe hat, der darf sie geben, und sie müssen gelten, bis Jemand erscheint, der sie eben so gründlich widerlegt; – ob ich selbst Musiker sey, thut hier nichts zur Sache. Die Composition ist etwas anderes als die Ausübung eines Instrumentes, als die sogenannte musikalische Fertigkeit, ob ich verstehe, was die dramatische Musik überhaupt soll und will, und was diese Musik insbesondere gesollt und gewollt hat, werden meine Worte beweisen, auch rede ich hier nicht über das Theoretische, über den Satz, ich rede über die poetische Natur der Composition, über ihre Uebereinstimmung mit dem Texte (dem eigentlichen Wesen der Oper), über die Charakteristik der musikalischen Personen, ich rede über die Tondichtung, nicht über die Tonsetzung, und darüber gebührt Jedem ein Wort, der eine durch Gründe bedingte Meinung hat und ¦ sie auf’s Papier zu setzen versteht. Darum beantworte auch ich ungescheut die Frage: Was ist an der Euryanthe?

Zuerst von dem BucheT. Es ist eine sinnige, von den gewöhnlichen Opernbüchern unserer Zeit vortheilhaft abweichende Dichtung. Die Blüthen der Sprache, welche der geschätzten Dichterin immer zu Gebote stehen, sind auch hier nicht sparsam ausgestreut. Ritterliche Sitte und ritterliche Galanterie, aber auch ritterliche Kraft und Würde wehen durch das Ganze. Die Handlung selbst eignet sich ganz zu einer ernsthaften Oper, die Verse sind rein und wohlklingend, aber demungeachtet hat das Buch mehrere bedeutende Fehler, und Vieles darin bietet bei der Composition so auffallende und den Fluß der musikalischen Rede hindernde Schwierigkeiten, daß sie nur ein Weber zu überwinden im Stande war. Hierzu rechne ich zuerst die nicht völlig zur Klarheit gebrachte Handlung. Abgerechnet, daß deutsche Sänger das Geheimniß noch nicht gefunden haben, ein Recitativ deutlich und verständlich vorzutragen (wovon wohl einestheils die Schuld an der deutschen Sprache selbst, anderntheils aber gewiß auch an der Schwäche der Stimmen und an der nicht geläuterten Aussprache der Worte liegen mag), so ist der eigentliche Centralpunkt der Handlung von der Dichterin schon in ein magisches Dunkel gehüllt worden, und selbst Leute, welche bei der ersten Vorstellung jedem Worte, mit dem gedruckten Textbuche in der Hand, nachfolgten, waren nicht im Stande, sich diesen Centralpunkt auf der Stelle zu entziffern. Die Dichterin läßt nämlich in der dritten Scene des ersten Aktes Euryanthen erzählen, was ihr der Geist Emma’s verkündet. Diese Verkündung gleicht so ziemlich einem dunkeln Orakelspruche und dennoch schürzet und löset sie allein den Knoten des Ganzen. Derlei Sprüche sind in einer Oper selten mit Glück anzuwenden, in dieser muß Alles klar und deutlich seyn, und man kann Gegenstände, Reden, Handlungen, worauf man den Zuhörer besonders aufmerksam machen will, und die ihm zur Verständlichkeit des Ganzen nothwendig sind, nicht kurz, nicht deutlich genug sagen, nicht oft genug wiederholen, sonst ist es um die Handlung selbst (deren Beachtung bei der deutschen Oper ein Haupterfoderniß ist) geschehen. – Ein zweiter Fehler des Buches ist nach meinem Erachten dieser: daß sich die Dichterin von dem Bewußtseyn, sie verstehe schön zu sprechen, hinreißen ließ, zu viel zu sprechen. Die meisten der Recitative sind zu lang. In der Tragödie und Comödie bedingen und malen oft kleine Nüancen der Rede die Charaktere der handelnden Personen, in der Oper darf Niemand mehr reden , als zur Handlung nothwendig ist, die eigentliche charakteristische Farbe zu geben, muß dem klugen, verständigen Tonsetzer überlassen werden. Der Dichter gebe nur die Contoure, der Tondichter male aus. So sind ebenfalls mehrere Lieder zu lang, z. B. die Cavatine Adolar’s im ersten Akte. Die Italiäner und Franzosen haben hierin das rechte Maß gefunden. Dieses besteht darin: daß ein Lied nie mehr als zwei Strophen haben soll. Mag der Tonsetzer auch jede der Strophen anders instrumentiren, mag die durchlaufende Melodie auch die angenehmste seyn, drei Mal wiederholt wird sie dem Hörer schon zu eintönig.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung der Euryanthe in Wien, Teil 1/2

Generalvermerk

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 7, Nr. 265 (5. November 1823), S. 1060

Textkonstitution

  • „demungeachtet“sic!

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