Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, 7.–13. Juni 1814
Ständisches Theater in Prag.
Tancreds Darstellung auf unserer Bühne, von der wir im vorigen Blatte nur die Gastrolle des Hrn. Mattausch würdigen konnten, giebt einen rühmlichen Beweiß von dem Studium unserer Künstler, das in den Fesseln der rhetorischen Dichtung dem Talent erst die Begeistrung für dramatische Wahrheit verleihen mußte, und dieser Künstlerfleiß gereicht ihrem Kunstsinne um so mehr zur Ehre, je wahrscheinlicher die Vorstellung dieses Stücks nicht auf öftere Wiederholungen berechnet werden konnte. – Mad. Löwe gab die Amenaide meisterhaft; sie steigerte das künstlerische Interesse für ihr gedachtes Spiel, so wie die Theilnahme der Zuschauer an ihrem verhängnißvollen Schicksale mit jeder Scene bis zum Heroismus aufopfernder Liebe, der weiblich zwar bekennt:
Mit hoher Würde gab sie [die] Scene ihrer Vertheidigung vor den versammelten Rittern in der sie der plötzliche Anblick Tancreds an der Seite ihres Vaters zu Boden drückt, aber kaum hat sich die Wange der Erblaßten nach Tancreds und Orbassans Abtritt zum Zweikampf geröthet, so erwacht ihr Heroismus wieder[,] ihre Unschuld vor dem sie verkennenden Geliebten auf dem Kampfplatze darzuthun:
Mit hohem Selbstgefühl ihrer Unschuld stürzte sie (4 Act 4 Scene) zu
Tancreds Füßen
und sprach das:
„Ich fühle mich hier nicht erniedrigt,“ mit jener
weiblichen Zartheit aus, die zwischen leiser Scham und aufopfernder Liebe schwankt, und das Eigenthum edler Frauen selbst in der in der
bangen Todesstunde bleibt. – Doch Amenaidens Schmerz steigt höher, als sie sich von
den‡ Geliebten verachtet sieht, und hier tritt die tragische Catastrophe ihrer
Rolle ein, die die Künstlerin groß darstellte. Ihrem Schmerz kann nichts
Verblutung als der Tod an des Geliebten Seite geben, den sie gestraft zu sehen
wünscht, gestraft in sich.
Und nun stürmen, bei Tancreds entscheidendem Schicksaal im Schlachtgewühl, alle Gemüthsbewegungen der Hofnung‡, Freude, der Furcht den Geliebten im Irthum‡ sterben zu sehen, auf die Unglückliche ein, bis sie, versöhnt mit ihm, des Gatten Hand empfängt, um sie auf ewig zu verlieren, und nach gräßlichen Verwünschungen der Urheber ihrer Leiden, vom höchsten Schmerz überwältigt, den Opfertod an seiner Bahre stirbt. Mit hoher Kunst führte Mad. Löwe diese Darstellung zu Ende, und der Beifall des Publikums krönte ihr Verdienst durch ein allgemeines Hervorrufen.
Die schwierige Rolle des Ritter Orbassan wurde von Hrn. Bayer dargestellt, und er lößte diese Aufgabe als denkender und schönbildender Künstler, der jeden Charakter zu idealisiren weiß, und die rauhe Schale des Kriegers, der des Hofes Sprache nicht lernte, mit dem Gewande des männlichen Verdienstes und der Tugend verhüllte. Seine ganze Darstellung athmete daher jenen Geist stiller Würde, mit welcher der treffliche Künstler die Roheit veredelt, und die Gemeinheit so gänzlich aus seinem anziehendem Spiele verbannt. So wenig sei|ne Bewerbung um Amenaiden von leidenschaftlicher Liebe beseelt ist, und nur Ehrgeiz ihre Hand begehrt, so zart und innig behandelt er die Angeklagte, er will nichts von allem glauben, sie retten und den Staat und seinen Ruhm, verdienen will er ihre Hand:
Und wie nun Amenaide von ihm aufgefordert sich zu erklären, seine Hand verschmäht, ihn zum Richter und Rächer auffordert, wie edel weiß er seinen Schmerz mit dem Pflichtgefühl für das fühllose Gesetz zu besänftigen, und ohne Zorn und ohne Reue, wie es selbst ist, der Beleidigerin gegenüberzustehen. Am verdienstlichsten giebt der Künstler die Scene im vierten Act mit dem unerkannten Tancred. Hier, wo der gewöhnliche Haldenspieler‡ durch eine hochaufgetragene Farbengebung zu imponiren suchen würde, blieb Hr. Bayer dem richtig angelegten Charakter treu, sein hoher Sinn für Ehre und Vaterlandsglück sprach sich mit eben der ruhigen Würde auf dem Gange zum Zweikampfe, wie in seiner Verehrung der Verlobten aus, und sein letztes Wort entfaltete den erhabenen Sinn des wahren Helden:
Arsirs Darstellung durch Hrn. Reineke interessirte in Einfachheit und Innigkeit, so wie der Loredan des Hrn. Wilhelmi durch Festigkeit und Kraft die dem Talente dieses Künstlers, ohne Anstrengung seines sonoren Organs, so eigen ist. Eben so fleißig, und in den Ton des Ganzen einstimmend, wurden Roderich, von Hrn. Valet, Aldamon von Hrn. Manetinsky und Euphanie von Mad. Junghans gegeben.
Am 7. Juni wurde Adrian von Ostade, Singspiel in 1 Aufzuge mit Musik von Weigl aufgeführt, worin Dem. Böhler vom Frankfurter Theater zum erstenmal in der Rolle der Marie auftrat. Wenn eine reizende Gestalt, eine sonore, biegsame Stimme von Umfang, und der Vortrag der guten Schule, eine angehende Sängerin und Schauspielerin auf ihrer Künstlerlaufbahn begleiten, so dürfen wir hoffen, sie in kurzer Zeit dem Ziele der Ausbildung nahe zu erblicken. Die junge Künstlerin, welche heute erst die Bühne zum drittenmal betrat, interessirte allgemein durch ihren schönen Gesang und ihr einfaches Spiel, und wurde nach Endigung der Oper hervorgerufen. Neben Mustern, wie sie unsre geschätzten Künstlerinnen in der Oper-‡ und im Drama aufstellen, wird sich dieses hofnungsvolle‡ Talent bald entwickeln, und den Ruhm der hiesigen Bühne zu erhöhen suchen. – Die Oper wurde sehr gut ge¦geben, und die Rahmen Tableaux von Kindern der Tanzschule, welches Hr. Balletmeister Reiberger sehr sprechend und mit Geschmack geordnet hatte, fanden allgemeinen Beifall.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Schaffer, Sebastian
Überlieferung
-
Textzeuge: Allgemeiner Deutscher Theater-Anzeiger, Jg. 4 (1814), Nr. 33, S. 131–132