Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 2 von 5)

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(Fortsetzung.)

Der Grund und Boden dieser romantischen Oper ist die Zauber- und Wunderwelt, und zwar nicht die heitere Sphäre der Feen und Genien, sondern das unterirrdische Reich böser Dämonen, oder vielmehr ihr irrdischer Wirkungskreis, in den sie schlichte Naturmenschen: einen jungen Waidmann und sein geliebtes Mädchen, hineinziehen wollen, welches aber so wenig gelingt, daß der Pfeil auf den Schützen zurückfliegt. Unschuld, Liebe und Natur; dämonische, böse Zauberkraft: scharf sich trennende Elemente, wie sie für die Oper sich eignen, weil sie Gelegenheit zu ächten deutlichen musikalischen Gegensätzen geben. Wenn der Erzähler einen solchen Stoff behandelt, so ist es ihm vielleicht erlaubt, uns erst diese Unschuldswelt zu zeigen, sie landschaftlich auszumalen, und dann nach und nach das Böse hineinbrechen zu lassen; denn er hat alle Zeit und kann sich nach Lust und Laune die bequeme Stelle wählen, wo er die Vorfabel nachholen, und wo er den Leser eben mit dem Geisterreiche überraschen will. Der Dramatiker hat andere und der Operndichter noch vielfachere Rücksichten zu nehmen. So wie der Vorhang aufrollt, soll der Zuschauer sich in der bestimmten Welt des darzustellenden Dramas befinden, und in der Oper soll ihm ganz und gar kein Zweifel darüber bleiben, weil hier der Dichter gar keine Zeit und keinen Raum zum Nachher-Erklären und Motiviren hat; denn Motivirungen und Erklärungen können nicht in Musik gesezt werden, sie dehnen, sie halten auf, und die frühern Musikstücke waren unverständlich. Deßhalb beginnt Don Juan mit einem Mord und die Zauberflöte mit geheimnißvollen Personen und Zauber. Der Freyschütz aber beginnt mit einem ländlichen Feste. Der Zuschauer, der den Zettel nicht gelesen hat, oder der bey Lesung des Worts: schwarzer Jäger, nicht Unrath merkte, kann nichts anders vermuthen, als daß man ihm eine Pastoral-Operette darstellen wird; ja wenn er später die gelungene Musik des Spott-Chors hört, die unwiderstehlich zum Lachen reizt, so muß er eine vortreffliche Opera buffa erwarten. Auch rief unser italienischer Sopranist bey diesem Chore: O che Burla! – So wird das Publikum ganz von jener Zauberwelt entfernt, in welcher das Drama spielt, kann sich später (post festum) gar nicht mehr hinein versetzen, und glaubt um so weniger an den nachherigen Spuk, als der alte Erbförster und das muntere Mädchen daran zweifeln, und die übrigen Personen keinen Beweis ihrer Gläubigkeit geben. Man denke sich in der Zauberflöte gleich in den ersten Scenen den Zweifel an der Wundermacht Sarastros und der Königin der Nacht ausgesprochen, und folgere! – In einer Zauberoper muß der Zuschauer sogleich auf den Boden des Wunderbaren gestellt werden, und demnach sollte der Freyschütz mit einer nächtlichen Scene im Walde beginnen, wo Samiel den Kaspar bedeutete, daß heute der Tag sey, an dem er ihm verfallen wäre. Kaspar müßte den Vorschlag machen, seinen Jagdgesellen zu verführen, wenn er die Frist verlängern wollte u. s. w. Diese Scene gäbe zugleich eine klare dramatische Exposition, und eine imposante, dem Stoffe gemäße, musikalische Introduktion, die den Zuschauer sogleich und würdig versezte. So kann eine Erzählung – nicht beginnen; so aber muß beginnen eine Oper. Hieraus ginge nun der musikalische Vortheil hervor, daß sich von dem dunkeln Grunde dieser nächtlichen Scene die ländlich-fröhliche des Freyschießens um so effektvoller abheben würde. Ohne eine Note zu ändern, würde der komische Spott-Chor Grausen erregen, da wir seine Folgen ahnen könnten, und selbst der burleske Bauern|marsch und der spätere Walzer trügen die Lokalfarbe des Unheimlichen, statt daß diese Musikstücke, so gestellt, nur niedlich sind, und als Exposition gar keinen dramatischen Sinn und Werth haben. So viel kommt bey der Oper auf das Gedicht an!! – Durch die