Aufführungsbesprechung Hamburg: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 5. Februar 1822 (EA) (Teil 4 von 5)

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Hamburgische Theater-Zeitung.
Stadt-Theater.

Der Freischütz. (Fortsetzung.)

Aber nun welch ein Geist, welche Erfindung, welche Charakteristik, welches Gefühl, und welche Kenntniß des Satzes wie der Deklamation! Es ist eine wahre Freude, mit dem Texte in der Hand dem Tonsetzer zu folgen, kein Wort, keine Sylbe unrichtig, und daher auch jedesmal der richtige Ausdruck. Auf diese Weise kann es nicht fehlen, daß sich das Ganze wie das Einzelne zu einem Zwecke eine, und sich so verschmelze, daß man nur das Einzelne in dem Ganzen, und umgekehrt aufsuchen muß, um es ganz zu würdigen. Gleich die Introduction versinnlicht auf die vollkommenste Weise die ¦ Fröhlichkeit der Bauern bei dem Sternschießen, den Uebermuth des Schützenkönigs, den Hohn, welchen der arme Max erdulden muß, auf eine ganz eigenthümliche Weise, dabei ohne irgend einen gemeinen oder abgenutzten Gedanken, und – worin Weber überhaupt stark ist – in dramatischer Kürze. Kenntniß der Bühne, dieses große, unerläßliche Erforderniß, besitzt er im hohen Grade. So wie nun aber die Charakterzeichnung im Totaleindruck, von der Introduction an durch das haarsträubende Final des zweiten Acts bis zum himmelwärts steigenden Gebet am Schlusse sich ausspricht, so ist es auch mit jeder einzelnen Rolle, bis auf das kleinste. Obgleich diese Musik durchaus im edeln, großen, romantischen Styl gesetzt ist, wird doch niemand in dem unglücklichen Max den schlichten, wackeren Waidmann verkennen, es fällt einem nicht ein, sich bei der Arie wie bei dem Terzett einen Ritter oder einen Prinzen zu denken. Wie zart und sanft gehalten ist nicht das reine Geschöpf, die Agathe! Liebe, Innigkeit, Frömmigkeit und Ergebung spricht sich überall aus in dem anspruchlosen, einfachen Gesange. Wie weislich hat der Meister die große Scene behandelt, bei welcher mancher andere sich gewiß die Gelegenheit, auf unrechtem Wege zu glänzen, nicht hätte entgehen lassen. Daneben steht nun das gutmüthige, unbefangene, kluge, aber schlaue und drollige Aennchen, schon vom Dichter sehr gelungen gezeichnet, aber vom Tonsetzer ganz unendlich gehoben. Ihre Eigenthümlichkeit ist durchaus hervortretend in jedem Ton gezeichnet, sowohl in der Arie als in dem Terzett, auf welches wir immer als eins der gelungensten Meisterstücke wieder zurückkommen müssen, indem es das höchste Verdienst des Künstlers enthält, drei Stimmen zu vereinigen, jede derselben ihrer besonderen Melodie und ihrem Charakter getreu zu erhalten, ohne dem Satz zu schaden. Wir wüßten in dieser Art nur ein Gegenstück zu nennen, das Terzett im Titus zwischen der Vitellia, dem Sextus und dem Publius. Die Brautjungfer, der Oberförster, der Herzog, der Eremit sind in ihren untergeordneten Parthien eben so consequent gehalten. Aber eine Erfindung von der man in einem ausführlichen Bericht Bogen füllen könnte, ist der Caspar. Aus jedem Ton, aus jedem Satze singt und lacht der Teufel. Das Trinklied hinterläßt einen Schauder, den man tagelang mit sich herumträgt, schon die sonatische Melodie treibt das Haar bergan, und wird noch verstärkt durch die furchtbare Begleitung, und erreicht die ganze Höhe durch die gellenden Pfiffe der Pickelflöte im Ritornell, ein wahres Hohngelächter der Hölle über die gewisse Beute, und schwerlich mögte man es unterlassen können zusammen zu fahren, wenn diese Pfiffe sich in die große darauf folgende Arie des Caspar mischen. Daß die Beschwörungsscene größtentheils melodromatisch behandelt wird, bringt der Gegenstand nun hier wohl völlig mit sich, sonst haben wir unser Urtheil über diese Art Musik bei Gelegenheit der Preciosa unverhohlen ausgesprochen, und wünschten, was uns anbelangt, nicht daß der geniale Tonsetzer sich zu sehr darin gefallen möge. Wir werden hoffentlich noch oft Gelegenheit haben, auf dieses eben so groß gedachte als ausgeführte Werk zurückzukommen, welches nach unserer Ansicht schwer zu übertreffen seyn mögte, und unter den Compositionen aller Nationen der neueren Zeit schwerlich einen Nebenbuhler aufzuweisen hat, als die Räuberburg von Oehlenschläger und Kuhlau, eine Oper von der es uns unbegreiflich ist, daß man sie noch nirgend kennt als in Kopenhagen und Hamburg.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 6, Nr. 23 (23. Februar 1822), Sp. 183–184

Textkonstitution

  • „melodromatisch“sic!

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