Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 1 von 5)
(Fortsetzung.)
Wir können hier schicklicher Weise zu einer bestimmten deutschen Original-Oper übergehen, und zwar zu der, die in kurzer Zeit zu einem solchen Ruhme gelangt ist, eine so allgemeine | Theilnahme, ein so großes Aufsehen erregt hat, wie seit Menschengedenken keine andere. Auch auf unserer idealen Normal-Bühne ist der Freyschütz würdig dargestellt und zum öfteren wiederholt worden. Wie unsere Almanachs-Dichterin und unsere Gurli, der Kavallerie-Lieutnant und der Verskünstler, der gelehrte Instrumentesetzer, der Redakteur, die Logen der buone société und unsere andere Komittenten über diese Oper sich geäußert haben, das ist bereits in zahllosen Flugblättern abgedruckt, so daß wir nicht nöthig haben, es zum tausendsten Male zu wiederholen. Wie der italienische Sopranist über deutschen Gesang sonder Gurgeley sich in allerley Ausrufungen vernehmen ließ, möge man sich denken, eben so was Eulenböck sprach, der nichts ungehudelt lässt; die einfach-naive Schlußbemerkung des Naturkritikers aber wird man aus dem Ganzen abnehmen können. Möge doch Niemand, der diesen Eingang zur Beurtheilung des Freyschützen liest, den ungerechten Argwohn fassen, als wären wir Willens, ein Kunstwerk in den Staub zu ziehen, das in ganz Deutschland so allgemeinen, so lebendigen Antheil erregt hat. Es ist diese regsame, lebendige Theilnahme an Kunst, diese aufmunternde Beehrung der Künstler eine in unserm nordischen Vaterlande, leider! so seltene Erscheinung, daß es nur der Stumpfsinn seyn kann, der diesen Enthusiasmus verhöhnen, oder der Neid, der ihn zerstören möchte. Eine unpartheyische, unpersönliche Kritik, wie wir sie in unsern frühern Berichten zu geben versprachen, kann das nicht wollen; kann es selbst dann nicht wollen, wenn sie sich auch einbildete, es zu können. Aber sie hat andere Pflichten; sie darf sich durch kein Dogma bestechen, durch keine Autorität blenden, von keiner Majorität, ja selbst nicht von der Unanimität, schrecken lassen. Im Gegentheil, je mehr Aufsehen ein Kunstwerk macht, um so mehr ist sie verbunden, es zu untersuchen und zu zergliedern, ja seine Schwächen aufzudecken. Ein anderes ist es, sich einem Werke genießend hinzugeben, ein anderes, es kritisch zu beurtheilen; dort eilen wir über das, was unsern Genuß stört, schnell hinweg; hier verweilen wir gerade dabey, und suchen die Mängel in ihren Grundursachen zu erkennen. Ein Kunstwerk ohne Mängel möchte es aber schwerlich geben, und eine Kritik, die dieser nicht erwähnt, würde eine Apologie, aber keine Kritik seyn. Bis jetzt haben wir nur Apologien über den Freyschützen gelesen, oder kurzen, d. h. unbegründeten, Tadel. Um so mehr halten wir es für unsere kritische Pflicht, an dieses verehrte Kunstwerk den strengsten Maßstab anzulegen, d. h. es mit Werken von Mozart in Parallele zu setzen, ein Verfahren, welches zwar ganz gegen unsere Maxime läuft, welches aber dadurch gerechtfertigt wird, daß jene Apologien diese Parallele zuerst aufstellten, und also die öffentliche Meinung schon daran gewöhnt haben. Sollte nun aus dieser Vergleichung eine Differenz hervorgehen, welche zeigte, daß man ein vortrefflicher Tonsetzer seyn kann und dennoch kein Mozart; kein Mozart, der deßhalb ein Genie genannt wird, weil er mit nie ausbleibender Eingebung eine so wahrhafte und doch so eigene Welt von Tönen erbaute, mit allumfassender Erfindungskraft seine Kunst zu so ungeheurer Höhe emportrug, daß mit seinen Leistungen auch eine neue Aera derselben begann. – Gesezt, diese Differenz würde gezeigt, so könnte dieß für den Komponisten des Freyschützen um so weniger niederschlagend seyn, da er selbst ja mit rühmlicher Bescheidenheit sich gegen jene seiner Freunde öffentlich verwahrte, die ihn über, oder auch nur neben Spontini setzen wollten. Was den Dichter betrifft, so hat dieser schon deßhalb auf allgemeinen Dank Anspruch, weil er seinen bewährten Autornamen zu einem in deutschen Landen verrufenen sogenannten Operntexte hergab, den man eben so wenig achtet, als man zu gleicher Zeit viel und allerhand, man weiß nicht recht was, von ihm verlangt. ([Er], der, wie er selbst sagt, „durch diese Dichtung Andere zu ähnlichen Bestrebungen ermuntern möchte,“ wird es als einen Beweis der Achtung erkennen, und ¦ es der Kritik Dank wissen, wenn sie, ebenfalls „um der Oper höhere Würde zu verleihen,“ sein Werk sorgfältig beleuchtet und mit partheyloser Strenge beurtheilt.
