Dramatisch-musikalische Notizen (Dresden): „Das Waisenhaus“ von Weigl

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Dramatisch-musikalische Notizen.

Als Versuche, durch Kunst-Geschichtliche Nachrichten und Andeutungen die Beurtheilung, neu auf dem Königl. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern.
Von Carl Maria von Weber

Mittwoch, den 4. JuniΔ* wird zum erstenmale auf unserer Bühne gegeben: Das Waisenhaus, Oper in 2 Akten von Treitschke, Musik von Joseph Weigl.

Ein deutsches Original-Werk 1808 für und in Wien geschrieben. Das Glück, das diese Oper und ihre nächste Schwester, die Schweizer-Familie, in Wien und dem größten Theile Deutschlands machte, brachte für kurze Zeit eine Anzahl Rührungs-, Leidens- und Schmerzens-Opern in Schwung, deren Sentimentalitäts-Leben aber außer jenen beiden genannten dem baldigen Tode nahte, und mit dem Bergsturze (Oper in 2 Akt. von Weigl 1812) diese Epoche beschloß.

Es ist immer anziehend, zu sehen, wie Künstler und Publikum sich gegenseitig bestimmen, bilden und leiten. Wie ein gelungenes Werk, das die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zog, nicht nur Nachahmer und Nachäffer von allen Seiten entstehen macht, sondern wie es auch den Schöpfer desselben bestimmt, auf dem einmal mit Erfolg betretenen Wege fortzuwandeln, und sich lieber denen sicher den Effect bewirkenden Mitteln zu vertrauen, und sie beizubehalten, als durch neue Versuche, den schön lockenden Beifall des Augenblicks und der Zeitgenossen aufs Spiel zu setzen. Daher kommt es wohl, daß selbst bei bedeutenden Meistern, z. B. Winter etc. immer nur eines ihrer Werke den Culminationspunkt macht.

Obwohl von jeher Joseph Weigl eine ungemeine Fülle weicher, schmeichelnd eindringender Ideen zu Gebote standen, und alle seine Arbeiten belebten (tadellose Correktheit versteht sich von selbst), so scheinen doch auch die obengenannten Opern eine eigene Kunst-Periode seiner CompositionenΔ zu bezeichnen. Merklich unterscheiden sie sich in Stil und Haltung von denen früher seinen Ruf begründenden WerkenΔ, von welchen ich nur, La Principessa d’Amalfi, und hauptsächlich – neben einer Anzahl der Melodiereichsten und üppigreizendenΔ BalletmusikenL’amor marinaro (Der Korsar aus Liebe) nenne. Dieser Gattung schließt sich noch seine Uniform an, doch schon weniger; und nur das Waisenhaus und die Schweizerfamilie haben ganz diese weichliche, fleißige und kenntnißreiche Sammtmalerei, die seine Arbeiten zu den Lieblingen des Publikums erhobΔ.

Seine Art und Weise zu schreiben, gehört recht eigentlich der Wiener Musikschule an, – durch die Gediegenheit und in allen Theilen sorgfältige Feile der Werke Mozart’s und Haydn’s begründet.

Hervorstechend ist bei Weigl die Neigung zu ungeraden Takt-Arten, die Stimmführung der Violine in den höhern Lagen, und das Streben jedes Musikstück möglichst melodisch abgerundet zu geben, und mehr dadurch, als durch die höchste Richtigkeit und Wahrheit des Declamatorischen, die scenische Foderung zu erfüllen. Vielleicht entwickelte sich dieß aus den vielen Ballet-Musiken, die er schrieb.

Dem Geist der ernstenΔ dramatischen Gattung scheint sich sein Talent nicht gerne zu schmiegen, und sein, Hadrian, trägt keinesweges den Stempel der Größe, die dieser Stoff zu verlangen berechtigt ist, weßhalb er auch keine sehr beachtete Aufnahme in der Musikwelt fand. Dagegen hat man Oratorien von ihm, die würdevoll und meisterhaft geschrieben sind.

Joseph Weigl, 1765 zu Wien geboren, machte ¦ seine ersten Studien nach Albrechtsberger und unter Salieri’s Leitung, besuchte auch Italien und schrieb daselbst mit Glück. Doch brachte er den größeren Theil seines Lebens in Wien zu, wo er als K. K. Kapellmeister und Operndirector angestellt ist.

Für die Kammer hat er sehr wenig geschrieben. Aber noch verdient Erwähnung, daß er sich bei denΔ Opern, die seine Theilnahme zu erregen wissen und deren Leitung er übernimmt, als ein trefflich Dirigirender auszeichnet.

Apparat

Zusammenfassung

Werkbesprechung philosophiert zuerst über den Grund des Erfolgs von Weigls Oper im Verbund mit seiner „Schweizerfamilie“; nennt charakteristische Merkmale der Komposition und geht abschließend auf biographische Fakten ein

Entstehung

31. Mai/ 1. Juni 1817 (laut A und TB)

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Joachim Veit

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 133 (4. Juni 1817), Bl. 2v

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • HellS III, S. 108–111
    • MMW III, S. 149–151
    • Kaiser (Schriften), S. 294–296 (Nr. 119)
  • 2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (VII), Bl. 53v

    Quellenbeschreibung

    • über dem Ms Titel: „Dr: m: Notizen pp“; Incipit: „Donnerstag d: 5t. Juni 1817 wird zum erstenmale auf unsrer Bühne gegeben. Das Waisenhaus,“; datiert: „d: 31t. May und 1t. Juni 1817. Dresden.“
    • auf einzelnem Bl. 1v; Format 33,5x20,5 cm, WZ: KIRCHBERG, Kettlinien ca. 2,7 cm wegen des abweichenden Aufführungsdatums von Entwurf und ED vgl. TB unter 4. Juni 1817: Abends zum Erstenmale Das Waisenhaus. Ging außerordentlich gut, gefiel.; in HellS, MMW und Kaiser ebenfalls 4. Juni angegeben; Text am linken Rand mit Rötel markiert;

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Mittwoch, den 4. Juni“Im Entwurf notierte Weber als Erstaufführungsdatum 5. Juni. Die Erstaufführung in Dresden fand am 4. Juni statt, vgl. auch Webers TB vom selben Tag.

    Lesarten

    • Textzeuge 1: Mittwoch, den 4. Juni
      Textzeuge 2: Donnerstag d: 5t Juny 1817
    • Textzeuge 1: Compositionen
      Textzeuge 2: Arbeiten
    • Textzeuge 1: Werken
      Textzeuge 2: Compositionen
    • Textzeuge 1: üppigreizenden
      Textzeuge 2: üppig reizendsten
    • Textzeuge 1: erhob
      Textzeuge 2: gemacht haben
    • Textzeuge 1: ernsten
      Textzeuge 2: ernstern
    • Textzeuge 1: den
      Textzeuge 2: denen

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