Über die „Freischütz“-Inszenierung in Weimar 1822

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Den 3.* Mai 1822
Urteil über den "Freischützen"
Eine Stimme aus Weimar

Den 3. Mai 1822 ist hier in Weimar der "Freischütz" gegeben worden. Seit der "Zauberflöte" ist dem Zeitgeist keine größere Huldigung widerfahren als durch dieses Stück. Darum fehlt es auch nicht an Zuschauern. Damals gab es Geheimniskrämerei, unsichtbare Brüder und Obere, wovon es in allen Köpfen und Büchern spukte. Jetzt ist der Teufel förmlich an der Tagesordnung. Es wird nicht lange dauern, so wird er in allen Romanen ein so wesentliches Ingredienz sein als sonst Mondscheingräber, Leichensteine in unseren Musenalmanachen. Dabei ist ein Umstand bemerkenswert. In unseren bisherigen Schicksalsstücken trat der Teufel doch nur verlarvt auf, der Name des Bösen war noch etwas anstößig. So höllisch und so abgeschmackt auch die Künste waren, wozu er die Menschen verführte, so war er doch wenigstens so bescheiden, für deutscher Dichter Gemüt einen griechischen Namen anzunehmen, und ließ sich das böse Schicksal nennen. Jetzt aber tritt er mit der Hahnenfeder auf dem Kopf auf und steht förmlich auf dem Zettel wie die anderen Schauspieler auch. Wir haben „verteufelte“ Fortschritte seitdem in der Kunst gemacht. Dieses Werk ist ein Kunstprodukt, wie man ungefähr auch ein Spinnengewebe ein Kunstprodukt nennen darf, obwohl es nicht aus dem frischen Aufquellen der Natur, aus Licht und Luft, aus Gestirnen und Regen, wie ein Blatt oder wie ein in das Himmlische strebender Baum, sondern aus dem klebrichten Saft einer Spinne gräulich unscheinbar und farblos seinen Ursprung zieht und gewebt ist. Daher kann es auch weder goldene Früchte tragen noch mit Morgen- und Abendröte prangen, die nie sein sind und nie sein werden, da sie nur ganz fein gesponnen sind. Eine Fliegenfalle der Zeit, ein den Mücken ausgespanntes Todesnetz, dafür muß ich diese Komposition ansprechen, die nur leichte und zeitliche Geister befangen kann und wird, die dem gemeinsten Aberglauben des Volkes huldigt, erhabene Töne an gemeine Stoffe verschwendet, der Kirche Gewalt antut und sie mit der Schenke buhlen läßt: das ist der "Freischütz". Erkenne dich, geliebtes deutsches Publikum, das zu diesem Porträt gesessen hat.

Wie kann der Mensch die Geheimnisse Gottes ergründen? Leuchtwürmchen, dessen Glanz vor der kleinen Talgkerze verblaßte, wie kann es dies mit dem Glanz der ewigen Gestirne aufnehmen?

Eine Regel läßt sich für Operndichter und Opernkomponisten aus dem häufigen Zuspruch, den dieses Stück überall erhält, abziehen. Das Publikum, nämlich das große, fragt den Teufel nach den klassischen Sachen eurer Iphigenie, Achilles, Brennus, es will sich an Höllenstoffen erwärmen. Die Bären und Affen des Sarastro, die Wasser- und Feuerproben Paminos, Taminas haben die Gewalt des Märchens über das Volk hinlänglich bewährt und durch die glühenden Hexen- und Katzenaugen, durch die wilde Jagd von Weber hat diese Maxime einen neuen Beweis erhalten. Sie ist unleugbar; die Oper wird immer auf diesem Feld ihr entschiedenstes Glück machen. Dagegen wär’ nun auch nichts einzuwenden; desto mehr aber gegen diese geistlose Behandlung des Märchens, wie es im "Freischützen" erscheint; ohne alle Natur, Kraft und echten Aufschwung. Wenn ihr von Hexen sprechen wollt, so laßt euch doch zuvor von Goethes Faust in die Hexenküche schicken; der Blocksberg ist freilich kein Musenberg, da ist nicht schöpferisches Genie, aber er kann selbst dem vertrockneten Besenstiel einer Hexe noch Leben abgewinnen. – Videatur Goethe. – Da aber hat es mit unserm "Freischützen" aufgehört oder vielmehr, es hat gar nicht angefangen, kein einziger Charakter im Fundament erfaßt und folglich das Ganze ein musizierendes Spinnengewebe einer falschen Phantasie.

Apparat

Zusammenfassung

vernichtende Kritik des Schriftstellers und Pädagogen Johann Daniel Falk, den Weber von 1812 persönlich kannte, über die „Freischütz“-Inszenierung in Weimar 1822

Generalvermerk

Falk äußerte sich auch andernorts negativ über Webers Oper, so in einem Brief an seine Frau Caroline von Mai 1822: „Man sollte dieß Stück geradewegs: Der Freyschützen, oder musikalischer Teufelsdreck nennen“ (vgl. Ingrid Dietsch, Nicole Kabisius: „drey Tausend und zwey hundertster Schatz meines Herzens“. Briefe von Caroline und Johannes Daniel Falk, Weimar 2018), S. 201–204.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Solveig Schreiter

Überlieferung

  • Textzeuge: Den 3.[sic!] Mai 1822 | Urteil über den „Freischützen“ | Eine Stimme aus Weimar, in: Johannes Falk Geheimes Tagebuch 1818–1826. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Ernst Schering unter Mitwirkung von Georg Mlynek (1964)

Textkonstitution

  • „3.“sic!
  • „Paminos“sic!
  • „Taminas“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Den 3.“Die Erstaufführung in Weimar fand lt. Theaterzettel und Tagebuch der deutschen Bühnen am 4. Mai statt.

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