Aufführungsbesprechung Petersburg, Deutsches Theater: Freischütz Januar 1824

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Correspondenz-Nachrichten.
Aus St. Petersburg. (Beschluß.)

Mit der Kunstliebe treibt man viel Ostentation, das ist nun einmahl gewiß. Carl Maria v. Webers berühmter „Freischütz,“ Oper in drey Aufzügen, wurde im Januar-Monath zum ersten Mahle aufgeführt*, und hat allgemein gefallen. Der Zulauf war stürmisch. Die Menschen sind von der Cassa vor Tages-Anbruch ohnmächtig gedrückt fortgetragen worden. Die Oper wurde alle Woche zwey Mahl im großen Theater gegeben. Dieses Theater eignet sich ganz zu solchen Maschinen-Stücken, wenn man unsere Maschinen-Meister (nähmlich die Wiener) hier hätte. Die Weber’sche Musik ist uns Wienern genügend bekannt. Mit gleicher Liebe eilt man hier ins Theater, die vorzügliche Darstellung des Jägers Caspar von Hrn. Gebhard zu sehen. Ein Hr. Schreiner soll diese Rolle auch einmahl während der Unpäßlichkeit des erwähnten Hrn. G. gespielt haben, aber ungewöhnlicher Weise allgemein ausgezischt worden seyn. So daß hernach jeder Theaterfreund beym Lösen eines Entré-Billets laut die Frage aufgeworfen hat: wer spielt den Caspar, Hr. G. oder Hr. S.? – Agathe gefällt dem Publikum, ohne daß ich eine Rechenschaft geben kann, weshalb? Dem. Schlößer nehmlich hat in ihrer Kehle recht angenehme Mitteltöne, aber ihr Vortrag ist für die Deklamation, für die Deutlichkeit des Vortrages im Gesange, in allen Theilen des Richtigen und Schönen nicht zu rechtfertigen. Schauspielerinn ist sie gar nicht. Von Dem. Schreiner als Annchen ist wenig zu reden, und ihr wäre wohlmeinend zu rathen, der Kunst nicht länger mehr nachzuhinken. Nach Vollkommenheit strebt die Kunst. Ein anderes Mahl sah ich eine Mad. Zeibig in dieser Rolle. Ihre Erscheinung thut dem Auge und ihr Gesang dem Ohre wohl. Sie gefiel allgemein. Hr. Stein, ein junger Mann, wechselte mit den Hrn. Schreiner in der Rolle Cunos ab, und beyde verdarben nichts. Desto mehr ein junger Mann, Hr. Drobisch, als Eremit, welcher kein Sänger ist, noch wohl je werden wird. Den jugendlich idyllischen Liebhaber Max gab ein zwar nicht mehr jugendlicher Mann, Hr. Ciliax. Derselbe sang diese Parthie durchweg mit Gefühl und Kraft. Besonders tadellos trug er die Arie im ersten Akte vor. Sein Spiel ist nicht vorzüglich und wurde durch das des Hrn. Gebhard theilnehmend gemacht. Wie aber auch G. die Rolle Caspars durchführt, leidenschaftlich, keck, so gibt er dieser Erscheinung wahrhaft poetischen Reiz. Caspar führt ein gemeines Leben und wirft es eben so leichtsinnig hin, als er es führte. In Rambergs Zeichnungen, dem Taschenbuche: „Orphea,“ ist der Charakter gar herrlich aufgefaßt; recht genialisch herrlich aber gibt ihn Gebhard. Darüber wurde nur Eine Stimme überall vernehmbar. Die verführerische Wolfsschlucht gewährt in ihren Erscheinungen nichts Phantastisch-Anziehendes. Die Dekorationen tragen alle nicht das Gepräge der kunstsinnigen Anordnung. Die Chöre gehen schlecht, dennoch gefällt die Oper. Wie leicht zu befriedigen ist sonach das hiesige Publikum! Noch kein Theaterstück soll hier solchen Beyfall gefunden haben, das wie dieses durch seinen Zauber die Menschen-Masse in jeder Zunge, die hier geredet wird, eine Sprache des Entzückens verliehen hat. Ob es sich lange auf dem Repertorium erhalten wird? ist eine andere Frage. Zumahl, da die Theateraparate nicht vorzüglich sind, und nachläßig behandelt werden. Für das russische Theater hat die hiesige Censur dieses Singspiel zu geben verbothen. Im Grunde genommen würde es demselben auch wohl wenig Vortheil bringen können, dächte ich, weil das russische Publikum dasselbe gesehen, und es ungeachtet der Uebersetzung mit der Fabel nicht vertraut werden kann. Die Musik und Gebhard’s Spiel in der schauerlichen Wolfsschlucht gefällt ihm auch ohne die Sprache zu verstehen. Nächst diesem „Freyschütz“ ist das Lieblings-Spiel für das hiesige Publikum Rossini’sBarbier von Sevilla.“ […]

Dr. Math. Heisinger.

Apparat

Zusammenfassung

ausführlicher Bericht über die Freischütz-Aufführung in Petersburg im Januar 1824

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Solveig Schreiter

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 17, Nr. 56 (8. Mai 1824), S. 223

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Januar-Monath zum ersten Mahle aufgeführt“EA am 7. [= 19.] Januar 1824 im deutschen Theater .

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