Peter Joseph Lindpaintner an Friedrich Kind in Dresden
Stuttgart, Dienstag, 12. März 1833
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Hochverehrtester Herr Hofrath!
Es wird stets zu den freundlichsten Erinnerungen in meinem Leben gehören, mit welcher Güte Sie mir bey dem Beginne unsers schriftlichen Verkehrs entgegenkamen, und meine ernste Sorge, mein eifrigstes Bemühen soll und wird es seyn, mich der so schön begonnenen Verbindung mit einem hochgefeyerten Namen nur stets würdiger zu machen. Ihr Vertrauen ehrend, glaube ich in demselben keinen Schritt aufwärts zu tun, wenn ich Ihnen Einiges über meine Wünsche, Ansichten, Lebensverhältnisse mittheile, und mich darüber mit unbefangener Offenheit ausspreche. Ich liebe meine Kunst ohne Nebenabsicht, und scheue weder Opfer noch Mühe, wenn es gute Zweke gilt. Ich betreibe die Composition neben meinen Dienstgeschäften als Liebhaberey, u. wie sie alle betrieben werden – mit Leidenschaft. Ohne ererbten Reichthum | sichert auf eine höchst anständige Weiße mein Amt mir Gegenwart und Zukunft. Die drängende Lust mit den rüstigsten Kämpfern meines Faches nach der Palme zu ringen, spornt mich zum unermüdlichen Fleiße an. Gelungene Proben, jedoch nur im engeren Sinne, befeuern mich, der große Kampfplatz ist noch nicht betreten. Seit Jahren sehne ich mich nach der Verbindung mit einem Dichter, der es nicht verschmäht, sich einem Musiker anzuschmiegen, und sich mit ihm auf den Schwingen seiner /: des Dichters :/ Genialität zur Nachwelt trägt. Verloren ist der Componist, den nicht sein Gedicht begeistert; verloren vor den Schranken des großen Publikums, wenn sein Gedicht nicht diese Feuerprobe aushält; die Musik ist so lange Nebensache, bis sie sich nach und nach dem guten Gedichte gleichstellt, und endlich erst, nachdem die Hauptsache, der gut bearbeitete Stoff, feststeht, über sie hervorragt. Darinn liegt der Grund, warum uns eine 100mal gehörte Musik besser als alle Neuen gefällt; Don Giovanni entzükt – Cosi fan tutte langeweilt, | der Freyschütz stets willkommen ist – Euryanthe u Oberon kalt lassen. – Der erste Kranz dem Dichter! – Das Herz der Nation zu treffen gesinnt‡ der nur das mährchen- grauen- zauberhafte vorzugsweise gefällt, jauchze ich auf, als mir Hr: v. A – Sie als Verfasser der „Buschmutter“* nennt, mein Entschluß war sogleich gefaßt – Sie sandten mir sie zu, ich las und – mißverstehen Sie mich nicht – fand wenigst in so ferne meine Erwartung nicht befriedigt, als mir Hr. v. A. ein Seitenstük zum Freyschützen ankündete, und ich mein geträumtes Hexenmütterchen mit seinem unterirdischen Spuk in eine zwar romantische doch aber immer nur, eine Szene abgerechnet, fast entbehrliche Nebenfigur zerinnen sah. Ich gestehe Blondel und Enrico sind höchst interessante Bilder, so herrlich angelegt als durchgeführt, das Ganze aber doch mehr romantisches Schauspiel, als, wornach mich eigentlich gelüstete, dramatisirtes deutsches Volksmährchen oder Volksoper – und nun stehe ich wie Herkules am Scheidewege, | nicht wissend, wohin ich mich wenden soll! – An Ihre Güte! sprachs in mir – ihr durfte keinenfalls der Irrthum, in dem ich befangen war, ein Geheimniß bleiben – Ihre Güte und Ihr Talent sind es doch am Ende, die mich aus meiner jezigen Verlegenheit reißen, und mich in den gewünschten Besiz eines so lange ersehnten Gutes – in den Besitz einer ächten deutschen Volksoper sezen werden. Von den angegebenen Bedingungen ziehe ich unbedingt die erste Art, Sie zu honoriren, vor, und füge hier nur gelegentlicherweiße zu meiner rechtfertigenden Glaubwürdigkeit bei, daß ich Hrn: Lud: Robert 4 Wochen nach dem Empfange seines Manuscriptes „Die Amazone“ 40. Stk: Friedrichsd’ors zustellte, was ich nöthigenfalls mit Aufweis seiner eigenhändigen Quittung begründen könnte. – Sollten Sie sich entschließen, zum einem guten Werke – einen muthigen Segler, der troken liegt, wieder flott zu machen – die Hand bieten zu wollen, so sehe ich mit gespannter Erwartung einem Zeichen Ihrer Hand entgegen, und werde Ihnen später meine Gedanken über die Gestaltung einer Oper auseinandersetzen.
Mit der unbedingtesten Verehrung u Hochachtung Ihr aufrichtig ergebenster P. Lindpaintner Stuttgart am 12 März 1833.
Apparat
Zusammenfassung
über die Wichtigkeit des Gedichtes für den Opernkomponisten; erwähnt Freischütz als positives, Euryanthe u. Oberon als schlechte Beispiele
Incipit
„Es wird stets zu den freundlichsten Erinnerungen in meinem Leben gehören“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Bartlitz, Eveline
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. P. Lindpaintner 50Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
- am oberen Blattrand Bl. 1r von Kind: „erh. 16. März 1833
beantw. 17. März nachträgl. d. 21. ej.“
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Peter von Lindpaintner, Briefe. Gesamtausgabe (1809–1856), hg. von Reiner Nägele, Göttingen 2001 (Hainholz Musikwissenschaft Bd. 1), S. 199f., Nr. 178 (dort aber falscher Andressat und falsche Quelle angegeben)
Textkonstitution
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„gesinnt“über der Zeile hinzugefügt
Einzelstellenerläuterung
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„… Sie als Verfasser der Buschmutter“Friedrich Kind hatte 1830 sein Libretto Die Buschmutter oder Die Unterirdischen abgeschlossen und Teile daraus publiziert in: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1831, Leipzig: Hartmann, 1830, S. 364–368. Vgl. auch Johann Ludwig Deinhardstein, Skizzen einer Reise von Wien über Prag, Teplitz, Dresden, Berlin, Leipzig, Weimar, Frankfurt am Main, Darmstadt, Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe, Stuttgardt, München, Salzburg, Linz, und von dort nach Wien zurück, in Briefen an einen Freund, Wien 1831, S. 36, wo es über das Wiedersehen mit Kind heißt, dieser habe eine Oper in fünf Akten nach Art des Freischützen, die Buschmutter oder die Unterirdischen, vollendet.