Besprechung der Preciosa-Erstaufführung in Hamburg am 8. Oktober 1821 (Teil 3 von 3)

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Hamburgische Theater-Zeitung. Stadt-Theater.

Preciosa. (Beschluß.)

Aber wie können wir von der Musik Abschied nehmen ohne der trefflichen Composition der Tänze zu gedenken! Hat der Tonsetzer irgendwo das ganze Zigeunerleben aus der Form gehoben, ohne irgendwo etwas zu beschädigen, so ist es hier. Alles wogt und flimmert im bunten Gewimmel durch einander, wobei die Klingelinstrumente und die Zigeunerpauke die kräftigste Wirkung machen. Aber schwer, schwer ist der Rythmus, und der Componist hat wohl nicht daran gedacht, ob irgend ein Balletmeister sich ganz in seine kühne Schwärmerei finden könne, und die Füße seiner Tänzer mit dem gewagten Gedanken der Musik in gehöriges Gleichgewicht zu setzen wisse. Und hier finden wir gleich den Uebergang auf die Darstellung, über welche wir zuerst mit dem Tanz beginnen.

Schon bei Gelegenheit des Cortez* hatten wir Gelegenheit der Poesie in den Erfindungen des Herrn Weidner rühmlichst zu erwähnen, aber hier hat er unendlich mehr geleistet. Es scheint als habe er mit dem Tonsetzer gemeinschaftlich gearbeitet, inniger empfinden und verstehen kann ihn schwerlich Jemand. Fest an den Rythmus des Componisten gebunden, waren die Füße seiner kleinen Batylle an die Noten, als wären sie fest geheftet. Wie Irrlichter fahren dabei die Massen auseinander und flackern zusammen, und immer in Gruppen, wo es dem Auge wohl thut, und der Zwischenraum ist ungezwungen. Gar angenehm contrastiren mit den grotesken Schwingungen des Bohemeralks die zarteren spanischen Tänze, vorzüglich der Balero von Hrn. Weidner und Dem. Henr. Graff ausgeführt. Als persönlicher Mitwirker hat uns Hr. W. aber vorzüglich in der Zigeunermaske interessirt, welcher er eine höchst sprechende Mimik verleiht.

Die wahrlich nicht leichten Chöre gehen besser als hier seit langer Zeit Chöre gesungen sind. Besonders ist zu rühmen, daß keine einzelne Stimme vorlaut wird.

Was die dramatische Leistung anbelangt, wird schwerlich ein Zuschauer das Haus unbefriedigt verlassen haben. Nicht pretiös ist Mad. Lebrun, aber ein wahres Preciosum. Schwärmerei und Abschilderung einer reinen Seele sind zwei der hauptsächlichsten Gegenstände der Darstellungen dieser Künstlerin, welche mit jeder neuen Rolle gewinnt. Zu den reizendsten Momenten ihres Spiels rechnen wir den ganzen zweiten Act, der auch in Rücksicht der Dichtung die mehrsten Vorzüge hat. Die süße Schwärmerei im Mondenlichte und die darauf folgenden Liebesscenen mit dem Alfonsoergreifen auf wunderbare Weise. Ueberhaupt wüßten wir, und sollten wir ängstlich darnach suchen, an der ganzen Rolle nichts auszusetzen, es müßte denn seyn, daß sie die Romanze spricht und nicht singt, aber sie ist einmal keine Sängerin, und ein halb gelungener oder gar mißlungener Versuch wäre hier sehr unrecht angebracht. Ueberhaupt hat Mutter Natur in Rücksicht der Stimme dieser Künstlerin ihren Willen gezeigt, daß nicht Eine Alles besitzen solle. Das Organ der Mad. L. ist stark, und im Ganzen angenehm, es fehlen ihr aber die Molltöne, deren die Rede wie der Gesang bedarf. Das Weiche, Eindringende im Moment der Liebe und Schwärmerei gelingt ihr, wie gesagt, ganz vorzüglich, aber mehr durch die Seele, welche sie in jedes Wort legt, als durch den schmeichelnden Ton der Stimme, deshalb glauben wir auch, das sie um so mehr wohlthut, die Romanze nicht zu singen. Uebrigens hatte sie die Gelegenheit, ihre Gestalt in den grazienhaften Tanzstellungen in dem glänzendsten Lichte zu zeigen, nicht vorbeigehen lassen.