vorgeschlagene Einleitungs-Scene und das darauf folgende Freyschießen würde sich der ganze erste Akt anders und gewiß bequemer und verständlicher gestalten lassen; nun aber muß der alte Erbförster (eine leicht zu entbehrende und durchaus keinen dramatischen Antheil erweckende Person) auftreten, um das Stück zu exponiren, und zwar nach französischer Weise, wo dem Vertrauten (hier dem Volke) eine Geschichte erzählt wird, die er eigentlich schon längst wissen sollte. Doch in der Oper nimmt man’s nicht so genau, wenn die Geschichte nur ergreifend wäre. Aber der Bräutigam soll sich die Braut erschießen! Das ist nun wieder komisch, und doch wollte der Dichter eine ernste Wirkung damit bezwecken, und lässt auch seine Personen sich sehr pathetisch darüber vernehmen, so daß der einsichtige Zuschauer bey so bewandten Umständen weder darüber lachen kann, noch ernsthaft gestimmt wird, und also ganz gleichgültig bleibt. Denn gesezt, daß in einem ächten Märchen ein fabelhafter König seine Erbtochter demjenigen verhieße, der irgend ein zauberhaftes Ziel treffen werde, so lässt man sich das sehr wohl (zumal in der Zauberoper) gefallen, und es kann sogar pathetisch behandelt werden; aber ein böhmischer Fürst aus der uns so nahen Zeit des dreyßigjährigen Krieges, der eine Erbförsterey und eine Jungfrau zum Preis des besten Flintenschusses aussezt, und die Angst und der Jammer und die Ahnung, daß man nicht treffen werde, sind weder phantastisch-märchenhaft, noch lyrisch-pathetisch; und deßhalb hat der Dichter gefehlt, daß er seine Fabel in einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Lande spielen lässt. Nun aber sagt sogar der Förster, höchst aufgeklärt, zu Waidmann-Stellen, zu Freykugeln, zu allem Wunderbaren: Possen! und zwingt so das Publikum ebenfalls aufgeklärt zu seyn und still bey sich zu denken: Possen! Es versteht auch nicht, was Kaspar damit sagen will, wenn er ruft: „Dank Samiel!“ so wie er später über sein: „Hilf Samiel!“ lacht. Die Kritik aber begreift ganz und gar nicht, wie der Verführer ein so dummer Teufel seyn und öffentlich in Gegenwart des Försters und allen Volkes dem Max rathen kann, Hexenwerke zu treiben und auf nächtlichem Kreuzwege den großen Jäger herbeyzurufen? Wie kann er sich so verdächtig machen?! Nach solcher Exposition wird nun – man weiß nicht warum – ein Terzett mit Begleitung eines Jäger-Chors gesungen, das, als ein großes Ensemble-Stück, den bedeutenden Fehler hat, daß die Handlung dabey stock still steht, und die Leute von der Scene wollen und nicht können, weil sie noch singen müssen. Dergleichen sollte der Operndichter sorgfältig vermeiden, denn es bestärkt die Gegner der Oper in der Meynung, daß diese Gattung ein Gemisch von Unsinn und Konvention sey. Aber wir wollen annehmen, daß hier der schickliche Platz gewesen sey, wo die bedeutendsten Personen der Oper verschiedenartige Leidenschaften und Empfindungen ausdrücken mußten, und dann fragen wir: Sind diese den einfachen Charakteren der Personen gemäß ausgesprochen; sind sie gehörig vorbereitet? „O diese Sonne, furchtbar steigt sie mir empor!“ Ist es ein Held, der hier am Vorabend der Entscheidungsschlacht so spricht, oder – ein Jägerbursche? Ist es der Chor der griechischen Tragödie, der da ausruft: „Seht, wie düster ist sein Blick! Ahnung scheint ihn zu durchbeben!“ oder rufen so böhmische Hofjäger? „Unsichtbare Mächte grollen!“ mit dem unschuldigen, ehrlichen, braven Jägerburschen? „Bange Ahnung füllt die Brust!