So viel (eigentlich unnütze) Worte mußten wir als Einleitung niederschreiben, um den überhand nehmenden Vorwurf der Autoren zurückzuweisen, die jede nicht unbedingt lobende Beurtheilung ihrer Werke für hämisch, partheyisch und voll verächtlicher Kunstgriffe erklären, nicht einsehend, daß der Tadel des strengen Untersuchers sie eben so hoch ehrt, als die Apologie der Ungründlichen sie herabwürdigt. Lessing in seiner Dramaturgie sagt: "Der wahre Virtuose glaubt es nicht einmal, daß wir
"seine Vollkommenheiten einsehen und empfinden, wenn wir
"auch noch so viel Geschrey davon machen, ehe er nicht merkt,
"daß wir auch Augen und Gefühl für seine Schwäche haben.
"Er spottet bey sich über jede uneingeschränkte Bewunderung,
"und nur das Lob desjenigen kitzelt ihn, von dem er weiß, daß
„er auch das Herz hat, ihn zu tadeln.“ Und so beginnen wir nun getrost! – Töne kann man nicht vor Gericht stellen. Und doch wollen wir hier über eine Oper urtheilen und unser Urtheil begründen. Sollen wir zu diesem Zwecke die Partitur abdrucken lassen und sie mit theoretischen Bemerkungen versehen? Oder sollen wir die Musikstücke nach ihrer Reihenfolge durchgehen und von jedem derselben sagen, wie es unser Gefühl angesprochen oder nicht angesprochen hat? Das erste Verfahren möchte eben so trocken, als unersprießlich für dramatische Tonkunst seyn, das andere eine individuelle Stimmung, aber kein Urtheil ausdrücken. Demnach werden wir unsere Untersuchung da anknüpfen, wo dem beurtheilenden Verstande mehr haltbarer Stoff dargeboten wird, als in der musikalischen Sphäre wandelbarer Gefühle. Von dem Gedicht aus wollen wir unsere Betrachtungen anstellen, weil dieses der Musik zum Grunde liegt und sie bestimmt, erstlich eine dramatische Musik überhaupt, sodann die einer besondern Gattung, und endlich die sich individuell unterscheidende Musik des Freyschützen zu seyn. Der Autor nennt sein Gedicht schlechtweg eine Oper, sagt dadurch weiter nichts, als daß es keine Operette, keine Opera buffa ist, und überlässt es dem Publikum, nachzusehen, ob es eine Hirten-, Helden-, Götter- oder Feenoper sey. Wir finden in dieser Oper Bauern und Jäger (also ein pastorales Element), zwey Mädchen der geringeren Volksklasse (also Elemente zur Operette), einen streng und ernsthaft gehaltenen Fürsten (also ein Element der geschichtlichen Opera seria), überdieß einen Bösewicht, einen Eremiten und den Teufel, der Samiel heißt. Unstreitig also soll diese Oper eine romantische seyn. Dagegen kann die Kritik nichts einwenden, denn keine Gattung eignet sich mehr zu einer Grundlage für dramatische Musik, als diese. – Sehen wir aber, ob der Dichter die verschiedenartigen Element seines Stoffes gehörig aus einander gehalten und in reizendem Kontrast gegen einander gestellt; ob er die Charaktere, dem Wesen der Oper gemäß, mit wenigen und breiten Strichen hingeworfen und gehalten; ob er den Zuschauer in seine Wunderwelt sogleich versezt und darin festgebannt, und hauptsächlich, ob er einzig und unabläßlich darauf hingearbeitet hat, dem Komponisten Gelegenheit zu wahrhaft dramatischer Musik zu geben, worunter wir solche verstehen, welche die fortschreitende Handlung begleitet, nicht aber Konzertstücke, wobey diese halbe Akte lang stehn bleibt. Es wird sich auf diese Weise zeigen, wo der Komponist mehr und wo er weniger leistete, als der Dichter, wo der Musiker sich hoch über den Stoff erhob, und wo er sich von dem Gedicht auf Irrwege verleiten ließ.
Apparat
Zusammenfassung
Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 1 von 5). Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe, der dritte, vierte und fünfte Teil in den Nummern 112, 113 und 114.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 16, Nr. 108 (6. Mai 1822), S. 431–432