Bericht über die Berliner Erstaufführung der Euryanthe am 23. Dezember 1825

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Königliches Opernhaus.

Am 23. Dezember zum ersten Male: Euryanthe, große romantische Oper in drei Aufzügen. Dichtung von Helmina von Chezy, Musik von Carl Maria von Weber.

Euryanthe? Euryanthe von Savoyen? Euryanthe von von Chezy? Die Euryanthe, die in der Juniusschen Buchhandlung in Leipzig Anno 1804 von F. Schlegel und in der Berliner Vereinsbuchhandlung Anno 1823 von Frau von Chezy, fast in gleichen Worten erschien, (da, wie in Tenare* bewiesen worden, Frau von Chezy mit Herrn Schlegel in magnetischem Rapport gestanden haben muß) oder eine anders gestaltete? Kaum ist es aus diesem Opernbüchlein zu entnehmen, denn die ersten Bedingungen eines Opernbuches: Klarheit der Handlung, faßliches Motiv, und verständliche Entwickelung fehlen ihm durchaus. Euryanthe ist die Braut Adolars, sie hat eine falsche Freundin: Eglantine, er einen Nebenbuhler in seiner Königsgunst: Graf Lysiart. Er (Adolar) setzt seine Güter als Wette ein mit Lysiart, daß Euryanthe treu ist, Lysiart wettet mit seinen Gütern dagegen, der König legitimirt die Wette und der Knoten ist da. Eglantine liebt den Adolar, warum sollte sie ihn auch nicht lieben? Sie entreißt der Euryanthe ein Geheimniß, nämlich: daß ihr und Adolar der Geist seiner verstorbenen Schwester erschien. Dieser Geist beichtete, sie oder er habe sich vergiftet, weil ihr Geliebter in der Schlacht fiel, sie müsse aber verdammt sein, bis der Ring aus dem sie Gift trank, durch Thränen der Unschuld in höchster Noth benetzt, und „Treu dem Mörder Rettung beut für Mord.“ Dies ist mir und dem Leser dunkel, doch Geduld, es wird schon noch dunkler. Eglantine nimmt den Ring aus der Gruft, wozu? wahrscheinlich stand sie auch mit Frau von Chezy in Rapport und sah voraus, Lysiart wird ihr denselben entreißen, und – so ist’s. Lysiart entreißt ihr den Ring, verspricht ihr dagegen den Trauring und bedient sich des Ringes als Zeichen der gebrochenen Treue Euryanthen’s. Der König belehnt nun Lysiart mit Adolar’s Gütern, und Adolar schleppt Euryanthen ab, schnurgerade zum Tode; doch nein! erst schleppt er sie ein wenig spazieren in die Natur, in einen Wald, hier will er sie erdolchen, doch da geht auch eine große Schlange spazieren, die en passant Herrn Adolar speisen möchte. Wenn ich ein Graf wäre, der eben so albern alle meine Güter verloren hätte, und eben meine Geliebte morden wollte, ich ließe mich per fas et nefas speisen, doch Euryanthe wirft sich zwischen ihn und die Schlange um ihn zu retten, er tödtet die Schlange, allein sie, die sich für ihn der Schlange Preis geben wollte, kann er nicht tödten, er verläßt sie in der Einöde; da kömmt der König, sie erzählt ihm, daß Eglantine ihr das Geheimniß abgelockt und sie verrathen, der König glaubt’s. Adolar irrt umher, es ist natürlich, daß er auf seine Güter zurück will; aber hier heirathet eben Lysiart die Eglantine, die aber etwas wahnsinnig geworden ist; Adolar erscheint, die Landleute machen eine kleine Rebellion gegen Lysiart, der König erscheint, Adolar und Eglantine erfahren Euryanthen’s Tod, nun erzählt Eglantine den Betrug, nun ersticht sie Lysiart, d. h. Lysiart ersticht sie, nun wird er | gefangen, abgeführt, nun jammert Adolar über die Todte, nun ist sie aber lebendig und

Das Köpfen hat ein Ende,Man reichet sich die Hände!

