Aufführungsbesprechung Mannheim: „Der Kosacken-Offizier“ von Charles-François Dumoncheau und Luigi Gianella am 20. September 1810

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Mannheim, den 20. Sept. 1810.

Der Kosacken-Offizier. Zwey Komponisten aus der französischen Schule, Dumouchan und Gianella, vereinen ihre Kräfte, um in Gemeinschaft folgendes Sujet zu einem Operettchen in einem Akte zu bearbeiten.

Feodor, ein junger Kosacken-Offizier, leichtfertig aber brav, kommt aus dem Felde zurück, um die Winterquar¦tiere bei seinem Oheim, einem russischen Generalmajor, zu beziehen. Er liebte von frühester Jugend an die Mündel dieses Onkels, Zeliska, sie aber glaubt sich von ihm vergessen, und steht ans Verzweifelung darüber so eben im Begriffe, sich mit dem Oheim zu verloben.

Feodor bringt ein Schreiben des Czaaren mit, worin dieser dem Oheim sein Mißfallen über das tolle Betragen des jungen Menschen eröffnet. Diese freilich nicht sehr arantagöse Art, sich seiner Geliebten zu präsentiren, bestärkt diese noch mehr in dem Vorsatze, ihre Verbindung mit dem Onkel zu beschleunigen, bis endlich ein General-Adjudant des Czaaren die Nachricht überbringt: das Schreiben des Czaars sey nur Spaß gewesen, Feodor habe sich vielmehr durch sein ausgezeichnet gutes und tapferes Betragen die Stelle seines Lieblings erworben, er habe ihn daher zum Grafen und Obersten der Kosacken erhoben, und wünsche dessen Verbindung mit Zeliska. Der Onkel macht den Onkel in der Komödie, tritt Feodorn mit Vergnügen die Braut ab, und das Stück ist aus.

Zu dieser Geschichte wird nun verschiedenes gesungen, auch, wie billig, etwas weniges kosackisch getanzt. Die Musik im Ganzen läßt das Erinnerungsvermögen nicht ohne angenehme Beschäftigung; besonders auffallend ist es, in der Ouvertüre eine ganze Stelle aus Don Juan vorkommen zu sehen. Es ist die, welche in der Ouvertüre zu Don Juan Takt 23 und dann noch einmal, bei der Ankunft des Geistes in Don Juans Zimmer, vorkommt:
Altre cure più gravi di queste“ – „Andre Sorgen weit wicht’ger als diese.“

Uebrigens sind unter den Musikstücken (größtentheils in G dur) verschiedene sehr artig. Sie bestehen aus Arietten, aus wiederkehrenden Strophen, auch etwas an Duetten &c. Jedes steht aber einzeln und ohne Bezeichnung auf die andern; das Finale allein dringt etwas tiefer in die Situation ein; es beginnt da, wo alles über den Bericht des Adjudanten in Erstaunen geräth. Im langsamen Zeitmaße treten in den mittlern Stimmen die Dissonanzen d’’ und cis’’ frei und hart, aber pianissimo, neben einander, um sich erst spät in konsonirende Akkorde aufzulösen, welches eine glückliche, der Situation ganz entsprechende überraschende Wirkung thut; eben so gebührt auch der gleich darauf folgenden Stelle ihr Lob, wo die beiden Liebenden in einem Duette sich einander wieder nähern, welches durch des Onkels großmüthige Verzichtleistung zum Terzette wird, und bald in einen frohen Schluß-Chor übergeht.

Im Ganzen scheinen die beiden Allianzkomponisten unter sich selbst nicht ganz einig über den Umfang gewesen zu seyn, welchen sie den Singparthieen geben wollten. Der Onkel hat meistens sehr hohen Baß zu singen, und gränzt ganz nahe an förmlichen Tenor. Eine Arie aber, welche er aus F dur zu singen hat, hält sich durchgängig in den Regionen des tiefsten Basses auf. – Auch die Rolle des Micholtz, eines alten Unteroffiziers, ist eben so zweydeutig.

Von der Aufführung ist nichts besonders zu sagen, Mad. Gervais läßt keine Rolle sinken, Herr Gerl sang wie er seit einiger Zeit leider immer zu singen pflegt. Wo Herr Hoffmann erste Tenor-Rollen und Tenor-Arien singt, würde Kritik am unrechten Orte stehen; er ist als Baritono buffo beliebt, und es ist lobenswerth, daß er auch in andern Fächern auszuhelfen willig ist; ist es aber auch lobenswerth, daß ihm diese Tenor-Rolle nicht heute allein, sondern von Anbeginn an ständig zugetheilt ist? – Die Chöre – Ja die Chöre! so viel ich hören konnte, bestund der Männer-Chor heute aus circa 3 Personen; allein dafür war er schon im voraus auf Mittel gedacht, die Zuhörer auf einer andern Seite zu entschädigen. Um nämlich dem Eintritt des die Depeschen des Czaars überbringenden Adjudanten den gehörigen Pomp zu geben, mußten in das Zimmer des Generalmajors, zugleich mit dem ankommenden Adjudanten, sechs bis acht Mann Musquetiers mit Ober- und Untergewehr und aufgepflanztem Bayonette aufmarschiren, und die Stubenthüre besetzen, die von diesem Augenblicke an beständig offen steht; eine Zeremonie, welche zwar in Rußland, zur Winterszeit, nicht allzusehr erhitzen möchte, wodurch aber doch der schöne Theater-Coup erzielt wurde, daß, als der neue Kosacken-Oberste durch die offene Thüre eintrat, oben belobte sämmtliche Musquetiere das Gewehr präsentiren konnten!! Gewiß ein würdiges Mittel, der Oper erforderlichen Pomp zu geben!

G. Gst.

Apparat

Zusammenfassung

Schreibtafel von Mannheim: „Der Kosacken-Offizier“ von Charles-François Dumoncheau und Luigi Gianella

Generalvermerk

Die Schreibtafel von Mannheim (Nr. 1–16) war anfangs als Beilage zur Rheinischen Correspondenz erschienen; als diese Zeitung jedoch Ende Oktober 1810 verboten wurde, bestand sie ab Nr. 17 selbständig weiter, vgl. Weber-Studien, Bd. 4/1, S. 49.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Schreibtafel von Mannheim, Nr. 17 (31. Oktober 1810), Bl. 1r

Textkonstitution

  • „Dumouchan“sic!
  • „die“sic!
  • „ans“sic!

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