Als greller Contrast zu dieser hellen Lichgestalt erscheint die düstere Wiarda, eine ächt Rembrandsche Figur, und man muß gestehen, daß Mad. Mentschel hier ein ausgeführtes Werk der Kunst, wenn auch nicht der schönen, aufstellt. Diese Rolle ist ein würdiges Seitenstück zu der Brigitte in der Räuberburg*, und macht ihr wahrhafte Ehre. Es ist unbillig und ungerecht, die Darstellerin das Gehässige des dargestellten Charakters entgelten zu lassen, und es ge¦schieht doch so häufig. Wir können nicht umhin, der Madame M. unsere völlige Achtung für ihr höchst gelungenes Bestreben zu bezeugen.

Keck und genial erscheint Herr Gloy als Zigeunerhauptmann. Besonders charakteristisch ist sein Benehmen bei dem Marsch. Mit Leichtigkeit und Zigeunermäßig vornehmen Anstand begrüßt er im Vorbeigehen den zuschauenden Adel. Er giebt diesem, was ihm gehört, fühlt sich aber an Rang nicht untergeordnet, und ist so ungezwungen wie möglich. Ueberhaupt nimmt dieser wackere Mann, von dem die Kunst viel zu erwarten hat, mit Riesenschritten zu. Schröders Prophezeihung in Betreff seiner geht in Erfüllung.

Die übrigen Personen dienen eigentlich nur zu Umgebungen der oben genannten Hauptfiguren, aber keine Rolle wird vernachlässigt. Besonders trefflich giebt Herr Schwarz den Vater der Preciosa. Don Alfonso und dessen Vater Don Camaro sind bei den Herren Jacoby und Schäfer in den besten Händen.

Eine unübertrefflich belustigende, episodische Gruppe ist der Polizei-Lieutenant und seine betagte Braut. Herr Weiß und Mad. Schäfer, vorzüglich ersterer, stellen uns zwei Carikaturen aus den Gil-Blas oder aus den hinkenden Teufel auf, die man auf keinem der älteren Kupferstiche zu diesem Werke schöner finden kann.

Endlich ist nach der drolligste aller, Schloßverwalter Pedro, übrig. Der herrlichste Pendant zum Bramarbas*, und von Herrn Mädel in Maske, Mienenspiel und Rede gut ausgeführt. Es gehört gewiß nicht zu den kleinen Aufgaben, hier nicht über die Linie zu schreiten, und man muß es Herrn Mädel nachrühmen, daß er selbst bei der Wiederhohlung sich durch den lauten Beifall nicht aus den gehörigen Gränzen verleiten ließ.

Die Direction hat Alles aufgeboten, sowohl durch Decoration, vorzüglich in der Mondscheinbeleuchtung im zweiten Act, als durch eine sinnvolle Anordnung der Gruppirungen, und durch fleißiges Einstudieren dem Totaleindruck ein Gewicht zu geben, wie es bei wenigen Bühnen der Fall seyn dürfte.

a.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 5, Nr. 124 (14. Oktober 1821), Sp. 991–992

Textkonstitution

  • „Bohemeralks“sic!
  • „Balero“sic!
  • Alfonsosic!
  • Don Alfonsosic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Schon bei Gelegenheit des Cortez“Spontinis Ferdinand Cortez hatte am 18. Mai 1821 in Hamburg Premiere; vgl. die Besprechung in derselben Zeitung, Jg. 5, Nr. 61 (21. Mai 1821), Sp. 488, Nr. 62 (23. Mai 1821), Sp. 494–496.
  • „… der Brigitte in der Räuberburg“Friedrich Kuhlaus Oper Röverborgen / Die Räuberburg (Text von Adam Gottlob Oehlenschläger), UA: Kopenhagen 26. Mai 1814, Rolle: Brigitte, Haushälterin der Räuber.
  • nachrecte „noch“.
  • „… Der herrlichste Pendant zum Bramarbas“Prahlhans, nach dem dänischen Lustspiel Jakob von Tyboe von Ludvig Holberg in der deutschen Übersetzung von Johann Christoph Gottsched als Bramarbas oder der großsprecherische Offizier.

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