Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 9. August 1817

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Am 9. August. Così fan tutte, von Mozart.

Das Vergnügen, womit wir uns dem Genzuß dieser herrlichen Oper heute hingaben, war um so vollkommner, da der Nachhall der vorigen Aufführung noch in uns ertönte, denn nur wenn der Wiederklang jenen weckt, wird das Verstehen und Genießen einer durchgeführten Musik vollendet. Wie köstlich ist gleich die Ouverture! welch’ reges Leben! jeder musikalische Gedanke scheint hier sein Recht behaupten, seine Meinung verstreiten zu wollen, und doch ist dabei kein Stückwerk, nichts Kleinliches; wie Strahlen zum Sonnenschimmer, so verwebt sich alles. Der fröhlichste Humor, der sicherste Uebermuth sprechen sich in dem reizenden Terzett: „’E la fede delle femmine ganz aus und schürzen den Knoten des Stücks. Die Musik des ersten Duetts der Schwestern drückt wahre Herzensseligkeit aus im traulichen Kosen und Plaudern von dem geliebten Gegenstand. Meisterhaft ist das nächste Quintett, höchst charakteristisch ist es, wie die Mädchen ihr wahres Gefühl in gebundenen sanftverschmelzenden Tönen äußern, während die sich verstellenden Liebhaber in kurzen abgestoßnen Noten sie unterbrechen, und der Alte sein komisches: „saldo amico“ so schlau und scherzend darein ruft, so wie es auch sinnig ist, daß beide Liebhaber dann die verabredete Tröstung so mit gleichen Worten und gleichem Takt aussprechen, daß man ihr das Vorbereitete, nicht aus dem Herzen Kommende gleich anhört. Wie wahr und innig sind dagegen die abgebrochnen Klagelaute der weinenden Mädchen. Unbeschreiblich schön ist das folgende kurze Terzett: „Soave sia il vento, in dessen zart schwebender Begleitung alle Lüftchen zu säuseln, alle Wellen zu wogen scheinen, um die liebenden Wünsche sanft und lind zum Himmel empor zu tragen; es wurde herrlich ausgeführt. Sehr wirkungsvoll ist die Art, wie Dorabellens heftigeres und eben deshalb minder tiefes Gefühl sich im nächsten Recitativ ausspricht, und der launigste Muthwille selbst scheint Despinens Ariette componirt zu haben. Das nächste große Quintett verwebt sich nun so kunstreich zugleich mit allen Fäden der Intrigue und schließt mit so raschem Feuer, daß es, wie es soll, mehr spannt als befriedigt. Immer zudringlicher werden nun die Töne bis Fiordiligi’s hoher edler Ernst sie hemmt, ihre große Arie ist ein Meisterwerk, die Kraft der Treue und des reinen Sinnes trefflich ausdrückend, höchst genial ist es, wie sogleich nachher die drei Männer in so ausgelaßnes Lachen und Scherzen kommen; dieser von jeder Gemeinheit weit entfernte, ächt humoristische Styl unsers großen romantischen Tondichters ist mit Cervantes und Shakespeares Laune zu vergleichen. Die süßen, weichverschmolznen Töne von Ferrando’s lieblicher Cavatine söhnen uns mit einem Herzen, welches so zu täuschen vermag, einigermaßen aus. Das Finale beginnt mit einem reizenden Duett der Schwestern, in welches die Flöte so rührende Töne haucht, daß sie die Nachtigall scheint, die um die Rose klagt; ausdrucksvoll, geist- und lebenreich ist das wahrhaft große Finale durchgeführt, und das zarte Mitleid und feurig rege Ehrgefühl der Frauen bereitet hier den glänzendsten Schluß. Doch Langeweile und Muthwille geben bald der Sache eine andere Wendung; ächt mädchenhaft ist das erste Duett der Schwestern im zweiten Akt, sie bedürfen Zeitvertreib, sie wollen spielen und tändeln mit der Liebe, der leichteste Scherz spricht aus diesen ¦ Tönen, die fern von jedem Anklang eines tiefern Gefühls sind. Doch nun wird der Zauber der Musik gegen die Mädchen gebraucht, das Fest im Garten beginnt und das Duett der Männer vom Chor unterstützt und nur von Blaseinstrumenten begleitet, ist wundervoll schön componirt, berauschend scheinen diese Klänge in träumerisches Selbstvergessen zu wiegen, zu süßer Luft hinzulocken. Die Verwirrung, die Uneinigkeit mit sich selbst und die noch zagende Lüsternheit nach Freude, drückte unsere Sandrini in dem Ausruf: „Oh che bella giornata!