Rezension von Carl Maria von Webers Ouvertüre zum „Beherrscher der Geister“ (WeV M.5)

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Ouvertura de l’Opéra: Der Beherrscher der Geister, pour 2 Violons, 2 Hautbois, 2 Clarinettes, Flûte, Flûte picc. (petite Flûte) 2 Bassons, 3 Trombones, 4 Cors, 2 Trompettes, Timbales, Alto et Basse, comp. – par Charl. Marie de Weber. Op. 27. Leipzig, chez Kühnel. (Preis 1 Rthlr. 16 Gr.)

Noch sind die Aesthetiker nicht einig über den eigentlichen Zweck der Ouverture – über die Frage, ob sie eine Skizze, gleichsam einen Elenchus oder Argumentuin des ganzen Stücks enthalten, und dessen Gang, wie in einem Zauberspiegel, voraus ahnen lassen, oder ob sie, gleichsam blos Introduction, nur auf die erste Scene des Stückes vorbereiten, oder endlich, ob sie den Zuhörer im Allgemeinen in diejenige Stimmung versetzen soll, in welcher er für den Total-Eindruck der ganzen Oper am empfänglichsten seyn wird. Der Streit lässt sich eher schlichten, als entscheiden, denn nach Umständen kann jede der obigen dreyerley Tendenzen zweckmässig seyn, und leicht mag wieder ein andrer Tonsetzer, noch einen vierten, von allen obigen wieder ganz verschiednen Zweck ersinnend, und bey seiner Ouverture sich vorsetzend, auch daran ebenfalls Recht haben. Keiner unter jenen verschiednen Ansichten gebührt ein Monopol; keiner ist der einzig wahre Weg zum Heil, so wenig als irgend einer der unfehlbare.

Darum hat denn auch Rec. die verschiedenen recipirten Tendenzen der Ouverture nur deshalb oben gesondert und classifizirt, um bestimmter die Klasse angeben zu können, in welche das jetzt zur Anzeige vorliegende Werk gehört. Offenbar nämlich, in die dritte! Sie spricht laut und unverkennbar die Sprache aus jener Welt, in welcher höhere Geister wirken und weben, und erhebt das Gemüth des Zuhörers aus der prosaischen Wirklichkeit in die | gespanntere Stimmung, welche ihn der Geisterwelt näher bringt.

Eine , nach solcher Ansicht geschriebne Ouverture kann denn, auch an und für sich allein, und ohne Zusammenhang mit der Oper, im Concertsaal, nicht anders, als höchst interessant seyn; nur aber möge sie doch ja Niemand als blosse und eigentliche Kammer-Musik (wenn ich so sagen darf) anhören und beurtheilen – was denn sonst manche andre gute Ouverture wol verträgt, der vorliegenden aber grosses Unrecht zufügen würde, da ihr hoher und eigenthümlicher Werth eben nur in der Tiefe und Wahrheit der Darstellung jenes höheren Lebens und Treibens besteht, und sie auch viel zu wenig das ist, was man für das Gehör nennt, und auch viel zu kurz, um mit solchen Ohren angehört zu werden.

Rec. will versuchen, den Lesern das interessante Tongemälde so gut zu beschreiben, als es sich durch Worte und gedrängte Auszüge thun lässt.

Die herkömmliche langsame Introduction verschmähend, kündigt der Componist gleich mit der imponirenden Gewalt des, hier durch sechs, in der Folge aber durch nicht weniger, als neun Blechinstrumente gehobnen Orchesters, die höhere Kraft der Geisterwelt an: und erst nach einer, auf obige coordinirte, breite Rhythmen folgenden Fermate kommen mildere Geister an die Ordnung des Vortrags: ¦ Ein wortreicherer Sprecher nimmt die Rede auf: und reisst bald den ganzen Geisterchor zum Einstimmen in analogen Formen mit sich fort.

Erst ein zweytes, Fermate! verschafft wieder sanftern Rednern Gelegenheit zu Wort zu kommen; in zauberischer Einfalt sprechen erst Hoboe, dann Flöte zu den Herzen: | An diesen Gesang, den man als das 5te Subject des Stücks ansehen kann, schliessen sich in der Folge mehrere Instrumente theilnehmend an, und helfen durch einen zweyten Theil die zarte Scene auszumalen:

Wie nun diese Anlage des Stücks sich in der Folge weiter verflicht und wieder entfaltet, würde eine, die Gränzen dieser Blätter überschreitende, und doch ungenügend bleibende Beschreibung erfordern. Nur einige Züge auszuheben sey noch erlaubt: wie, bald ein milderer, bald ein gewaltiger Sprecher ein früheres Thema aufnimmt, und nach seiner Art individualisirt, vorträgt. So z. B. auch ein Mal: ¦ – ein Spukgeist, ein Irrwisch, oder göthescher Mephistopheles, der, echt humoristisch, gern auch ein Mal im Ton der edlern Geister mitsprechen, das erste, oben ausgehobne Flöten-Thema aufnehmen möchte, aber nicht recht weiss, wo und wie er’s anfassen soll, und es immer nicht recht trifft, und so lange hin und wieder flackert, bis ihm endlich vernünftigere Sprecher das Wort wieder abnehmen! Wie edel und herrlich ist es dagegen, wenn die Einfalt des obigen Hoboen-Gesangs in der Folge in hoher, prachtvoller Verklärung geadelt erscheint, als Gesang der ersten Trompete, allein von den übrigen 8 Blechinstrumenten begleitet: wenn dann nach und nach wieder die übrigen Instrumente in diese Verklärung einstimmen, bis zuletzt der volle Chor sich gewaltig mit in den Strom der Empfindungen stürzt, und in der, auf einen Orgelpunct der Dominanten eintretenden harten Tonart, triumphirend den Schluss des Ganzen herbeyführt!

Rec. muss hier diejenigen seiner Leser um Verzeihung bitten, welche in jeder öffentlichen | Relation über ein erscheinendes Kunstwerk, zu herkömmlicher Beurkundung der Unparteylichkeit des Recensenten wenigstens eine mässige Portion Tadel erwarten, und diese in obiger Anzeige vermissen. Rec. mag lieber wahr seyn, als unparteyisch scheinen, und ist darum der Meinung, dass, wenn eine Sache ganz das ist, was sie seyn soll, und eine so hohe Aufgabe so vollendet löset – dass dann das Aufspüren kleinlicher Nebengesichtspuncte ebenfalls kleinlich, und Ostentation wäre.

Gottfried Weber.

Apparat

Zusammenfassung

Rezension über Carl Maria von Webers Ouvertüre zum „Beherrscher der Geister“ (WeV M.5)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 15, Nr. 38 (22. September 1813), Sp. 624–629

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