Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Januar 1822 (Teil 2 von 3)

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Auch eine Stimme
über die erste Aufführung des Freischützen auf dem königl. sächs. Hoftehater, am 26. Jan. 1822.

(Fortsetzung.)

Das hierzu erfoderliche, nicht eben sehr große Transparent könnte wohl für die dahinter aufgestellte Decoration nicht behindernd seyn und mußte vor Veränderung der Scene hinauf gezogen werden. *)

Die Decoration der Wolfsschlucht ist – noch etwas zu viel Ordnung in der chaotischen Unordnung, etwas zwar verkleidete, aber dem prüfenden Auge dennoch sichtbare Symmetrie vielleicht abgerechnet – wahrhaft grausend und hätte wohl eine öffentliche Anerkennung verdient. Die Beschwörungscene mit allen ihren vielfältigen Nebendingen ist im Ganzen vortrefflich geordnet, und wurde mit bewundernswürdiger Pünktlichkeit ausgeführt. Desto mehr war zu bedauern, daß man, nach dem Vorgange eines auswärtigen berühmten Theaters und nach der Angabe eines der vorzüglichsten Decorateurs, statt des wirklichen Samiels – der ja nach der hiesigen Besetzung sattsam imponirend ist – ein scharlachbekleidetes Schreckbild mit glühendem, gräßlich gezahnten Todtenkopfe in der Felsenöffnung aufgestellt hatte. Zu einer Phantasmagorie dieser Art – wenn man sich dieses wunderbar gestalteten, doch üblichen Wortes bedienen darf – ist nirgend in der Dichtung Veranlassung gegeben; sie wäre hier, wo der Schaulust nur so viel geboten werden soll, als die Idee des Ganzen erfodert, und Opern dieser Gattung (Don Juan, Faust, Undine u. s. w.) gestatten, sehr entbehrlich gewesen.

Das menschliche Gemüth hat sich von jeher aus innerm Bedürfniß seine guten und bösen Wesen erschaffen, und es wäre in der That zu verwundern, hätte es nicht vorzüglich den Wald damit bevölkert. **) Allein hieran hat es auch nie gemangelt. ¦ Wer hätte z. B. – um hier nur das Mittelalter zu berühren – nie vom Erlkönig und seiner zahlreichen Sippschaft, von der Erscheinung des heil. Hubertus, von der Jungfrau mit dem oldenburgischen Horne, von dem rettenden Engel des Kaisers Max auf der Martinswand etwas gehört? wer kennte nicht die Sage vom Burggeist auf Rodenstein *), der den Odenwald durchzieht, und Bürger’s Romanze vom Wildgrafen? wer erinnerte sich nicht einmal gelesen zu haben, daß sogar Heinrich dem Vierten im Walde zu Fontainebleau eine schwarze Gestalt warnend entgegen trat, welche die darum befragten Landleute öfters mit einer Kuppel Hunde gesehen haben wollten und schlechthin nur den großen Jäger nannten? **) – In nördlichen Ländern, in Schottland, ja allenthalben, wo sich große Strecken Waldes und Hochgebirge befinden, fehlt es nicht an ähnlichen Sagen; ja, es ließe sich wohl behaupten, daß sich schwerlich ein nur mit etwas lebhafter Phantasie begabter Mensch finden werde, der, besonders bei Dämmerung oder Dunkelheit, einsam im tiefen Walde, nicht ein wunderbares Grauen, ein Gefühl, als ob etwas Unheimliches ihn umschwebe, in der beklommenen Brust verspürt, den nicht irgend ein Spiel des Lichts und Schattens, die wunderbare Gestalt eines Baumes im Mondschein, oder ähnliche, sehr natürliche Dinge wenigstens eine Zeit lang, mit einer Art Gespensterfurcht erfüllt hätten. –

Was nun so tief in der Menschenbrust eingewurzelt ist, daß es, als Wahn oder Glaube, sich durch Jahrhunderte fortpflanzt, daß es selbst von der ernsten Geschichte, wenigstens als Ueberlieferung, als charakteristisches Zeichen des Zeitalters, erwähnt wird, daß sogar jedes reizbare Gemüth sich auf Augenblicke etwas dergleichen wohl selbst erschafft – dessen darf sich auch die Dichtung überhaupt, dessen darf sich vorzüglich die romantische, dessen darf sich vor allen anderen die romantische Operndichtung, der ja noch das magische, unbegriffene, unbegrenzte Reich der Töne, als mächtiger Bundesgenosse, zu Hülfe kommt, mit vollem Rechte bemeistern.

(Den Beschluß s. Wegweiser Nr. 16.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Erfahrne Freunde, denen ich diesen Aufsatz mittheilte, machten mir hier den Einwand, daß dieser Vorschlag nicht ausführbar sey, weil alsdann die Zuschauer in den Seitenlogen den entstehenden Zwischenraum, mithin einen Theil der schon aufgestellten Schlucht sehen würden. Dieser Einwand ist gegründet, trifft aber zugleich die Coulissen und manches Aehnliche. Könnte man in vorliegendem Falle nicht, entweder durch ein Transparent in Form einer Halbkugel (Nische) oder durch an beiden Seiten des Altans hervorragende Bäume, die mit zur Waldschlucht gehörten, oder bei der Veränderung zurückgezogen würden, diesem Uebelstande abhelfen? – Auch dieß ist nur eine Frage.
  • **) In einer vor kurzem erschienenen ästhetischen Abhandlung wird der Wald sogar als die eigentliche Heimath der romantischen Poesie angesehen. S. „Ueber den Geist des Romantischen,“ in der Monatschrift: Die Muse. Februarstück 1821. S. 38 ff.
  • *) S. Justi’s auch in diesem Jahre (1822) sehr reichhaltiges Taschenbuch: Die Vorzeit (auf dessem Titelblatte die Ruinen von Rodenstein in Steindruck abgebildet sind). S. 333. ff.
  • **) Man deutete diese Erscheinung auf – den bald darauf erfolgten Tod der schönen Gabriele. Sie ließ sich aber wohl weit besser erklären. – Sollte diese, in der französischen Geschichte vorkommende Sage nicht vielleicht Schillern auf den schwarzen Ritter in der Jungfrau von Orleans geleitet haben?

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Januar 1822 (Teil 2 von 3).

Entstehung

Februar 1821

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 47 (23. Februar 1822), S. 188

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