Rezension und Aufführungsbesprechung Hamburg: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Februar 1822 (Teil 1 von 5)

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Die Oper hat zum Inhalt eine alte böhmische Volkssage, mit welcher der geistreiche, der Dichtkunst und der Wissenschaft zu früh verstorbene Apel das von ihm und Laun gemeinschaftlich herausgegebene Gespensterbuch eröffnete, *) welches ähnlicher Dichtungen mehrere enthält. Ueber die Besorgniß, daß durch dergleichen Erzählungen der Glaube oder der Aberglaube im Betreff des Wunderbaren und des Geisterreiches frische Nahrung erhalten möchte, haben sich jene Verfasser selbst so genügend erklärt, daß nur schwache Gemüther oder solche, welche allen Spielen und Schöpfungen der Phantasie abgeneigt sind, noch Anstoß daran nehmen können. Ja der Gegenstand hat selbst eine recht ernsthafte Seite, wie uns der tiefblickende Apel dieselbe kennen gelernt hat. – "Wie der Mythus die Dämmerung bezeichnet, – sagt er in seiner Nachrede, **) – vor dem Sonnenaufgang des Glaubens, Götterdämmerung als Morgen, – so ist die Gespenstersage das Zwielicht vor dem vollen Tage der Erkenntniß. Denn Wunderbar nennen wir das, dessen Grund wir in unserer Bekanntschaft mit der Natur nicht auffinden, und wahre Aufklärung verdrängt den Wunderglauben, indem sie jene Bekanntschaft erweitert, und das Wunderbare begreifen lernt; während die vermeynte, eingebildete Aufklärung die Thatsache selbst läugnet, weil sie das Wunderbare an ihr nicht begreifen kann, und es deshalb für unbegreiflich zu halten pflegt. So verfuhr sie z. B. mit den alten Nachrichten von Donnerkeilen und Steinregen &c. Eine Geschichte des Wunderglaubnes also wäre für die Naturkenntniß dasselbe, was eine Geschichte der Religionen für die Theologie. Da wir, ohne zu erröthen, gestehen dürfen, daß unsere Naturerkenntniß wenigstens noch im ersten Aufdämmern sey, so | befinden wir uns in Ansehung des Wunderglaubens auf der Stufe, auf welcher wir polytheistische Nationen in Ansehung ihrer Mythen erblicken." – Uns so können getreu überlieferte Sagen, welche von diesem Wunderglauben ausgegangen sind, dem Psychologen wie dem Naturforscher überhaupt von der bedeutendsten Wichtigkeit erscheinen.

Es ist eine Eigenthümlichkeit des deutschen Geistes und zeichnet ganz besonders den romantischen Charakter desselben, daß er gern in dem Schauerlichen des Geisterreiches verweilt und in den Gefühlen und Ahnungen des Unbegreiflichen und Wunderbaren herumschweift. Auch Jean Paul sagt: „Unter allen Wölkern hat keines den Gottesacker des Schauerlichen so romantisch angebaut, und keines höhere Blumen darin erzogen, als das deutsche.“ Darum gewinnt auch die Gattung der Poesie, die daher ihren Stoff entlehnt, in keinem anderen Volke so festen Fuß, wie sehr sich auch einzelne Köpfe unter ihnen hervorthun und dem Geschmack diese Richtung zu geben sich bemühen. In Frankreich hat es von jeher am wenigsten Aberglauben, eben so wenig egentliche Poesie gegeben; bey dem Spanier ist beydes mehr vorhanden gewesen; der heitere sinnliche Italiener gleicht auch in seiner Poesie den Römern und Griechen, bey welchen der Wunderglaube nichts von unserem Geisterreiche an sich hatte, *) und es wird so wenig dem Foscolo gelingen, den romantischen Charakter der Poesie seiner Nation anzubilden, so wenig Alfieri es gelungen ist, ein Lieblingsschriftsteller seiner Landsleute geworden zu seyn.

Was die vorliegende Sage insbesondere betrifft, so hat ihr Apel den einfachen Mährchen" Charakter ganz gelassen. Der Aberglaube vom Waidmann setzen ist noch jetzt in mehreren Gegenden Ober- und Mittel-Deutschlands | im Volke verbreitet, nicht minder, als die Vorstellungen vom wilden Jäger oder wilden Heeres, wovon in einem früheren Berichte umständlich geredet worden ist. Sollte diese Dichtung nun dramatisirt werden, so war dazu keine andere Gattung mehr geeignet, als die Oper, deren Charakter, nach dem ächten, vollen Begriff, es mit sich bringt, daß ausser der Kunst der Musik auch die übrigen Schaukünste mit aufgeboten werden, für welche hier ein mannichfaltig reicher Stoff vorhanden war. Zugleich war es erfreulich, daß ein erfahrener Dichter diese Umbildung vornahm, da es hier nicht bloß darauf ankam, einem Componisten ein sogenanntes Buch, einen leidlichen Text zu verschaffen, sondern da zugleich die Dichtung selbst mit allen ihren Reizen und Vorzügen erhalten und neben der Musik gleichen Schrittes her gehen sollte.

Kind hat sich wieder genau an die Erzählung gehalten, derselben nebst der Handlung die Hauptpersonen entlehnt, und nur, das dramatische Gemählde vollständiger, und selbst einfacher zu organisiren, noch ein paar Hülfspersonen gleichsam zur Staffirung hinzugenommen. Dahin gehört besonders Aennchen, eine junge Verwandte der Forsterbraut, eine gar freundliche, milde Erscheinung, die in das Düstere und Schauerliche des Uebrigen ein heiteres, fröhliches Leben bringt, ein tröstender Stern in der dunkelen Umgebung, welcher aus den Irrgewinden, in welche sich die Pfade der beyden Liebenden verschlingen, doch zuletzt einen Ausgang zu verkünden scheint. Dieser Charakter ist ganz Kinds Eigenthum, und steht, sofern man auf den Sinn desselben sehen will, in Verbindung mit dem Ausgange des ganzen Stücks, welchen Kind nach einem sehr richtigen Gefühle, ganz abweichend von der ursprünglichen Dichtung, eigenthümlich stellen zu müssen glaubte.

(Die Fortsetzung folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Leipzig 1821. Erstes Bändchen S. 1 – 54.
  • **) S. 285 f. Vergl. damit die gehaltvollen Bemerkungen über Wunder und Wunderglauben in Jean Pauls Vorrede zu v. Dobenecks "Volksglauben und Heroensagen &c.["] Berlin, 1815. 1s Bdch.
  • *) S. Jean Pauls Vorschule der Aesthetik. Bd. 2. S. 163 ff. der neuen Ausg.

Apparat

Zusammenfassung

Rezension und Aufführungsbesprechung Hamburg: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 1 von 5). Die anderen vier Teile folgen in den nächsten Ausgaben.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Dramaturgische Blätter für Hamburg, Jg. 2, Nr. 11 (Februar 1822), S. 85–88

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