Die treue Sakontala-Euryanthe bot Rettung dem Mörder für Mord und benetzte den Ring mit Thränen. Der Geist ist gerechtfertigt und kann sich mit jeder wahrsagenden Zigeunerin messen. Der Unsinn dieses Textes ist offen. Warum hält Adolar Euryanthen für schuldig? Wie kommen Euryanthe und Eglantine zusammen auf Adolar’s Schloß? Warum spricht die gute Euryanthe nicht gleich? So sind die Weiber, wo sie reden sollten, schweigen sie! Wozu bekennt Eglantine zuletzt die Historie? So sind die Weiber, wo sie schweigen sollen, reden sie? Wie unzweckmäßig ist es und mißlich im Rezitativ, nämlich in der Erzählung vom Geiste, diesen redend einzuführen; dies wäre schon im Drama fehlerhaft, geschweige in eine Oper eine Erzählung absingen zu lassen. Dann Stellen, wie folgende:

„Stern’ in Wipfeln äugeln durch Laub,Und niemand weiß im grünen Mai,Was Rose, noch was Mädchen sey.“

Dann klingelt’s wieder: Sie die „Reine, Eine, Meine“, ach warum nicht auch: „die Peine“? Aber je undeutlicher, verrenkter und abgeschmackter der Text dieser Oper istT, desto größere Bewunderung verdient der Compositeur, auf diesem lockern Grunde ein Gebäude aufgeführt zu haben, das wie ein Zaubertempel sich erhebt und emporsteigt in den klaren Himmel der Kunst. Der Compositeur des „Freischützen“ mußte nach der Richtung seines hohen ernsten Genius, nothwendig den Freischützen zu überbieten, an Tiefe und an Würdigkeit des Genius zu überflügeln streben, und es ist gelungen. Nicht leicht war das an Lieblichkeit und Interesse der Composition zu bewerkstelligen, doch wurde durch Grandiosität der Anlage, durch Hoheit des Styls, diese Aufgabe herrlich gelöst. Wenn ein treues Auffassen und Festhalten der verschiedensten Charaktere, der innigste Verschmelz reizender Melodieen und kühner Harmonieen mit den originellsten Rythmen, eine durchaus vollkommene und edle Deklamation, endlich eine überaus vortreffliche Instrumentirung, die nirgend in sinnlosen Lärmen ausartet, wenn alle diese Vorzüge vereint, einem Kunstprodukte das oft gemißbrauchte Wort „klassisch“ mit Recht erwerben können, so dürfen wir Webers Euryanthe gewiß klassisch nennen.

Die Ouvertüre, Es-dur, beginnt kräftig und originell, sie rauscht aus geheimnißvollen Tiefen hervor, und läßt uns die großen Wahrnehmungen der Oper selbst in voraus ahnen. Sie ist ein magischer Vorbote der herrlichen Intentionen, die sich in der Oper selbst entwickeln; ein großes musikalisches Sylbenräthsel, dessen tiefer Sinn und Weise in der Folge geoffenbaret wird, und der letzte Takt der Oper gehört noch zum Zauberschlüssel ihrer Lösung. Ein herrlich fugirter Satz führt die Cadencen herbei und reißt zum Beifall hin. Die Oper überhaupt, als auch einzelne Theile derselben, sind schon so oft und so würdigend besprochen, als daß ich die nochmalige Aufzählung der einzelnen Schönheiten vornehmen sollte. Die reizende Introduktion, dieser Wechselreigen eines reizenden Damenchors und einer galanten doch kräftigen Männerchor-Replike, Adolars zarte Cavatine: „Unter blüh’nden Mandelbäumen,“ das vortreffliche Duett Euryanthens und Eglantinens, sind eben so viele Herolde hoher Meisterschaft. Das erste Finale, D-dur, lieblich heitergehalten, schließt den ersten Akt mit glänzendem Erfolge. Lysiarts Arie im zweiten Akte, in kräftiger Leidenschaft durch einen glücklichen und sehr harmonischen Mittelsatz gemildert, ist herrlich; unübertrefflich das Duett Eglantinens mit Lysiart, H-dur. Wenn nun auch die Scenen Euryanthens mit Adolar sich gegen die kräftigen Tongemälde der vorhergegangenen in zu weichen Tönen abstufen, so tritt doch im Chor: „Ha die Verrätherinnen“, der hohe Geist des Compositeurs in seiner Urkraft hervor und waltet im zweiten Finale „F-moll“ mit erschütterndem Effekt. Der ganze dritte Akt ist ein sich immer mehr aufrollendes Tongemälde, das in jedem Augenblicke neue und imposante Darstellungen bietet. Der Jäger-Chor F-dur und der Chor: „Trotze nicht Vermessener“, sind von hinreissender Wirkung. Alle Rezitative sind das Vollkommenste, was je geleistet worden ist. Hier spricht sich Wahrheit, Deutlichkeit, Kraft und Anmuth gleich vortrefflich aus. Der Enthusiasmus den das neue Meisterprodukt hervorbrachte, ist nichts als gerechte Anerkennung des genialen Produktes des deutschen Meisters. Etwas gedemüthigt stehen die italischen Zuckerpäpchen*, die gewöhnt sind an die Rossinische Bonboniére, vor der kräftigen neuen Kost da. Das Trommelfellchen verzärtelter Coloraturaffen ist aufgeschreckt, durch gewalt’ge Bardentöne, und der deutschen Musik ist ein Ehrentempel gebaut worden, in den sich die Besseren, die Gesunden, noch nicht angesteckt von der musikalischen Verweichlichungspest und Tanztaktseuche, retten und dem wahren Gotte der Tonkunst huldigen können.

