Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Januar 1822 (Teil 1 von 3)

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Auch eine Stimme
über die erste Aufführung des Freischützen auf dem königl. sächs. Hoftheater, am 26. Jan. 1822.

Man gestattet jedem Beschauer eines theatralischen Kunstwerks eine Stimme darüber, falls er sie bloß für die seinige angesehen wissen will; es ist daher wohl keine Anmaßung, wenn auch der Dichter, der mit dem, was er aus- und nachgebildet hat, sattsam vertraut seyn muß, sich hiezu für berechtigt hält. Ueber die Dichtung dieser Oper mögen Kenner musikalischer Poesie und der allgemeinen Stellung der Poesie zur Composition *) urtheilen, welche das Buch, wie es bei Göschen in Druck erschienen ist, mit Apel’s Erzählung zusammen gehalten haben; die Erzählung von Gerle giebt geringe Ausbeute, erschien auch erst im Jahre 1819, da der Operntext bereits fertig war. Ueber die Comosition ist bereits durch fast beispiellos vielfältige Aufführungen in Berlin und Wien, so wie durch die hiesige glänzende Aufnahme entschieden worden, und ich enthalte mich dießfalls jedes Urtheils, da ich, wenn auch vielleicht etwas innere Musik, doch durchaus keine regelrechte Kenntniß der äußern besitze. Ich beschränke mich hier auf Costum, auf Decoration und scenische Anordnung, auf Declamation der Rede und Action, zugleich aber, wie schon in der Aufschrift erwähnt, auf die erste Aufführung.

Man hat diese fast vollendet genannt; ich fürchte keine Mißdeutung, wenn ich sie (in Hinsicht auf die obangezeigten Gegenstände) als erste, zumal wenn man die vielen Einzelheiten, die hier zusammen wirken müssen, die mancherlei Schwierigkeiten, die hier zu besiegen sind, gehörig in Anschlag bringt, nur größtentheils gelungen und der Liberalität der General-Direction, so wie dem Eifer aller dabei Anordnenden und vorzugweise Beschäftigten, Ehre bringend anerkenne.

Ich werde für diese meine Aeußerung Gründe angeben; competente Richter mögen sie prüfen! Vielleicht können meine Ansichten für andere Bühnen, wo die Oper noch in Scene gesetzt wird, einigen Nutzen haben.

Das männliche Costum ist untadelhaft, zeitgemäß ohne sclavische Nachäffung, und sehr kleidsam; weniger möchte dem weiblichen nachzurühmen seyn. Ich will hierüber nur Einiges anführen. – Das Stück spielt kurze Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege, großen Theils in der Familie eines zwar wohlhabenden, doch schlichten böhmischen Försters. Gesetzt nun auch, daß bei Agathe’s erstem Erscheinen ein sittsames und zierliches Nachtgewand nicht für zulässig zu halten wäre, – wir sehen aber selbst eine Lady Makbeth leicht bekleidet nachtwandeln, – so bezeichnet doch derselben erstes Costum weder die sehr späte Abendzeit, noch die Ländlichkeit ihres Aufenthalts, noch den Stand ihres Vaters. Gleichergestalt könnten die Brautjungfern ganz so erscheinen, wenn etwa des Fürsten Ottokar’s Braut an den Thoren einer Stadt begrüßt werden sollte, und es scheint mir, als habe man bei der idyllisch-volksthümlichen Scene im dritten Akt das, nicht selten ¦ sehr Wohlgefällige einer ländlichen und örtlichen Tracht mit Unrecht aus der Acht gelassen. Feinere Stoffe, ein vornehmerer, mehr bei höheren Classen gebräuchlicher Schnitt und überflüssige, mithin nur vermeintliche Ausschmückungen zerstören leicht das Dichterisch-Wahre, ohne, was ohne Wahrheit unmöglich ist, das Dichterisch-Schöne zu befördern. Ich werde auf den letztern Punkt noch manchmal zurückkommen müssen.

Die Decoration im ersten Akt (der Platz vor der Waldschenke) ist vollkommen. – Bei dem Spottchore: „Schau der Herr mich an als König“ sollte in der Action mehr allmählige Steigerung statt finden; sonst müßte Max, der, wie alle brave Waidmänner, das Herz auf der rechten Stelle und lebhaftes Ehrgefühl hat, weit früher den ersten beßten fassen. Nur Kilian tritt erst vor ihn hin, die andern bleiben entfernter. Bei der zweiten Strophe werden sie, weil er, sich übermannt sehend und mit sich selbst zerfallen, die Neckerei erträgt, etwas dreister; aber erst bei der dritten Strophe rücken sie ihm ganz nahe und berühren ihn, wie denn in niedern Ständen der Scherz gewöhnlich so lange getrieben wird, bis es zu Thätlichkeiten kommt.

Nicht recht zweckmäßig scheint mir die erste Decoration im zweiten Akte (der Vorsaal im Forsthause). Freilich veralten Decorationen auf der Bühne nur gar zu bald, und es mag nicht räthlich seyn, sie gleich als veraltet malen zu lassen. Allein hier streitet die Neuheit der Wandtapeten und des Ahnenbildes doch gar zu sehr mit dem Alterthümlichen, das vorherrschen soll, streitet ganz mit Annchens Worten:

"Spukerei’n kann man entbehrenIn solch altem Eulennest!"

und das Auslöschen des Lämpchens, das, der Situation angemessen, theils die ferne Mondlandschaft in etwas veränderter Beleuchtung zeigen, theils und hauptsächlich das Schauerliche des alten Waldschlößchens noch mehr hervorheben soll, wird völlig zwecklos, so daß es, da beim Wiederanzünden leicht eine Störung entstehen kann, gestalten Sachen nach besser hinweggelassen würde. Das Bild des ältern Cuno sollte etwas höher und über dem Ausgange zum Altan, nicht seitwärts hängen; denn Agathe ist durch dessen Herabfallen verwundet worden, als sie sich umsehen wollte. Zugestanden aber auch, daß man dem zarten Annchen, auf der Bühne so hoch zu steigen, nicht füglich zumuthen kann; so thut es doch gewiß keine gute Wirkung, daß das bunte Brustbild unmittelbar auf dem eben so bunten Jagdstücke der Tapete hängt, und es würde sich zu Abstellung dieser Mängel leicht ein Auskunftmittel finden. – Die Aussicht in die Mondlandschaft würde der Dichtung entsprechender seyn und das Hehre der Nacht weit besser darstellen, wenn die Oeffnung geräumiger und der nächtliche Horizont noch entfernter wäre, wenigstens schien. Allerdings mag dieß große und vielleicht größere Schwierigkeiten haben, als mir bekannt sind, da die riesenhafte Decoration der Wolfsschlucht bereits aufgestellt seyn muß. Allein – ich frage das nur – sollte es nicht thunlich seyn, daß der Altan wirklich offen wäre und das Mond- und Sternenbild in einiger Entfernung den Hintergrung bildete?

(Die Fortsetzung folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Hierüber findet sich viel Wohldurchdachtes und Beherzigungwerthes in dem Aufsatze: „über die Oper“ im Augusthefte der Muse. 1821. S. 17 ff.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 26. Januar 1822 (Teil 1 von 3).

Entstehung

Februar 1821

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 6, Nr. 46 (22. Februar 1822), S. 184

Textkonstitution

  • „Hintergrung“sic!

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