Aufführungsbesprechung Hamburg: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 5. Februar 1822 (EA) (Teil 5 von 5)

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Hamburgische Theater-Zeitung.
Stadt-Theater.

Der Freischütz. (Beschluß.)

Das Gelingen dieser Oper hängt aber größtentheils von der Darstellung ab. Theils erfordert der zweite Act eine scenische Einrichtung, bei der schlechterdings das Auge beschäftiget werden muß, theils bedarf es dazu Sänger, die mit Verläugnung der Bravour starke Stimmen, getragenen Gesang geltend machen, gute Schauspieler sind, und Einsicht haben, in die Ideen des Dichters und Tonsetzers einzugehen, auch hängt natürlich von dem Orchester sehr viel ab. Was nun die Scenerei anlangt, so soll diese in Berlin und selbst in Braunschweig wirkungsvoller gewesen seyn; das nimmt uns keinesweges Wunder; es ist ein großer Unterschied zwischen einer Bühne, auf deren Unterhaltung der ganze Ertrag der Einnahme gewendet wird, und wo die Regierung bedeutende Zuschüsse giebt, und einer Privat-Anstalt, deren Ausbeute in mehrere Theile zerfällt, deren einen selbst der Staat ausmacht. Indessen galuben wir, das Publikum habe Ursache, mit dem was hier geleistet wird, zufrieden zu seyn. Schröder und Schlegel haben sicherlich recht behauptet, daß ein übermäßiger scenischer Aufwand die Bühne zurückbringe, selbst am Glänzendsten sieht sich das Auge satt, und macht zuletzt unerzwingliche Forderungen, während an die Darstellung selbst wenig gedacht wird, man will dann nur noch ein Schauspiel. Bei dem Freischützen ist die hauptsächlichste Forderung die, daß die Molche und wilden Bestien, der durch die Luft reitende Dämon, das wüthende Heer, die bösen Geister aus der Bergschlucht u. s. w. nicht lächerlich werden. Dieses ist nun bei uns keineswegs der Fall; die ganze Decoration ist anständig und für die Wirkung eingerichtet, das wüthende Heer &c. täuschend genug, und die Erscheinungen der Mutter des Max und der Agathe recht angenehm, auch der Samiel nimmt sich ganz stattlich aus. Die übrigen Decorationen sind gleichfalls gut gewählt, vor allen zeichnet sich das ganz neue, sehr gut gemalte Zimmer in der Försterwohnung aus. Was uns anbelangt, so verlangen wir nicht mehr, um den dargebotenen Gegenstand versinnlicht zu erblicken. Was unsere Sänger betrifft, glaube ich aber, können wir dreist mit den anderen Bühnen in die Schranken treten, weil vorzüglich sämmtliche Theilnehmer dahin streben, den dramatischen Eindruck nicht zu verfehlen, und weil sie sämmtlich den Tonsetzer begriffen haben. Herr Klengel, vermöge der Leichtigkeit und Biegsamkeit seiner Stimme ¦ sehr zum glänzenden Gesange hinneigend, hält sich hier streng an seine Noten, dringt hinlänglich durch die starke Begleitung und stellt den Charakter in allen seinen schwierigen Uebergängen und mannigfaltigen Situationen mit der Sicherheit und Kühnheit des verständigen und seelenvollen Schauspielers dar. Dem. Paasche hat alle zur Agathe erforderlichen Eigenschaften, ihre liebliche und zugleich kräftige Stimme zeigt überall den gehörigen Ausdruck, beide Arien trägt sie ausgezeichnet gut vor, besonders die Invocation zu Anfang des dritten Acts. Mit großem Vergnügen sehen wir, daß sie auf die Ausbildung des Schauspielertalents ernstlichen Fleiß wendet. In den ersten Aufzügen bemerkt man die Anfängerin schon viel weniger, auch ihr Mienenspiel wird belebter. Im dritten Aufzuge, zumal bei der Katastrophe, ist aber die Aufgabe noch zu groß für sie, aber die übrigen Fortschritte lassen erwarten, daß diese Passivität bald aufhören werde. Das Aennchen der Dem. Pohlmann, muß dem Dichter wie dem Tonsetzer als Ideal vorgeschwebt haben, wir halten es für nicht möglich, diese Rolle mit mehr Wahrheit und Anmuth sowohl im Gesang wie im Spiel zu geben. Ein reizender Moment ihrer Darstellung ist der, wo sie vor der Agathe niederknieend die Gespenster-Romanze singt. Ueberhaupt entgeht ihr auch nicht die kleinste Nuanze, mit der größten Leichtigkeit greift sie in das Spiel der Andern ein, und bleibt beständig in der Handlung. Ueberhaupt ist es ein rührend erfreulicher Anblick die beiden reizenden Mädchengestalten im schönen Verein für die Kunst wirken zu sehen, und diese Stimme[n] wetteifern zu hören. Die vorigen Zeiten wo die Keilholz und Minna Brandes den Kranz theilten, werden uns jetzt wieder erneuert. Hr. Woltereck als Caspar, schließt sich würdig an seine Mitspieler an, er hat die schwere Rolle wahrhaft studirt und vollkommen begriffen. Das düstere Feuer das in dem irren Blicken glimmt, das versteckte, halb trotzige, halb zaghafte Benehmen bei allen seinen Handlungen, der widerliche Ausdruck seiner Sprache, alles zeugt von einem Darsteller den wir bisher in Herrn W. nicht immer fanden. Aber ohne in das Grelle zu fallen könnte er bei dem Trinkgesange noch wilder seyn, bei der sonst sehr richtig dargestellten Beschwörung stärker reden, die Situation verlangt eine durchdringende, kräftige Wirkung. An physischer Kraft gebricht es Hrn. W. sicherlich nicht, das beweiset die Leichtigkeit, mit welcher er bei der verzweiflungsvollen Arie die schwere Büchse wie einen leichten Stecken handhabt, und von seiner sonoren Stimme haben wir Beweise genug. Ein natürliches Pflegma mögten wir bei ihm auch nicht gerne annehmen, wir glauben also, daß ihn Schüchternheit noch immer von der ganzen Aeußerung seiner Kraft zurückhält, die muß aber bei einer solchen Rolle vorzüglich überwunden werden. Dem. Neuendorf trägt ihr Brautlied sehr angenehm vor, Herr Gloy unterstützt mit seinem kräftigen Basse die Ensembles wie es sich gehört, und die Herren Schäfer und Reithmeyer als Graf und Eremit sind ganz an ihrer Stelle, eben so Herr Mädel als Schützenkönig, er spielt und singt mit vieller Drolligkeit. Auch die Chöre gehen ohne Anstoß und Störung, vorzüglich das überaus schöne Jägerchor. Das Orchester leistet gewiß alles was von einem Verein verlangt werden kann, der keine Capelle bildet, alle Instrumente tragen zum Ganzen gehörig bei, besonders zeichnet sich das Bratschensolo aus, von Herrn von Weber, Bruder des Componisten vorgetragen. Das Weitere bei einer Wiederholung der Oper*.

a.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 6, Nr. 24 (25. Februar 1822), Sp. 191–192

Textkonstitution

  • „Blicken“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… bei einer Wiederholung der Oper“Eine weitere Besprechung folgte erst zur Aufführung am 13. Juni 1822 mit Friedrich Gerstäcker als Max; vgl. Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 6, Nr. 22 (17. Juni 1822), Sp. 576.

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