Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Dienstag, 29. August 1815 (Nr. 20)
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Meine geliebte theure Lina!
Mit immer schwererem Herzen ergreiffe ich die Feder, und immer schmerzlicher wird mir der Gedanke daß diese Zeilen bald die lezten sein werden die meiner geliebten Lina‡ aussprechen was ihr Carl für Sie fühlt, und wie Ihr Andenken ihn ewig umschweben und erfüllen wird. Ja meine geliebte Lina wenn ich auf mich zurükblikke von dem Augenblikke an da ich fühlte daß ich dich wahrhaft liebe bis jezt, so erstaune ich über die Höhe und Größe der Leidenschaft die mich beseelt und ich bin oft in Versuchung das selbst erfahrene sogar für ein Räthsel, für einen Traum zu halten, weil es mich so ganz umgewandelt hat und mir die unendliche Tiefe meines Gemüthes zeigte, in dem für ewig der Keim und Stoff meiner unglüklichen Zukunft liegt. Mit Freuden, mit innigem Wonne Gefühl werde ich so mancher unendlichen glüklichen Zeit gedenken wo wir ungetrübt uns selbst lebten. das bittere was unsre beyderseitige Individualität hinein webte, hat mich gelehrt, daß ich nie das Glük eines fühlenden Wesens machen kann, daß der nur zu beklagen ist den ich mit Liebe umfaße, und daß das Schiksal mit ernstem eisernen Finger mich ganz in mich selbst verweist. und jene Allgewalt des Gefühls nur bestimmt ist, auf dem Opfer Altar der Welt für andre geopfert zu werden, und wie die Fakkel leuchtend sich selbst zu verzehren. Es ist möglich, ja ich glaube es sogar von der Zeit, daß ich ruhiger werden werde. ich habe mich jezt schon um vieles gefaßt und meine rükkehrende Kraft in leisen Anklängen gefühlt. aber die düstre Farbe die das Bewußtsein eines unwiederbringlich verlohrenen Glükkes, über all mein Denken, Fühlen und Handeln gezogen hat, der Flor durch den ich alles sehe. diese gänzliche Stumpfheit für alle sogenannten Lebensfreuden — dieses wird sich nie verliehren. ich werde meinen Schmerz endlich lieb gewinnen in Träumen leben, und so das Leben verträumen, bis endlich der wahre Schlaf hienieden ein Ziel sezt.
Verzeihe geliebtes Leben, daß ich dir so viel von mir vorspreche. aber ich weis du hörtest das sonst gern, und die lezten Augenblikke die ich noch ungezwungen und ohne lastende Verhältniße mit dir sprechen darf, will ich mir nicht rauben laßen. |
Meine einzige und größte Sorge ist noch, daß dir mein Anblik wehe thun möchte, dich peinlich ergreiffen möge. Laß mich das nicht fürchten geliebter Mukel. du wirst sehen, daß dein Carl recht gut sein wird, daß er nichts suchen wird, als alles mögliche dein Leben nicht zu trüben. du wirst mich wenig sehen, und siehst du mich so erblikke den treusten wahrsten Freund deines Lebens in mir, stoße dich nicht an dem erst‡ Ernst der wohl nicht ganz vertilgbar aus seinen Zügen blikken wird, aber‡ sondern glaube der kindlich frommen gewiß gut und reinen Herzlichkeit die stets aus ihm zu dir sprechen wird.
Sey ruhig und gefaßt. — ich hoffe daß du diesen Brief noch vor meiner Ankunft erhältst. er ist der vorlezte den dir meine Hand schreibt.
Aus dem Anfange deines Briefes No: 17 vom 22t sehe ich daß mein Brief nachdem ich 14 Tage keinen von dir erhalten hatte dich betrübt hatte. ich bitte dich deshalb herzlichst um Verzeihung, wenn eine Äußerung darin‡ die Bitterkeit mit sich führte dich gekränkt hat. Kein unedler Gedanke gegen […]‡ dich, kam in meine Seele, und eben so wenig der leiseste Wille dich zu betrüben.
Es wird mir sehr schwer weiter etwas über den Inhalt dieses Briefes zu sagen. —
Gott mache Dich froh und glüklich dieß ist der einzige Wunsch deines Carls, den er gerne mit aufopferung seines Glükes, seiner Ruhe und seiner ganzen Lebensfreude in Erfüllung sehen möchte. Gott schenke dir Glük und Ruhe und dabey mögest du zuweilen deßjenigen gedenken der nur in dir lebt und kein anderes Glük kennt als das deinige, Ewig schlägt für dich das Herz deines
unveränderlich treuen
Carls.
ich küsse dich Millionenmal [Kußsymbol]
Apparat
Zusammenfassung
Privates
Incipit
„Mit immer schwererem Herzen ergreiffe ich die Feder“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. II A a 1, Nr. 14Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- auf 1r oben rechts Ergänzung von F. W. Jähns (Blei): „(München)“
- am Rand unten Bl. 1v Echtheitsbestätigung von F. W.Jähns (Tinte): „Carl Maria von Weber an seine Braut. Eigenhändig.“
Provenienz
- vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Bartlitz (Muks), S. 204–206 (Nr. 37)