Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 4. bis 6. Oktober 1817
Am 4. October. Le lagrime d’una vedova, von Generali. Zum erstenmal hörten wir diese reizende kleine Oper hier; sie gehört zu der Gattung, die man in Italien „farsa“ benennt, welche halb komischen, halb sentimentalen Inhalts sind, und ursprünglich nur aus einem Akt bestehen.
Unstreitig wird durch die Theilung in zwei Akte und durch mehrere zur Verlängerung nöthige eingelegte Arien, der rasche Gang des Ganzen etwas gehemmt und gestört, doch sind alle hinzugefügten Musikstücke recht passend, so daß diese Operette einen äußerst angenehmen Eindruck macht. Die Musik ist leicht ohne unbedeutend zu seyn, sie ist mit Geist, Anmuth und Originalität geschrieben, sehr gut instrumentirt und reich an kleinen, genial scherzhaften Zügen, welche in empfänglichen Gemüthern die lebhafteste Freude erwecken. Gleich in der Ouvertüre ist der Character des Ganzen sehr treffend angedeutet. Reizend ist das erste Quartett, wo Ermelinda glaubt, die geliebten Töne zu hören und sie schwärmerisch dem theuren Schatten zuschreibt, während die Andern suchen, sie zur Lebenslust und Freude zurückzurufen. Die erste Arie des Arztes war sehr im Character und recht angenehm vom Kapellmeister Fr. Schubert dazu componirt. Originell, voll Geist, Schalkhaftigkeit und Leben ist die zweite große Arie des Arztes, während welcher die Flöte vor dem Fenster ertönt; ein würdiges Seitenstück dazu ist die nächste köstliche Scene, wo der arme hungrige Philosoph in den hochtrabendsten Ausdrücken der reizenden Wittwe ihre Treue rühmt, während diese von den verführerischen Flötentönen zerstreut und entzückt ihn, den Späterblickten, nur los zu werden sucht. Das nächste Duett zwischen Ermelinden und Fernando ist ein glücklich ausgedrückter steter Kampf zwischen den Gefühlen der Schicklichkeit und der glühendsten Liebe. Allerliebst ist das Schlußterzett, wo der Scherz, daß der Arzt als heilendes bindendes Pflaster einen Augenblick lang beider Hände vereinet und dann schnell wieder trennt, mit genialem Feuer in der Musik ausgesprochen ist und von Benincasa mit unnachahmlicher Laune vorgetragen wurde; die wachsende Unruhe beider; dies: „guaritemi, guaritemi!“ womit sie den gutmüthigen Arzt bestürmen, dies durch die ganze Musik pulsirende steigende Herzklopfen, macht dies Terzett zu einem Stück, wel ¦ ches überall, wo nur Tonsprache verstanden wird, hinreißend wirken muß. Finettens niedliche Cavatine und Alberto’s große Arie im 2ten Akt wurden von beiden recht brav vorgetragen, aber die trefflichste Scene der ganzen Oper ist die nächste zwischen Ermelinda, dem Arzt und dem Schriftsteller. Mad. Sandrini, welche die ganze Rolle mit ungemeiner Grazie und Zartheit gab, war hier besonders wahrhaft bezaubernd. Die nächste Arie Aristipp’s, wo die Begleitung der Trompeten und Pauken sich recht gut zu der kräftigen Baßstimme gesellte, war von Signor Sassaroli componirt. Das Finale ist ebenfalls gelungen. Signor Ricci’s Gesang war diesmal weit befriedigender als in frühern Rollen, obgleich seine Stimme für das Theater etwas zu schwach ist; seine erste Arie war von ihm selbst componirt. Sein Spiel kann hier, wo wir an Leben, Gewandheit und Ausdruck gewohnt sind, gar nicht gefallen, die Naturgaben sind ihm dazu versagt.
In dem Zwischenakt wurde ein ganz ausgezeichnet schönes Adagio nebst Polacca, von Winter componirt, von der Kapelle und besonders vom Herrn Kammermusikus Roth sen., der die Soloparthie der Clarinette vortrug und von dem Waldhornisten Herrn Kretschmar, der ihn begleitete, meisterhaft ausgeführt. Es war wohl sehr unbillig, daß kein lautes Anerkennen dem Künstler dankte, der auf der so sehr schwierigen Clarinette an Ton, Gefühl und Vortrag der Erste in Deutschland ist. Lebt doch die süße Kunst der Töne nur in dem Augenblick, in ihm muß Sinn und Gefühl ihr lohnen, wenn der bescheidne Künstler nicht muthlos verstummen soll.
Am 5. Oktober. Der häusliche Zwist. Herr Wilhelmi aus Prag gab als dritte Gastrolle den Nachbar mit einem achtungswerthen ruhigen Spiel ohne Carricatur. Hierauf folgten die Vertrauten, eine der vorzüglichsten Leistungen im Lustspiel, welche unsre Bühne aufzuzeigen, und deren Trefflichkeit der geniale Dichter dieses Stücks selbst vorm Jahre, als er bei einer Aufführung zugegen war, lebhaft anerkannt hat. Herr Wilhelmi spielte den Herrn von Staar recht lebendig und belustigend, doch möchten wir das allzu trippelnde seines Ganges, als für diesen Character zu sehr aufgetragen, nicht passend finden.
Am 6. October. Wiederholung der vornehmen Wirthe.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: 4. bis 6. Oktober 1817 / „Le lagrime d’una vedova“ von Pietro Generali am 4.Oktober 1817
Entstehung
vor 17. Oktober 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 249 (17. Oktober 1817), Bl. 2v