“ ganz allerliebst aus. Das Duett zwischen Guglielmo und Dorabella athmet dallen Zauber der Verführung, der Uebergang vom Bitten zum Tändeln und endlich zum allesvergessenden Entzücken ist meisterhaft ausgemalt und um so charakteristischer, da man doch durchfühlt, diesem Mann ist es kein Ernst. Innig ergreifend ist die nächste Scene, der Ausruf Fiordiligi’s: „tu vuoi tormi la pace“ kommt aus tiefster Seele und ist einzig schön in der Musik ausgedrückt. In dem großen Recitativ und der herrlichen Arie fühlt man den schweren Kampf, den dies edlere Mädchen mit sich selbst kämpft, sie empfindet die fremde Glut, die ihre Phantasie entzündet, und doch ist ihr Herz noch treu; mit der rührendsten Weichheit bittet sie im Geist den Geliebten um Verzeihung und möchte sich in ewige Schatten verhüllen. Vortrefflich trug Mad. Sandrini diese schöne Scene vor, jede Verzierung ihres Gesanges erhöhte noch diesen seelenvollen Ausdruck, und der chromatische Laufer, mit dem sie so rein und leicht durch die Töne schwebte, war bei dem Wort: „a scoso“ sinnig schön angebracht. Einzig ist die frohe übermüthige Laune in Guglielmo’s Arie ausgedrückt, und die kurze Cavatine Ferrando’s zeigt treffend seinen fast sprachlosen Schmerz. Mit verführerischem Scherz bestürmt Dorabella auch noch die bessere Schwester, die alles aufbietet, um sich treu zu bewahren. Groß und mit tiefer Seelenkunde ist das herrliche Duett zwischen ihr und Ferrando geschrieben, nur die heftigste Erschütterung, nur die glühendste Sprache der Leidenschaft kann dieses tieffühlende Mädchen zum Schwanken und Nachgeben bringen, welch’ ein Kontrast liegt in dieser Musik gegen die eitle Tändelei, welche Dorabellen besiegte! Mit gutmüthig komischer Laune entschuldigt nun der Alte die Frauen, und sein: „Così fan tutte“ muß dem Ernstesten ein Lächeln entlocken. Das Finale ist ein großes Tongemälde, mit allem Zauber des Farbenreichthums geschmückt; die wonnetrunkene Lust spricht aus allen Klängen; das pathetisch Komische tritt in der Gestalt der verkleideten Despina hinzu, plötzlich wecken aber die sonst so geliebten kriegerischen Klänge alle Erinnerungen, das Wiedersehen, Schrecken, Angst, Reue, Ueberraschung, Versöhnung, alles folgt im raschen Wechsel, die kühnen Harmonien rauschen dahin, so deutlich sprechend, daß Worte unnöthig werden; in froher Laune löst sich die Täuschung, welche Laune knüpfte, und eben so originell als allerliebst ist der Schlußchor, der alles zum Besten zu kehren sucht. Wie die Kunst des unsterblichen Mozart es anfing, dies anmuthige Spiel so zu bilden, dies gehört nicht hierher, hätten wir die Partitur vor uns, so ließen sich tiefere Blicke thun, nur was sie dem Sinn bietet, wollten wir mit leichtem Fingerzeig andeuten, um dem Zuhörer zu erleichtern, mit dem Geist zu folgen und des gehabten Genusses sich klar bewußt zu werden; alles übrige bleibe den gelehrten Kunstrichtern überlassen.

C.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Cosi fan tutte“ von Mozart am 9. August 1817

Entstehung

vor 21. August 1817

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Veit, Joachim

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 200 (21. August 1817), Bl. 2v

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