Dramatisch-musikalische Notizen, Dresden (Vorbemerkung)

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Dramatisch-musikalische Notizen.

Als Versuche, durch Kunst-Geschichtliche Nachrichten und Andeutungen, die Beurtheilung, neu auf dem Königl. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern.
Von Carl Maria von Weber.

– – Der rohe Mensch ist zufrieden, wenn er nur etwas vorgehen sieht; der Gebildete will empfinden, und Nachdenken ist nur dem ganz ausgebildeten angenehm. – –* Göthe.

– – Der Lauf der Begebenheiten hat dem Genius der Zeit eine Richtung gegeben, die ihn je mehr und mehr von der Kunst des Ideals zu entfernen droht. Diese muß die Wirklichkeit verlassen, und sich mit anständiger Kühnheit über das Bedürfniß erheben; denn die Kunst ist eine Tochter der | Freiheit, und von der Nothwendigkeit der Geister, nicht von der Nothdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen. Jetzt aber herrscht das Bedürfniß, und beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte frohnen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Wage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und, aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie vor dem lärmenden Markte des Jahrhundert’s. – Schiller.

Diese trefflichen Worte Göthe’s und Schillers mögen hier zur Einleitung dienen, und es wird zugleich der Leser – auf dessen Nachsicht ich bei meinen Versuchen rechne, – es mir nicht verdenken, wenn ich hinter den Aeußerungen großer Männer, zugleich eine Art von Schutzwehr bei meinem neuen, etwas gewagten Unternehmen suche. Ich fühle mich zu demselben durch die Stelle, auf der ich stehe, aufgefodert, indem die schöne Pflicht auf mir ruht, durch die freundlichen Leistungen der Kunst, auf die Gemüther und den Geschmack des Publikums zu wirken.

Die schöne Zeit wo die Segnungen der allgemeinen, dauernden Ruhe jeden Menschen befeuerten und aufmunterten, seine freien Stunden den schönen Künsten und Wissenschaften zu widmen, – wo die Erscheinung eines neuen Kunstwerkes das Gespräch des Tages und aller geselligen Kreise war, wo Jedermann – nicht von stürmischen Anregungen von außen gedrängt – sich frei und gern mit dem Höhern des Lebens beschäftigte, als Bedürfniß einer fühlenden Seele und Nahrung des Geistes; – diese schöne Zeit war uns lange geraubt, und dadurch natürlich auch die nothwendig theilnehmende Aufmerksamkeit des Publikums auf die Erzeugnisse der Kunst.

Ein wahrhaft gutes Werk bewährt freilich in der Länge der Zeit seine Vorzüge, und weiß sich die Theilnahme der Menge zu verschaffen, indem es endlich durch wiederholte Anklänge zum Gemüthe spricht. Ganz anders ist aber doch die Wirkung wenn das Gemüth schon gleichsam vorbereitet auf den Genuß ist, der seiner wartet.

Es ist mit allen Verhältnissen im Leben so. Sucht nicht Jeder, in den Kreis einer Gesellschaft von einem schon geachteten Theile derselben eingeführt zu werden, während dieser durch einige bezeichnende Worte das Wesen seines Eingeführten der Gesellschaft kenntlich zu machen sucht? Von der Geburt ¦ bis zum Tode haben wir Pathenstelle vertretende Freunde.

Es sei also auch mir erlaubt, die meiner Obhut und Pflege anvertrauten Werke, bei ihrem Erscheinen demjenigen zu empfehlen, dessen Dienst, dessen Erheiterung, dessen Bildung sie geweiht sind.

Ich habe dabei freilich mich vorzüglich vor einer gefährlichen Klippe zu hüten; nehmlich davor, daß – indem ich die ihn vorzüglich bezeichnenden Eigenthümlichkeiten, den Kunstlebenslauf und Charakter meines Pfleglings und dessen Schöpfers berichte, – nicht etwa das, was blos einen Gesichtspunkt zur richtigern Beurtheilung desselben aufstellen soll, – schon als ein vorgegriffenes Urtheil über ihn erscheine. Dieß hieße die schönsten und heiligsten Rechte der Volksstimme verletzen.

Indem ich die Gefahr kenne, glaube ich sie auch schon halb überstanden zu haben, und mein Streben die Klippe zu umgehen, wird es beweisen.

Demohngeachtet halte ich es für nothwendig, auch hier auf Nachsicht für den Eifer zu rechnen, der mich vielleicht zuweilen für die gute Sache zu weit führen möchte; indem auch hier nur der Enthusiasmus der den Künstler belebt, und den er so gerne aller Welt einzuflößen wünschte, mich zuweilen über die Grenzen des trocknen Berichts leiten könnte.

Vor allem wird mir eine heilige Wahrheitsliebe das erste Gesetz sein; sie ist die strengste Pflicht vor dem Richterstuhle des Publikums. Ich werde die frühern Schicksale der erscheinenden Werke nicht mit Stillschweigen übergehen, ohne dabei für ihr künftiges besorgt zu seyn. Nicht jede Pflanze gedeiht in jedem Boden. Was ihr in einem Klima Blüthen und Schönheit schenkt, kann ihr im andern verderblich werden. Eine sorgfältige Pflege wird wenigstens Mißgestalten verhüten, und in dem Streben zum Guten sollen mich auch einseitige Meinungen Einzelner, die ohne ein eigenes Urtheil zu besitzen, nur vergleichungsweise zu richten im Stande sind, nicht irre machen, denn die Erfahrung hat gelehrt daß die Gesammtstimme des Publikums beinah immer gerecht sei.

Apparat

Zusammenfassung

wieder verwendetes Vorwort der Prager Dramatisch-musikalischen Notizen

Entstehung

Abschrift vermutlich 27. Januar 1817 und Versand 28. Januar 1817 (laut TB)

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 25 (29. Januar 1817), Bl. 1v–2r

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • HellS III, S. 77–80
    • MMW III, S. 129–131
    • Kaiser (Schriften), S. 259–262 (Nr. 64)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… ganz ausgebildeten angenehm. – –“Quelle: Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/6. 2. Buch, 3. Kap.

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