Der Meister (nicht der Maestro) wurde stürmisch empfangen, gerufen und wieder gerufen, mit Jubel, mit wohlverdientem Beifall überschüttet. Ueber die Ausführung dieser Oper läßt sich nur ein allgemeines Brav! ausrufen; Costüme, Scenerie, Decoration und alle äußeren Ausstattungen waren eines Hoftheaters würdig, elegant, richtig, geschmackvoll und glänzend, das Arrangement vortrefflich und präcise. Den Lorbeer des Gesanges errang Madame Seidler als Euryanthe, ihre Glockenstimme, ihr durchaus reiner, voller und schmelzender, reicher Gesang, ward durch ihr meisterhaftes, wahres und ergreifendes Spiel erhöht; in den Cavatinen sowohl, als in den Ensembles Stücken quollen ihre frischen Töne im lieblichsten Vollton heraus; jede ihrer Piécen erhielt rauschenden Beifall. Madame Schulz als Eglantine, sang mit ausgezeichneter Kraft, mit Wahrheit der Empfindung und führte mit sehr edlem Vortrage ihre leidenschaftliche Parthie aus. Herr Bader als Adolar war trefflich und ausgezeichnet, so wie Herr Blume, der als Lysiart eine sehr hochliegende Parthie zur Zufriedenheit des Publikums durchführte. Die Chöre gingen vortrefflich und am Schlusse wurden die Damen Seidler und Schulz, und die Herren Bader und Blume gerufen. Nach der Abreise des Herrn von Weber, übernimmt Herr Kapellmeister Seidel die Direktion der Oper.

Apparat

Zusammenfassung

enthält u.a. Kritik am Textbuch der Chézy zur Oper „Euryanthe“ von Weber; bemängelt das Fehler einer klaren Handlung und verständlichen Entwicklung; charakterisiert Chézys Reime als „undeutlich, verrenkt und abgeschmackt“

Generalvermerk

als Reaktion darauf vgl. Briefentwürfe von Helmina v. Chézy an M. G. Saphir vom Juli 1826

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit, Jg. 1, Nr. 2 (4. Januar 1826), S. 7–8

Textkonstitution

  • „Verrätherinnen“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… erschien, (da, wie in Tenare“Geisterreich, Unterwelt; vgl. Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Bd. 4, Leipzig 1841, S. 387: „Tenaros oder Tenare hieß im Alterthum eine Stadt im Peloponnes, bei welcher eine Höhle lag, die man für einen Eingang in die Unterwelt hielt und bei welcher trügerische Priester Todtenbeschwörungen vornahmen. Daher wurde auch die Unterwelt selbst Tenare genannt“. http://www.zeno.org/nid/2000086899X .
  • „… gedemüthigt stehen die italischen Zuckerpäpchen“Fraglich, ob Druckfehler statt Zuckerpüppchen oder gemeint im Sinne von Zuckerschnuten (Papn = Mund).

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