Friedrich Wilhelm Jähns an Ernst Pasqué in Darmstadt
Berlin, Sonntag, 25. September 1864
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Sehr geehrter Herr.
Zuvörderst meinen allerherzlichsten und wärmsten Dank für Ihr letztes gütiges Schreiben vom 19. d. Mts., worin Sie in wahrhaft liebenswürdiger Weise den Kunstinteressen eines Andern so aufopfernd Ihre kostbare, jetzt gewiß mehr als je in Anspruch genommene Zeit darbringen. Wie selten findet man Personen, die dergleichen aus reinem Interesse an irgend einem Unternehmen, möge es auch die edelsten Zwecke im Auge haben, thun. – Dank deshalb, den innigsten, unvergessensten Dank Ihnen, der mir treu bei meinem mühevollen Werk zur Seite steht.
Wohl allen Dingen aber nun erst ein Paar Worte, die dem Zerstreuen eines Wölkchens gelten sollen, das zwischen uns in Ihrem letzten Briefe getreten zu sein scheint, und das ich durch eine Undeutlichkeit in meinem letzten Briefe verschuldet haben muß. Sie sagen: „Entzweien oder verfeinden werden wir uns wahrlich nicht! ich bitte nur um schonende Äußerungen!“ Beim? Himmel, glauben Sie denn, mein sehr verehrter Freund, daß ich es etwa auf eine gehässige Polemik in Bezug auf Ihren Aufsatz über die Abu Hassan Partitur abgesehen habe? Meine darüber Ihnen gemachte Mittheilungen waren | eine rein private Mittheilung, die ich Ihrem Interesse für den Gegenstand und Ihren mir erzeigten gütigen, mit so vielem Erfolge gekrönten Bemühungen schuldig zu sein glaubte. Vollständig unterschreibe ich Ihre Äußerung, daß ich, wenn ich nur die Darmstädter Partitur gekannt hätte, genau wie Sie geurtheilt haben würde und daß mir namentlich die Compositions-Daten in derselben auch jetzt noch unerklärlich sind. Aber eine Polemik liegt u. lag mir ganz fern. Im Gegentheil, nur den unbedingtesten Dank, die größeste Anerkennung Ihrer vortrefflichen Mittheilung in der L. All. Mus. Zeitung! die ich jederzeit u. allerorten nur aussprechen werde. Von schonenden Äußerungen kann niemals, wohl aber nur von dankerfüllten die Rede sein! Ja, so geht es mit dem schreiben. – Wenn ich so zwischen Ihren Zeilen lese, so habe ich Sie auch vielleicht verletzt, weil Sie mich in gleicher Anschauungsweise mit dem Verfasser des sogenannten „objectiven“ Lebensbildes begriffen wähnen. Darüber erlauben Sie mir, mich unumwunden | zu erklären; nemlich dahin, daß ich dem historische, materiellen Werthe jenes Buches meine volle Anerkennung zolle, keinesweges aber der Auffassung der moralischen Seite des Hauptcharacters, namentlich, keinesweges der von dessen künstlerischer Wirksamkeit, keinesweges der, wie das Lebensbild mit den Erscheinungen würdiger Persönlichkeiten z.B. mit der Ihres damaligen Großherzogs verfährt, eines Herren, über den der von C.M.v.W. im Vertrauen burschikos u. humoristisch geschriebene Brief an Gottfr. in dieser Weise nicht mitgetheilt zu werden brauchte, eines Herrn, der sich gegen C.M.v.W. so […]‡ u. generos genommen hatte, wie es nicht viele thun werden. Der Mangel an jeder Pietät und nach allen Richtungen ist der dunkelste Flecken an diesem Buche, u. ich fürchte, diese Dinge werden dem Autor noch in späten Tagen reuevolle Augenblicke bereiten. Vielleicht wird der 2te Band anders. Gelegenheit ist dem Autor gegeben, seine Ansichten von der | begonnenen Behandlung zu ändern, wenn er die ausgezeichnetsten Zeitschriften gelesen hat, z.B. Leipz. All. Mus. Zeit. 17 u. 18. Grenzboten pp. Nun wir werden sehen! –
Doch – ich habe keine Gemeinschaft mit diesen Ansichten, und leider hat sich durch das Buch eine fühlbare Abkühlung meines schönen Verhältnißes mit jenem Autor erzeugt. Hoffentlich wird es sich wieder bessern, wenn der 2te Theil erschienen ist, bin ich doch jetzt schon milder gestimmt, wo ich ihn so hart angegriffen habe, obwohl ich ihm alles vorausgesagt und wenngleich ich seine BehandlungsWeise des Gegenstandes aus ganz oberflächlich kannte und ich von der Arbeit vor ihrem Erscheinen nicht ein Wort zu Gesicht bekommen hatte. – So viel zur Aufklärung unseres etwanigen Mißverständnißes, woran ich jedoch die Mittheilung knüpfe, meinen Äußerungen keine weitere Verbreitung zu geben, es sei denn, um die Herren Dr: Weber oder Dr: Bauer bei gewissen etwaigen Bedenken zu beschwichtigen. In diesem Falle könnten | Sie diesen Herrn im Allgemeinen meine Stellung jenem Werke gegenüber andeuten.
