Bericht über die Berliner Erstaufführung der Euryanthe am 23. Dezember 1825 (Teil 2)

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Aus Berlin. (Fortsetzung).

2. Euryanthe. Wir sind in der Anzeige Macbeths so weitläufig geworden, daß wir uns hüten müssen, mit Euryanthen wieder in denselben Fehler zu verfallen, zumal da wir den Trieb in uns fühlen, die Oper mit noch größerer Theilnahme zu behandeln, als die Tragöde. Statt Theilnahme hätten wir beinahe Vorliebe gesetzt, denn wir gestehen es gern, daß unser Gefühl diese Farbe trägt, und gestehen es desto lieber, da wir es mit der Allgemeinheit der Zuhörer theilen, deren Urtheil, besonders in Hinsicht der Musik, selten so übereinstimmend erfunden worden. Kenner und Nichtkenner, Gönner und Vertheidiger der deutschen und italienischen Musik; Alles vereinigt sich zum Lobe der Weberschen. Dabei trägt diese Oper noch ein inneres, untrügliches Kennzeichen der Vortrefflichkeit: ihre scheinbare Kürze. Die Spontinischen Opern haben, selbst bei den Schönheiten, die man besonders den beiden ältern nicht absprechen kann, den Fehler, lang zu scheinen, folglich beinahe zu langweilen. Die Stunden schleichen in ihnen wie mit Blei an den Füßen. In der Euryanthe, wie im Freischütz, hat die Zeit Flügel am Rücken und an den Fersen. Um so weniger können wir begreifen, wie man in Wien sie (durch ein unziemendes Wortspiel) die Ennuyanthe hat nennen können! Lassen wir der Oper ihren schönen und verdienten griechischen Namen, die Weitblühende! Auf den innern, so oft besprochenen und von Niemanden angefochtenen Gehalt der Musik lassen wir uns nicht ein; eben so wenig wollen wir den Text in Schutz nehmen, obschon wir den zu harten Urtheilen darüber nicht beipflichten können, womit ihn besonders die Schnellpost belegt und zu Boden gedrückt hat. Wenn Frau von Chezy Unrecht hat, wenn sie glaubt, daß bei einer Oper Text und poetische Einkleidung die Hauptsache sey; wenn sie die Musik zu sehr unterordnen will, so muß man doch zugeben, daß der Dichter und das Sujet dem Komponisten sehr zu Hülfe kommen können. Nur muß man von der Oper nicht verlangen, daß sie in eben dem Zusammenhange die Handlung vortrage, wie Trauerspiel und Drama. Sie liefert uns romantische Hauptmomente, theilt sie ein, schließt sie ab, verbindet sie, je nachdem die Regeln der Musik es verlangen. Daher denn (wie z. B. im Axur und hier in der Euryanthe) drei verschiedene, abgesonderte Tableaux und Abschnitte, jeder für sich, und doch jeder mit dem andern in Verbindung. Das dem Lysiart von Eglantinen mitgetheilte Geheimniß, worüber viel gespöttelt worden, mußte dem Inhalte nach, ernster, wichtiger, phantasiereicher, übernatürlicher gewählt werden, als dasjenige, welches uns der Roman Euryanthe (und vor ihm Shakspeare’s Cymbeline) aufdeckte. Eben so mußte der schöne Zug Euryanthens, die für ihren Richter und Vollzieher des ungerechten Spruchs sich der Schlange opfern will, musikalisch dargestellt werden. Daß Euryanthe, wo sie sprechen kann und soll, schweigt, wie Desdemona, wie die Jungfrau, wie tausend Andere, verdient keine Widerlegung; es ist Grundregel des Drama, nicht nur erlaubt, sondern stille, schweigende Verabredung, ohne welche keine endliche Auflösung Statt finden könnte. Nennt man dies nicht im Sprichworte: le secret de la Comédie. Ist es nicht mit ihm, wie mit dem bei Seite, mit dem Deus ex machina, mit allen conventionellen Rettungen, Erstechungen, Ueberfällen &c. &c. &c. Das Ganze des Sujets muß Wahrscheinlichkeit haben, um interessant zu seyn; wer nimmt es aber mit den einzelnen Theilen so genau? und besonders in einer Oper? –

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 26, Nr. 33 (16. Februar 1826), Sp. 264–265

Textkonstitution

  • „Niemanden“sic!

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