Besprechung der Preciosa-Erstaufführung in Hamburg am 8. Oktober 1821 (Teil 1 von 3)
Hamburgische Theater-Zeitung.
Stadt-Theater.
Montag, den 8. October: Preciosa, Schauspiel mit Chören und Tänzen, von Wolff, Musik von C. M. v. Weber.
Uns waren bis jetzt von dem als Darsteller berühmten Verfasser zwei Stücke bekannt: „Der Hund des Aubry,“ eine kaum mittelmäßige Posse, und ein kleines, romantisches Schauspiel, „Pflicht um Pflicht.“ Das letztere gehört sicherlich zu den erfreulichsten Produkten der neueren dramatischen Dichtung, und wir können uns nicht genug wundern, daß unsere einsichtsvolle Direction es nicht auf die Bühne gebracht, da es doch auf dem seligen Apollo-Theater, wo gewöhnlich ein jedes Stück zu den Eintagsfliegen gehörte, mehrere Darstellungen mit Beifall erlebte. Ob die Idee des oben genannten kleinen Schauspiels ganz Herrn Wolff gehört, wissen wir nicht, aber auch selbst in diesem Falle war seine Absicht gewesen, sich der Spanischen Dichtung zu nähern, auf jeden Fall war das Werk lieblich, romantisch und durchaus correkt. Bei dieser Preciosa ist der Hang zur spanischen Romantik, gewiß der lieblichste Schwung, sobald die Schwingen darnach gewachsen sind, durchaus sichtbar. Wir erinnern uns dunkel einer Novelle, durchaus dieses Inhalts, in welcher eine Zigeunerin als das verlorene Kind vornehmer Eltern erkannt wird*. Vielleicht hat diese Novelle, welche, wo wir nicht irren, bereits zu einer früheren dramatischen Bearbeitung Gelegenheit gegeben*, den Herrn Wolff zu diesem höchst gelungenen Stück veranlaßt. Es gehört eigentlich gar keiner Gattung an, es ist ein Schmetterling, der von einer Blume zur anderen gaukelt, und aus jeder süße Beute raubt. Es soll bloß Gelegenheit zu romantischen Situationen geben, weshalb auch ein tiefer Plan und ausgeführte Charaktere hier eben nicht gesucht werden müssen. Aber romantische Situationen in schöner fließender Sprache, mit den zartesten Empfindungen ausgestattet, mit Musik und Tanz zu verschwistern, und so durch den schimmernden Wechsel der einzelnen Theile das Ganze im fröhlichen Farbenglanz vor das Auge des berauschten Zuschauers zu führen, war vermuthlich die Absicht des Verfassers, und diese ist ihm völlig gelungen. Die Sprache, fast durchaus trochäisch, ist leicht und führt die herrlichsten Reden herbei, z. B. die vortreffliche Schilderung der Lage eines elternlosen Kindes, der Monolog der Preciosa im Mondenlicht &c. Ein schicklicheres Personal zu diesem Plan läßt sich aber wohl schwerlich finden, als eine Zigeunergesellschaft. Wenn ein Volk, welches, nur seinen eigenen Gesetzen Gehör gebend, keinen andern Fürsten gehorcht, nirgends bleibend ist, mit Gesang, Saitenspiel und Tanz vertrauet, das Schicksal verkündend in dunkeln Sprüchen, auf einmal mystisch erscheint und eben so verschwindet, um an einem andern Orte eben so unerwartet gleichsam aufzuleuchten – wenn dieses Volk kein Gegenstand der romantischen Poesie ist, so wissen wir nicht welches es denn seyn soll. Schon bereits Wagner hat, außer mehreren, einen glücklichen Versuch mit einer Schilderung dieser Nomaden in seinen reisenden Malern gemacht*, aber Herr Wolff hat darin mehr gethan, daß er den Schauplatz nach Spanien verlegte, wo, zumal im Mittelalter, diese Kinder des Geheimnisses die wichtigste Rolle gespielt haben mögen. Auch giebt er einen vollständigen Umriß seiner Ansicht in einer kraftvollen Rede, welche der Hauptmann im zweiten Aufzuge hält.
(Die Fortsetzung folgt.)
Apparat
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
- Korrektur
- Eveline Bartlitz
Überlieferung
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Textzeuge: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 5, Nr. 122 (10. Oktober 1821), Sp. 976
Einzelstellenerläuterung
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„… Kind vornehmer Eltern erkannt wird“Miguel de Cevrantes Saavedra, Novelas exemplares, Madrid 1613, darin: Novela de la Gitanilla.
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„… früheren dramatischen Bearbeitung Gelegenheit gegeben“Dramatisierungen des Stoffes sind seit dem 17. Jahrhundert vielfach belegt, darunter auch eine erste Fassung von Pius Alexander Wolff aus der Zeit um 1810, die u. a. erfolglos in Hamburg gegeben worden war (17. September 1813).
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„… in seinen reisenden Malern gemacht“Ernst Wagner, Die reisenden Maler. Ein Roman, 2 Bd., Leipzig 1806.