Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Zwillinge“ von Klinger am 18. August 1818 (Teil 2 von 2)
Die Zwillinge.
(Beschluß.)
Noch eine Scene hat der Bearbeiter im 2ten Akt zwischen Camilla und Ferdinando eingelegt, in welchem dessen Ahnung von der Eiche, an der er nachher ermordet wurde, weitläufiger entwickelt ist. Klinger deutete dies blos in der 2ten Scene des 2ten Aufzugs in einer Rede Ferdinando’s, nur mit wenigen Worten an, merkwürdig genug als eine Hinneigung zu der Schicksalsmanie mehrerer der neuesten Dichter. Wir rechten nicht mit dem Bearbeiter, daß er eben der neuern Ansicht halber dies näher bezeichnete, und loben vielmehr auch die Scene um deswillen, weil doch durch sie Camilla’s und Ferdinando’s Zuneigung sich inniger aussprechen kann, als es im Original nirgends geschieht, und durch die milde Zartheit dieses Auftritts der darauf folgende mit Guelfo und Camilla voll wilder Leidenschaft der erstern, einen erhebenden Kontrast erhält.
Indem wir so unsere Meinung über das Stück selbst, mit der Anspruchlosigkeit und dem Wunsche, eines andern belehrt zu werden, der, wie wir uns bewußt sind, allen unsern Beurtheilungen zum Grunde liegt, kurz vorgetragen haben, müssen wir, durch den Raum dieser Blätter beschränkt, über die Darstellung selbst noch kürzer seyn.
Sie war im Ganzen gewiß eine gelungene zu nennen. Hr. Hellwig eignet sich durch Wärme des Gefühls, Kraft und Ausdauer des Organs, so wie durch körperliche Gestaltung, ganz für die höchst angreifende Rolle des jungen Guelfo, und er hat sie mit wahrem Studium, das hier bei dem Abgerissenen des Dialogs und bei dem steten Ueberspringen aus einer Gemüthsbewegung in die andere, sehr schwierig, und also auch bei gelungener Leistung um so verdienstvoller ist, durchgeführt. Wir sehen recht wohl ein, um wie viel mehr Wirkung der vierte Akt, besonders die Scene vor dem Spiegel, hervorbringen muß, wenn der Schauspieler alle Kraft bis auf diesen Moment spart, und in den frühern Scenen nur gleichsam den Charakter skizzirt; aber wir fragen dann auch wieder, ob er wahr gewesen ist in seiner Darstellung, bei einem Stücke, wo gleich in dem ersten Auftritt die ganze Fülle zurückgehaltener Empfindung des Ehrgeizes, der Liebe, des Hasses, der Rache übersprudelt, in jeder der folgenden eine ganze Hölle aufbraust, nur die Liebe zur Mutter und einige wehmüthige Erinnerungen, ihn für Augenblicke milder stimmen, dann aber die Furien wieder um so enger ihn umgarnen. Wir fragen, ob nicht dies besonders in der ersten Scene des dritten Akts mit Grimaldi der Fall ist, wo er in die Rede ausbricht: „Laß uns die Menschen anfallen, wenn das Eltern thun! Laß sie uns zerreißen! Zerbrich Dein Schwert und wetze Deine Zähne! O ich werde wahnsinnig!“ Und ob dies nicht der höchste Gipfel ¦ der gesteigerten, sich selbst verzehrenden Kraft sey? Vielmehr scheinen uns nun nach vollbrachter That, also eben gegen den Schluß zu, die Ausbrüche dieser Kraft stiller werden zu müssen, weil nun der Krater gleichsam in sich selbst zerfallen ist, die Lava ausströmte über das heitre Gebiet fremden Lebens, und es, der zerstörenden Wuth genugthuend, vernichtete. Dann beseelt ihn mehr Grimm, der gegen sich selbst wüthet, also mehr nach innen, nicht Haß gegen andere, der nach außen sich gestaltet. Und nach diesen Ansichten schien uns auch Hr. Hellwig den Charakter Guelfo’s aufzufassen, ihn zu einem Ganzen bildend, nicht blos zum Effekt einzelner Scenen.
Nächst ihm zeichnete sich durch die Innigkeit und Wärme ihres Spiels Mad. Hartwig als Amalia aus. Man muß selbst liebende Mutter seyn, um diese Seelenangst, um das geliebte Kind so darstellen zu können. Sie wollte vergehn im eignen Schmerz, und stand doch aufrecht, sobald es galt, die Vertheidigerin des Sohnes zu werden, der ja eben um so geliebter war, jemehr er der mütterlichen Verzeihung bedurfte. Es ist wohl der reinste und schönste Charakter, den Klinger in diesem Stücke geschildert hat, und er fand einen treuen Spiegel in der Darstellung dieser Künstlerin. Vor allem ausgezeichnet war der nächtliche Auftritt mit Guelfo im dritten Akt; wäre der Schluß etwas gekürzt gewesen, müßte er den lautesten Beifall erweckt haben.
Voll düstern Ernstes, der doch manchmal schmolz in Vaterzärtlichkeit, edel und würdevoll, gab Hr. Werdy den Vater Guelfo; mild und lieblich, eine sehr reizende Erscheinung, stellte Dem. Schubert die Camilla dar, und die vom Dichter wohl zu unbedeutend gehaltene Rolle des Ferdinando ward von Hrn. Wilhelmi so gut durchgeführt, daß man dennoch Interesse an dem freundlichen Jüngling, dem verzeihenden Bruder nehmen mußte.
Sichtlich lag in der Darstellung des Grimaldi, von einem der geachtetsten Künstler unsrer Bühne, Nachdenken und Fleiß; wir müssen aber bekennen, daß es uns nicht schien, als ob er den wahren Charakter dieses Mannes aufgefaßt hatte. Freilich ist er leicht der schwierigste im Stück, aber doch muß er wohl mehr Ritterliches, Gehaltenes, und dadurch Einnehmenderes, Einschmeichelndes von dem Künstler beigemischt erhalten, wenn man glauben soll, daß ihn die schöne, geistreiche Juliette einst liebte, daß ihm der männliche, tiefblickende, regfühlende Guelfo gern um sich dulden, in sein Herz alle Geheimnisse ausgießen kann. Den bloßen Schwächling hätte er von sich zurückgescheucht, diese Pole konnten sich nicht berühren. Indem wir dem denkenden Künstler unsre Ansicht in dieser Skizze mittheilen, sind wir seiner freundlichen Aufnahme derselben versichert.
Th. Hell.Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Zwillinge“ von Klinger (Teil 2 von 2), der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 206 (29. August 1818), Bl. 2v