“ weil er auf dem Schützenplatz nicht getroffen hat? Das heißt den Tonsetzer zu Gesangstücken verleiten, die ohne vorbereitetes Interesse sind, und überdieß ein dem Ganzen durchaus heterogenes Kolorit annehmen müssen. Zum Glück ¦ endet das Terzett mit einem Jäger-Chor, dessen Worte dem Waidmannsgeschäft entsprechen; wir sind wieder unter Jägern und Landleuten, und vergessen gern, daß wir einige Zeit in einer Opera seria waren. Die nächstfolgende Arie des Jägerburschen leidet an denselben Mängeln. Er hat beym Freyschießen nicht getroffen, und ist deßhalb ausgelacht worden; sonst ist vorher nichts vorgefallen, sonst weiß man nichts von ihm, noch von einer Wunder- und Zauberwelt, in die uns einzuführen der Dichter vergessen hat – wie soll man also Antheil nehmen an seiner tragischen Angst vor dem Schicksal, an seinen philosophischen Betrachtungen: „Für welche Schuld muß ich bezahlen? Herrscht blindes Schicksal? Lebt kein Gott?“ mit welcher schwer zu komponirenden Frage der Skepsis diese Arie schließt. Man begreift weder die Angst vor „den finstern Mächten,“ noch warum diese dem armen Menschen etwas anhaben wollen. Und so hat denn auch dieses Musikstück weder dramatischen Werth noch Interesse, und ist nur eine recht schön gesezte Konzert-Arie. Der Dichter selbst scheint dieß gefühlt zu haben, er lässt daher das Theater bey diesem Gesang düster machen und seinen Samiel im Hintergrunde der Bühne erscheinen. – Aber wissen wir denn, wer sein Samiel ist? Gibt es einen im Volksglauben erscheinenden bösen Geist, der Samiel heißt? Sahen wir ihn so gekleidet in unsern Fibeln und Bilderbüchern? Oder gedenken wir wohl gar, wenn wir ihn sehen, an jene gepuzte Mohren, die zuweilen hinten auf Staatswagen stehen? Aber gesezt auch, es wäre der Teufel selbst mit Horn und Pferdefuß, so würden wir noch immer nicht wissen, wie der Teufel in diese Operette käme, und weßhalb er da im Hintergrunde steht, und was er da will und zu thun hat. Wie anders, wie musikalischer wäre diese Scene einzurichten gewesen, wenn Samiel schon aus der Introduktion bekannt, und, statt einer melodramatischen, eine singende Person wäre! Das folgende Trinklied steht ganz an seiner Stelle, bildet zu der vorhergehenden Arie einen ächt-musikalischen Gegensatz, bleibt dem Charakter, der Situation, dem Stoffe überhaupt getreu, und ist auch in poetischer und technischer Hinsicht gut gearbeitet. Daher war auch der talentreiche Tonsetzer im Stande, hier nicht nur ein schönes und pikantes Lied, sondern ein wahrhaft charakteristisches Musikstück zu geben, das von klarer und starker dramatischer Wirkung ist. Dem darauf beginnenden Gespräche können wir diese Vorzüge nicht einräumen; es ist zu gedehnt, zu sehr ins Einzelne ausgeführt, und der Dichter würde der Moralität seines Helden weniger geschadet haben, wenn dieser, von blinder Leidenschaft getrieben, des Verführers Rettungsmittel rasch ergriffen hätte, statt er hier nach und nach, schwach und bedächtlich, zur Sünde sich endlich entschließt. Nach diesem Gespräche endet nun der Akt, nicht mit Finale, sondern mit einer Arie. Sie ist der Sache angemessen geschrieben, sie ist, bis auf die etwas süßliche Passage; „Nichts kann vom tiefen Fall dich retten!“ würdig komponirt, und würde inmitten oder zu Anfang des Akts von großer Wirkung seyn; aber soll der Akt einer großen Oper mit einer Arie, sey sie auch noch so imposant, schließen? Ist es der Akt eines Trauerspiels, wo allenfalls nach einem Monologe der Vorhang fallen darf? Ist der Gebrauch der Finale ein Werk des Zufalls, das keine im Wesen der Musik gegründete Ursache hat, auf keine dramatisch-lebendige Wirkung berechnet ist? Hätte der Aufzug, wenn nun durchaus keine allgemeinere Handlung herbeyzuführen war, hätte er nicht mit der Erscheinung Samiels und mit einem Duette zwischen diesem und Kaspar, begleitet von einem Chor sichtbarer Höllengeister, schließen können, oder vielmehr schließen sollen? Der Leser erwäge den Eindruck, den er empfand, als nach jener Arie der Vorhang fiel, und beantworte sich dann unsere Fragen.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 2 von 5). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe, dritter, vierter und fünfter Teil folgen in den Nummern 112, 113 und 114.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 16, Nr. 109 (7. Mai 1822), S. 435–436

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