Doch genug davon. Zuvörderst nun wieder Danksagungen! Lassen Sie sie sich gefallen, denn Sie verschulden sie ja selbst in Ihrer Güte. An Dr: Bauer haben Sie meine Wünsche gemeldet und an Dr: Weber wollen Sie einen Brief von mir geben. Wie schön u. gewiß erfolgreich, wenn etwas da ist, was aber doch eigentlich da[…]‡‡ sein muß. Den Brief an Dr: W. lege ich offen bei. Urtheilen Sie, bitte, ob er so passend, und dann, bitte übergeben Sie denselben nach Verschluß. Dem Forscher gelten alle Hülfsmittel. So habe ich die Kühnheit gehabt, auch noch an Dr: Bauer einen Brief beizuschließen, den Sie aber, ganz nach Ihrem Ermessen, entweder abgeben oder verwerfen können, denn Sie werden am besten wissen, was in diesem Falle zu viel ist. Vielleicht nimmt es Ihnen auch einen Theil Ihrer Bemühungen in der jetzigen schlimmen arbeitsvollen Zeit für Sie. Jedoch ganz, wie Sie wollen und es für passend erachten!
Nun aber eine neue u. nicht weniger wichtige Bitte: | Weber hat die Silvana 1808–1810 in Stuttgart componirt und dieselbe zuerst den 16. Sept. 1810 in Frankfurt a.M. aufgeführt. Für die Berliner Aufführung, zuerst daselbst am 10. Juli 1812, hat er die Arien No. 4 und No 10 neu componirt. Die Arie No 4 ist in ihrer 1sten Gestalt im alten Autograph noch erhalten. Der 2te Act das Autographs ist leider verloren gegangen; der 3te ist erhalten. Mit dem 2ten verlorenen Act ist auch die alte Arie No 10 verschollen. Das Berliner Theater hat in ihrer Partitur nur die neuen Arien und nur den Anfang der alten mit 4 Tacten; das übrige ist herausgenommen. Es liegt mir alles daran, jene alte Arie No. 10 zu erlangen. Die Frankfurter Partitur, wenn sie dort sich befindet, zu erreichen, wäre mir sehr wichtig, da ich nicht weiß, wo von sonst her ich sie erreichen könnte. Haben Sie dort Verbindungen? dürfte ich in diesem Falle auf Ihre gütige Verwendung rechnen? Die Darmstädter Partitur bringt nur die neue No. 10, da Ihrer Mittheilung nach in der L. Allg. Mus. Zeitung, Weber dem Großherzoge die Silvana im Jahre 1814 überreicht hat. – Sein Sie mir nicht böse, daß ich Sie mit dieser neuen Sache quäle. Vielleicht haben Sie die Güte, mir nur den Weg zu bahnen, worauf ich dann direct mir weiter forthelfen würde. Sehr begierig bin ich auf Ihre freundliche Benachtrichtigung deshalb, um welche ich herzlich bitte.
In letzter Zeit bin ich sehr glücklich in meinen Forschungen gewesen; das Hauptglück muß | ich Ihnen als Autographen-Sammler mittheilen, da es zu den seltensten gehört. Ein Freund von mir hatte mir vor längerer Zeit mitgetheilt, daß ein verstorbener alter Bratschist vom Berliner Theater ein Concert (Autograph) von Weber in Besitz gehabt. Ich ging zu dessen noch lebendem Bruder, der nichts davon wußte; ein alter zerlumpter Notenballen wurde vom Boden herbeigeschleppt und als 3tes Stück fand sich das Concert unter dem Titel: Andante e Rondo Ungarese. Hiemit war 1stens die Frage gelöst, welches Fagott-Concertino aus jenem Concertino per la Viola hervorgegangen sei, welches Weber in seinem gedruckten Werk-Verzeichniß mit dem Zusatz „für’s Fagott gänzlich umgeschmolzen“ bezeichnet; denn jenes Fagott-Concertino trägt im Druck den Titel: Andante e Rondo Ungarese, und stimmt nach Vergleichung vollkommen mit jenem für Viola in den Hauptsachen überein, so weit dies die verschiedenen Eigenthümlichkeiten beider Instrumente gestatten. Zweitens ist die Bratschen-Composition wieder gewonnen, die als verschollen vollständig aufgegeben war. Drittens aber bin ich der Besitzer des prächtigen Autograph, welches 38 Seiten umfaßt, und neu wie eben aus Webers Hand hervorgegangen ist u. mir vom bisherigen Besitzer geschenkt worden. – Nicht wahr, das war ein Treffer!
Doch genug des Plauderns! Vielleicht schreien Sie schon Zeter über den Schwätzer, der
sich jetzt allerschleunigst empfiehlt als
Ihr
dankbar ergebenster
F.W. Jähns.
Apparat
Zusammenfassung
räumt Mißverständnisse wegen der Abu Hassan-Partitur aus, erläutert seine kritische Einstellung zu dem ersten Band der Biographie von Max Maria von Weber, bittet P. ihm bei der Suche nach der ursprünglichen Arie Nr. 10 aus Silvana zu helfen, die er in Frankfurt vermutet. Teilt ihm Autographen-Fund von Andante u. Rondo Ungarese mit (vgl. Jähns (Werke), S. 92, Anm. a)
Incipit
„Zuvörderst meinen allerherzlichsten und wärmsten Dank“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit