Besprechung der ersten Aufführungen des Oberon in Schwerin vom 12. bis 14. Mai 1829

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Oberon, das letzte Werk des zu früh für Deutschland, wie für die Kunst verstorbenen K. M. v. Weber, wurde hier am 12ten, 13ten und 14ten Mai mit immer zunehmendem Beifalle gegeben. Der Dichtung des Planché lag, wie man deutlich sieht, Wieland’s treffliches Werk zum Grunde. Aus diesem reichhaltigen Stoffe machte Planché einen Operntext zu 3 Akten, stellte die Hauptmomente der Handlung dürftig zusammen und veränderte auch vieles nach seinem Gutdünken. An eine zusammenhängende Handlung, an eine, durch die ganze Oper fortlaufende Idee ist also nicht zu denken, und dennoch öffnet die Karakteristik der handelnden Personen, des Oberon, der Elfen und der Orientalen, und die Situationen, worin sie der Zauber Oberons führt, dem Komponisten ein weites Feld. Der geistvolle Weber benutzte das Gegebene sehr gewissenhaft, denn fast jede Nummer der Oper ist eigenthümlich, und dabei immer dem Karakter der handelnden Personen angemessen, geschrieben. Nicht zu leugnen ist aber auch, daß der treffliche Komponist oft auf Unkosten der Melodie die Karakteristik zu sehr hervorhob, und daher der nicht ganz unbegründete Vorwurf, daß der Oberon, als Zauberoper, nicht populär genug geschrieben sei. Der Kunstkenner wird den Oberon dem Freischützen gleich stellen, ja ihn in mancher Beziehung noch vorziehen, aber dem Laien, wie dem Dilettanten, und somit dem größten Theile des Publikums, wird der Freischütz immer Lieblingsoper bleiben; selbst eine glänzende Ausstattung an Dekorationen, Kostümen und Maschinerien des Oberon wird den älteren Liebling nicht verdrängen. Doch fehlt es dieser Oper keinesweges an guten Melodien; denn die beiden Arien der Fatime, die große Arie, und besonders das Gebet des Hüon, der Gesang der Meermädchen und die verführerischen Melodien im Zimmer der Roschana, geben deutliche Beweise von dem Genius des unsterblichen Meisters. Karakterstisch schön sind die Elfenchöre, doch sprechen sie den Laien wenig an. Ohne nur irgend Beifall zu erringen, geht die erste Arie des Oberon, der Männerchor: „Ehre sei dem Kalifen“, und die Szene des Puck mit dem Geisterchor vorüber; dagegen das Finale des ersten Akts, das Duett: „An dem Strande der Garonne“, das Quartett im 2ten Akte, und besonders die große Szene der Rezia: „Ozean, du Ungeheuer“, den Beifall des Publikums stets erringen müssen. Höchst possierlich klingt der Chor im Finale des 3ten Akts: „Horch! welch Wiederklingen!“ – Geht man das Textbuch durch, so wird man fast auf jeder Seite auf holprichte Verse, oft auf förmlichen Unsinn stoßen. Der Uebersetzer, Theodor Hell, hat sich dadurch große Fehler zu Schulden kommen lassen, und diese sind schon in vielen Blättern mit Recht gerügt worden.

Dem thätigen Direktor Krampe müssen wir es Dank wissen, daß er weder Kosten noch Mühe gespart hat, uns dieß Meisterwerk, seinen Kräften nach, gut darstellen zu lassen. Die Dekorationen, wie die Kostüme, waren größtentheils neu; besonders schön war die Stadt Babylon, das Zimmer der Roschana und der gestirnte Himmel beim Finale des 2ten Akts, von dem als Dekorationsmaler rühmlichst bekannten Gropius in Berlin, auch der Hafen Askalon und das Zimmer des Harun al Raschid, vom hiesigen Maler Grüder, nahmen sich vortheilhaft aus. Das Maschinenwesen ging, dem beschränkten Raume nach, ziemlich gut. – Das Orchester war, verstärkt durch einige Dilettanten und den tüchtigen Musikdirektor Hrn. Seidel* aus Wismar, der mit einigen von seinen Leuten dazu eingeladen war, vollständig besetzt. Besonders gut waren die Saiteninstrumente, unter der Anführung des Herrn Organisten Lührß*; weniger die Blasinstrumente, die nie ganz rein stimmen; am auffallendsten war dieß bei den Klarinetten der Fall. Daß jedoch die Leitung des Ganzen nicht unserer Erwartung entsprach, muß wohl daran liegen, daß dem Vernehmen nach der Musikdirektor die Partitur nicht lange genug in Händen gehabt hat. Denn ohne ein gründliches Studium der Partitur war es unmöglich, daß Hr. Romberg* die Oper gut ¦ leiten konnte, theils weil die Musik so höchst schwierig ist, theils weil die einzelnen Instrumente nicht alle mit geübten Musikern besetzt waren. Die Folge davon war, daß Hr. Romberg die Tempis oft nicht richtig nahm und zuweilen etwas unsicher dirigirte. An allen drei Abenden ging der schöne Gesang der Meermädchen ganz verloren, und obgleich Hr. R. in den beiden letzten Vorstellungen sehr aufmerksam war, so schleppte doch das Tempo im 1sten Akte bei dem allegro con fuoco im Chor: „Eil’, o Held!“, im 2ten Akte, in der Arie des Puck mit Chor, das allegro pesante: „Ob ihr gebannt“, im 3ten Akte die Cavatina der Rezia: „Traure mein Herz“; ein wenig zu rasch war wohl das allegro giojoso assai im Finale des 1sten Akts: „Wer blieb im korallnen Schacht“. Der Deutlichkeit wegen könnte das Rondo allegro vivace assai des Hüon in einem etwas gemäßigteren Tempo genommen werden, da der Sänger noch dazu die Hälfte der vorgeschriebenen Noten verschluckte.

