Julie Brauer an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Dresden, Dienstag, 19. April 1870
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1870-04-15: to Jähns
Folgend
- 1870-10-18: an Jähns
Korrespondenzstelle
Vorausgehend
- 1870-04-15: an Jähns
Folgend
- 1870-10-18: an Jähns
Geehrter Herr Musikdirektor,
Zunächst möchte ich den Punkt erledigen, der Sie bedenklich macht, ob Sie damit der Freundschaft zu nahe getreten wären; zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen sagen, daß wir beide der Ansicht sind, daß die Freundschaft auf schwachen Füßen stände, welche nicht ein so offenes herzliches Wort vertragen könnte, wie das Ihrige ist, und dessen Motiv ein von meinem Mann so wohl gekannten und verstandenen Enthusiasmus für Weber’s Werke ist. Es thut mir leid, daß ich Ihnen die Freude nicht bereiten kann, aber mein Mann kann sich nicht entschließen, sich von beiden Handschriften* zu trennen, hat mir aber für spätere Zeiten freie Verfügung darüber | gestattet, jedoch mit der bestimmten Weisung, dieselbe nicht zu einem Gegenstande kaufmännischer Speculation zu machen. Sollte ich mich dann entschließen sie wegzugeben, so können Sie versichert sein, daß ich sie Niemand Andrem als Ihnen überlassen werde.
Die gegenwärtige Besitzerin der Emoll Sonate ist eines‡ von meines Mannes frühsten und vorzüglichsten Schülerinnen, dazu unsere beiderseitige langjährige Freundin, und gründliche Kennerin und Verehrerin der Weberschen Sachen. Sie hat in der langen schweren Zeit seiner Krankheit eine so unermüdlich thätige Theilname gezeigt, daß er immer das Verlangen hatte ihr einmal irgend eine Freude bereiten zu können; da sie nun die Mittel besitzt, sich Alles zu verschaffen, was ihr Herz wünscht, so lag es ihm nahe, ihr auf diese Weise, durch Schenkung des Manuskriptes etwas ganz Einziges und damit ein bleibendes Andenken zu überlassen*.
Ueber die Euryanthe kann ich Ihnen | Nichts Neues mittheilen; es steht nirgend etwas Anderes, als was ich Ihnen buchstäblich abgeschrieben habe. Es ist zu beklagen, daß sich Herr v. Weber nicht die kleine Mühe einer genauen Einsicht in den Clavierauszug, genommen hat, den er ja zu finden gewußt hätte*.
Mein Mann dankt Ihnen herzlich, für Ihre freundschaftliche Theilnahme, und läßt Sie bitten, bald wieder einmal von S‡ich hören zu lassen; Nachrichten von seinen Freunden zu bekommen, gehört zu den wenigen Dingen, die ihm Freude machen.
Herzlichen Gruß, auch an Ihre liebe Frau von
Ihrer
treuergebenen
Julie Brauer.
Apparat
Zusammenfassung
J. hatte offensichtlich angefragt, ob Friedrich Wilhelm B. ihm das Autograph der Messe u. des Offertoriums verkaufen könne, B. lehnt es jedoch ab; nach seinem Tode hätte er ihr, Julie B., freie Verfügung darüber überlassen, und sie würde ganz sicher J. die Handschriften überlassen; die e-Moll-Sonate hat F. W. B. seiner Schülerin Elise Einert geschenkt; zum Euryanthe-Klavierauszug kann sie über das bereits Mitgeteilte nichts hinzufügen
Incipit
“Zuerst möchte ich den Punkt erledigen, der Sie bedenklich macht”
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung
Textkonstitution
-
„s“durchgestrichen
-
„S“„s“ überschrieben mit „S“
Einzelstellenerläuterung
-
„… entschließen, sich von beiden Handschriften“Neben dem Autograph der Es-Dur-Messe und des dazugehörigen Offertoriums ist vermutlich auch der von Weber annotierte Erstdruck des Euryanthe-Klavierauszugs (Exemplar heute in D-B, Weberiana Cl. IV A, Bd. 117) gemeint.
-
„… ein bleibendes Andenken zu überlassen“Im Werkverzeichnis (S. 345) ist fälschlich angegeben, dass Elise Einert schon 1868 im Besitz des Autographs von Webers Klaviersonate Nr. 4 war; laut Zusatz auf dem Titelblatt übereignete F. W. Brauer das Autograph (heute F-Pn, Ms. 400) seiner ehemaligen Schülerin erst am 1. Januar 1870.
-
„… ja zu finden gewußt hätte“Max Maria von Weber hatte die Aufschrift des von seinem Vater annotierten Euryanthe-Klavierauszugs (Exemplar heute in D-B, Weberiana Cl. IV A, Bd. 117) im Lebensbild (B. 2, S. 537) falsch zitiert: „So hat Herr Capellmeister Conradin Kreutzer meine Euryanthe zugerichtet“.