Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Donnerstag, 31. August 1815 (Nr. 21)
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2 Uhr.
Meine theure geliebte unvergeßliche Lina!
Müde und ermattet von der Last der Arbeit die mich zwingt die Nächte zu Hülfe zu nehmen, und niedergedrükt von tiefer schmerzlicher Empfindung ergreiffe ich die Feder, um dir vielleicht zum leztenmale, meine gute Nacht! aus weiter Ferne zuzurufen, das du vielleicht wenige Stunden vor meiner Ankunft in Prag erst erhältst. Es ist nicht jener tobende gewaltsam zerfleischende Schmerz wie den 7t Juny Abends, aber desto tiefer, inniger und sicherer verzehrend nagt dieß Gefühl an mir. Aber Nein! Heute soll keine trübe Errinnerung keine bittere Ahndung der Zukunft dich kränken. Dieser Abschied soll freundlich wie ein guter Engel der zu Gott um dein Wohl fleht, dich umschweben. Mit Wonnegefühlen zaubre ich mir die seeligen Stunden zurük dich‡ die ich durch Deine Liebe genoß, wo kein feindseliger Dämon sich zwischen uns drängte, Du alle Deine unendliche Lieblichkeit, jenes entzükende kindlich frohe Wesen entfaltetest, und mein Ernst dem Vollgefühl einer glühenden, erwiederten Liebe, wich; und ich ahndete daß nur solche Augenblikke das höchste im Leben sind, daß sie festzuhalten nur Wenigen vergönnt ist, und das ein solches Uebermaas des Glükes, könnte es dauernd sein – tödten müße. Unvergeßlich und ewig theuer wird mir deine Sorgfalt für mich sein, stets sehe ich dich mir entgegen schweben, wenn ich der Last des Tages entronnen war. Mit thränend frohen Augen kann ich mich unsrer wahrhaft oft Kinder ähnlichen Poßen und Scherze errinnern. Ja! geliebte Lina, nichts soll mir diese schönste seeligste Zeit der Vergangenheit verbittern, und sollten mich einst selbst die Folgen davon ganz zusammen drükken, so sollen sie mir doch als lichter Stern noch durchleuchten, und gerne will ich mich des entschwundenen schönen Lichtes dankbar errinnern und erfreuen.
Ich habe dich gebeten, und auch etwas gehofft du würdest auch ein freundliches Lebewohl mir sagen können, und die lezten Augenblikke des freyen ungezwungenen Ergußes dir doch im Andenken an das Vergangene, eine schöne rührend frohe Stimmung erzeugen können. diese schöne Hoffnung die mich so glüklich gemacht hätte, Wo ich den süßen Trost mir hätte vorspiegeln können, siehe – die wenig frohen Augenblikke die du ihr geben konntest, stehen ihr doch höher als ihr Schmerz – ist nun freylich durch deinen lezten Brief No: 18 vom 26t huj: verschwunden, – aber ich weis, meine geliebte Lina wollte mir damit nicht wehe thun. Sie sprach frey ihr Gefühl | aus, und Wahrheit schäzze ich ja über alles: laß mich daher nicht ausführlich darüber antworten. laß mich dich nur um alles was dir heilig ist, um unsrer Liebe willen bitten, – gieb Dich nicht diesen oft unbändig leidenschaftlichen Ausbrüchen hin, die dich selbst verzehren müßen. höre die Stimme eines Sterbenden. Sey gut, sey brav, sey offen. Sollte Jemals ein Wesen wieder deine Achtung oder gar Liebe gewinnen können, – zeige dich ihm offen, wahr und unverholen. du kannst nur dadurch gewinnen, und reines Vertrauen knüpft unauflösliche Bande, da das Gegentheil ein ewig schleichender Teufel ist der alle Fäden nach und nach zu zerknittern, und wenigstens ungleich und rauh zu machen sucht. Sey nichts halb, und die Achtung der Welt wird dir immer bleiben. Zürne nicht geliebte theure Lina wenn ich noch einmal diese oft wiederholten Dinge dir sage. Glaube, sie kommen aus dem reinsten Herzen das keinen andern Wunsch als dein Wohl kennt. Wenn einst recht lange die Zeiten der Leidenschaft ganz vorüber sein werden, wenn Du recht ruhig und unpartheiisch auf unser Verhältniß zurük blikst, und meine Liebe und mein Thun und Laßen offen vor deinem Blikk liegen, dann wirst auch du aus voller Ueberzeugung sagen. Das war doch ein treues Herz. Hier wohnte wahre reine Liebe für mich – und achtend wenigstens wirst du mein gedenken.
Schwerer und immer Schwerer drükt mich jeder verfließende Augenblik der dich immer mehr von mir trennt, indem er mich dir zu nähern scheint. ich bin recht erschöpft und angegriffen, und beynahe versagen mir die Augen und der schwere Kopf den Dienst.
O mein ewig theures unvergeßliches liebes Leben. habe Dank für so manche schöne Rose die du in mein Leben geflochten für deine innige Liebe, für Deinen Schmerz – Verzeihe dem Uebermaß meiner Liebe wenn sie oft zu heftig dich ergriff oft bitter und hart die Wunden noch mehr zerriß, die sie hätte sanft und duldend heilen sollen. Vergieb allen Kummer den ich über Dich gebracht habe, und der mich so unendlich schwer drükt, obwohl ich bey Gott das Bewußtsein habe nicht ein Stäubchen davon mit Willen, oder irgend eine zweydeutige Handlungsweise, erregt zu haben. Grolle mir nicht um | das schöne dir gestohlene Jahr deines Lebens, ich wollte dir gerne 10 der meinigen dafür geben, könnte ich dir es zurük verkaufen. Laß mich dich noch einmal in Gedanken die ich aussprechen noch darf aufs innigste und heißeste an diese Brust drükken, an dieses treue Herz, das nur dich denkt, nur dich dachte, und ewig denken wird. Sey heiter, sey froh, und bist du dieß nicht, so gedenke in glüklicher Stunde, deines armen Carls der unveränderlich bis zum lezten Hauche dich liebt, und in dem du unvergeßlich leben wirst, bis einst die Zeit und sein Gefühl ihn reif gemacht haben, hinüber zu gehen.
Lebe wohl! recht wohl! recht glüklich. gute Nacht! gute gute Nacht. ich küße Dich Millionenmal [Kußsymbol] gute Nacht!!!
Apparat
Zusammenfassung
„Abschiedsbrief“ aus München
Incipit
„Müde und ermattet von der Last der Arbeit“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. II A a 1, Nr. 15Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (2 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelrest[?]
- PSt.: a) R. 4. MÜNCHEN. / 1 SEP. 1815; b) Chargé
- auf Bl. 1r oben rechts Ergänzung von Jähns mit Bleistift: (München)
- am linken Rand der Adressenseite Vermerk von Jähns: Carl Maria von Weber an seine Braut. Eigenhändig.
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403
Dazugehörige Textwiedergaben
-
a) MMW I, S. 495–497 (unvollständig)
-
b) Bartlitz (Muks), S. 207–210 (Nr. 38)
-
Einstein, Alfred: Briefe deutscher Musiker. Zürich 1955, S. 153–155