Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 4 von 5)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

(Fortsetzung.)

Was nun die große Schau- und Schauer-Scene in der Wolfsschlucht betrifft, so hat diese so zahllose und mannigfaltige Freunde gefunden, daß wir es nicht wagen, den Eindruck, den sie auf uns machte, unverholen auszusprechen. Wir wollen also nur einige Fragen aufstellen. Ist dieses Tonstück ein Melodram oder Finale, oder ist ein Melodram ein Finale? Hat der Tonsetzer hier wirklich, im Gebiete des Schauerlichen und Grausenerregenden, den Schöpfer des Don Juan – im Gebiete der Tonmalerey bewegter Elemente, den Schöpfer der Zauberflöte erreicht? Wann sträubt sich unser Haar vor Geisterschrecken empor, wenn das Hundegebell der wilden Jagd vorüberzieht, oder wenn der steinerne Gast an die Thür pocht – wenn wirkliche Bäume entwurzelt auf die Bühne stürzen, oder wenn Don Juan endlich dem Geist die Hand gibt und erschreckt ausruft: „Kalt bist du, wie der Tod!“? Würden die unsichtbaren Chöre: „Milch des Mondes,“ und: „Durch Berg und Thal,“ nicht weit effektvoller wirken, wenn man die Höllengeister sähe, statt daß wir sie auf unserm schwach besezten Normaltheater vor lauter Maschinenlärm durchaus nicht vernommen haben? Sollte Samiel nicht hier, statt zu deklamiren, in gewaltig-zerreißenden Tönen singen, oder sollte der Geist im Don Juan sprechen? Wer weiß, wenn er das Buch nicht gelesen hat, was die ebenfalls nicht singenden pantomimischen Gestalten hier bedeuten sollen? Wer kennt die Mutter des Max, von der nie die Rede war, wer erkennt Agathe; und wenn man sie erkennt, wie kommt sie hieher? Ist es wirklich der Schatten der Lebendigen, die bey gesundem Leibe umgeht? Ist sie magnetisirt und hellsehend, oder ist diese Erscheinung nur ein Phantasiebild ihres eben nicht sehr muthigen Liebhabers? Wenn das Lezte der Fall ist, so mögen auch wohl der weisse Geist seiner Mutter, der schwarze Eber, Jäger, Hund und Samiel Erscheinungen seiner kranken Einbildung, und er und wir getäuscht seyn. – Diese Spukscene ist ein wirklicher Spuk, denn man kann nicht sagen, daß erlaubte, von der Kunst erlaubte, Mittel angewendet wurden, um den großen Haufen zu bezaubern. Und wer hier nur an die mystischen Scenen der Zauberflöte oder an die Grausen erregenden des Don Juan denkt, der hat es nur auf Glauben angenommen und nachgesagt, daß Mozart ein bahnenbrechendes Genie war, aber er hat es nie gedacht, noch weniger selbst lebendig empfunden.

Der dritte Akt dieser großen Oper beginnt, wie nur der einer Operette beginnen darf, mit Gespräch, statt mit einer musikalischen Vorbereitungs-Scene zu der neuen Handlung. Der Tonsetzer hat das Mißständige dieses Anfangs gefühlt, und so viel er es vermochte, durch einen Instrumental-Satz, durch ein Zwischenspiel gemildert. Zwey Ouvertüren zu Einer Oper scheinen uns aber um die Hälfte zu viel. Ueberdieß eröffnen unbedeutende, an Statisten grenzende Personen diesen Akt, und wir hören wieder aufgeklärtes Läugnen der Zauberwelt. Was den Dekorationsmaler, den Maschinisten und den Lampen-Inspektor in der vorigen Scene so viel Mühe und Nachdenken gekostet, das ¦ nennt der erste Jäger jetzt „Fratzen!“ – Was späterhin Kaspar, wenn er die sechste Kugel verschießt, mit dem Ausruf sagen will: „Wohl bekomm’s der schönen Braut!“ konnten wir durchaus nicht verstehen, da wir ja den unsichtbaren Chor: „Milch des Mondes,“ nicht vernommen hatten, und dieses die einzige Stelle im ganzen Drama ist, wo darauf hingedeutet wird, auf welche Weise die siebente Kugel äffen (?) soll. Dieses Aeffen soll nämlich darin bestehen, daß die Freykugel die schuldlose Braut treffe; und dieses tödtliche Treffen musste nothwendig Aeffen genannt werden, weil treffen und äffen gereimt ist. Man kann also nicht sagen, daß dieses sans rime et sans raison geschah. Wüßten wir aber nur klar und bestimmt, daß die siebente Kugel Agathen tödten solle, so würde uns dieses in Schrecken versetzen und Mitleid erregen; doch es wird nur dunkel angedeutet, weil der Dichter vorzog, uns augenblicklich mit einem Knall zu überraschen, statt uns zu fesseln und dauernden Antheil zu erregen. Wie einfacher wäre es gewesen, und wie viel mehr auf die Wirkung musikalischer Gegensätze berechnet, wenn dieser Akt mit seiner zweyten Scene begonnen hätte! Das wilde Tongewühl des nächtlichen Gräuels hätte noch im Gemüth des Zuschauers schauerlich nachgeklungen, und da wäre es ihm nun ein erwünschter und bewältigender Anblick gewesen, Agathen bräutlich geschmückt an ihrem Hausaltar zu schauen, und ihren andächtigen und wehmüthigen Gesang zu vernehmen. Die Hälfte des schönen Eindrucks, den dieses treffliche Musikstück machen könnte, geht aber nun durch das vorhergehende kalte Expositions-Gespräch verloren. Wir übergehen die folgende Nummer, wo Annchen Agathen trösten will, singend von der Base und der Nase, und – von Nero dem Kettenhund. Diese Romanze und Arie, jezt der Wehmüthig-Ahnenden zum Trost vorgesungen, störten so alle Stimmung, daß wir es der Berliner Sängerin wenig Dank wissen, daß sie expresse für sie eingelegt wurden. Wie viel freundlicher und herzerquickender wird Agathe getröstet, wenn die Brautjungfern ihren heitern, einschmeichelnden Unschuldsgesang anstimmen! Wie sind hier die einfach-schönen, charakteristischen Worte sogar nicht von der einfach-schönen, charakteristischen Musik zu trennen! Ein Lobgedicht müsste man singen, um diesen Sang zu preisen. Doch ist dieß nicht nöthig; das Lied lebt schon im Munde des Volkes, und wird noch lange, lange darin fortleben. Dieß sein Ruhm und sein Preis! – Ja so ergreifend hat dieser Gesang auf uns nachgewirkt, daß wir uns gar nicht darum bekümmerten und gar nicht nachfragten, wohin die darauf folgende Episode mit dem Todtenkranz führe und was sie bedeuten soll, da ja Agathe am Leben bleibt? Eben so ließen wir’s uns gefallen, daß mit einem Male von einem Eremiten gesprochen ward, von dem bis jezt noch mit keinem Worte die Rede war. Wie hätten wir auch Zeit gehabt, an dergleichen zu denken, da ja mit der nächsten Scene jener kräftige, lebensfohe Jäger-Chor eintritt, von dem eben das und in eben so reichem Maße gilt, was wir von dem Gesang der Brautjungfern gesagt haben.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 4 von 5). Teil 1 und 2 erschienen in den Nummern 108 und 109, der dritte Teil erschien in der vorigen Ausgabe, der fünfte Teil folgt in der nächsten.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 16, Nr. 113 (12. Mai 1822), S. 452

        XML

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.