Die darstellenden Personen leisteten im Ganzen viel Gutes. Der Preis gebührt unstreitig Dem. Conradt, die die Partie der Rezia zur großen Zufriedenheit des Publikums, sowohl in Hinsicht des Gesanges, wie des Spiels, darstellte. Richtig faßte sie fast immer den eigenthümlichen Karakter der Musikstücke auf; lieblich sang sie im Finale des 1sten Akts, leidenschaftlich die große Szene: „Ozean, du Ungeheuer,“ und gefühlvoll die Cavatina im 3ten Akte. Referent erlaubt sich aber, die fleißige Künstlerin auf einige Mittel aufmerksam zu machen, wodurch sie ihren Gesang noch mehr heben könnte. Vorzüglich befleißige sie sich, recht deutlich den Text auszusprechen. Ihre natürliche Stimme ist nicht sehr stark, damit nun die Töne recht voll klingen, singt sie besonders die höhern mit Anstrengung und mit vollem Athem, dadurch aber werden sie oft scharf und schweben immer zu hoch; behält man jedoch etwas Athem zurück, so hat man den Ton stets in seiner Gewalt, und kann ihn, ist er zu tief, etwas treiben, ist er zu hoch, etwas mehr Athem zurückbehalten. Auf die Läufer in aufsteigender Skala, und auf die Gleichheit der Töne in den Läufern und Triolen hat Dem. C. besondere Aufmerksamkeit zu verwenden. Bei ihrem Fleiße steht zu erwarten, daß sie diese Schwierigkeiten bald besiegen werde. – Mad. Becker (Fatime) trug ihre Gesangpartie mit vielem Ausdrucke vor; der Klang ihrer Stimme und ihre deutliche Aussprache errangen ihr vielen Beifall, dagegen sahen wir in ihrem Spiele keineswegs das heitere und gefühlvolle Kind der Wüste, sondern eine gewöhnliche Soubrette. Auch war das hohe h mit nachfolgendem entre-chat am Schlusse der Arie: „Arabien mein Heimathland“, höchst unpassend. – Herr Ritschel (Oberon) wußte sich weder mit seiner Figur, noch mit seiner nicht unangenehmen Stimme zu behelfen; überall blickte der Anfänger durch. – Seine beiden Geister wurden von Mad. und Dem. Bianchi* dargestellt; erstere sang ihre Arie mit Chor: „Geister der Luft“, sehr brav, letztere dagegen trug die beiden Erzählungen von Oberon und der Titania, und dem Ritter Hüon, worauf es bei der verwirrenden Zusammenstellung der Handlung besonders ankommt, zu undeutlich und geschwinde vor. Beide nahmen sich übrigens recht stattlich aus. – Herr Hanssen (Hüon) könnte bei seinen Mitteln sehr viel Gutes leisten; denn er besitzt eine schöne, umfangreiche Stimme und eine gute Theaterfigur, aber in seinem Spiele, wie in seinem Gesange, herrscht etwas so Seelenloses, Trocknes, daß ihn den Beifall des Publikums nie gewinnen lassen wird. Mit der größten Undeutlichkeit singt er jede kleine Verzierung, Läufer und Triole, und selbst bei den Fermaten macht er seine Stimme nicht geltend. Das Gebet und die oben bemerkte Arie: „Ich juble in Glück“, sang er höchst mittelmäßig, besser die große Arie im 1sten Akte: „Von Jugend auf“; in dem Terzett: „So muß ich mich verstellen“, das sehr hoch liegt, sang er recht brav. – Den heitern Knappen Scherasmin gab Hr. Naumann sehr gut, auch paßte sein hoher Bariton ganz für die Partie. Sei erstes Solo in dem Duett: „An dem Strande der Garonne“, trug er besonders schön vor, und in dem Quartett und Terzett tönte seine angenehme Stimme recht deutlich durch. – Mad. Horina, Hr. Hoffmann und Hr. Reußler* hatten die untergeordneten Spielpartien der Roschana, des Babekan und Almansor bereitwillig übernommen. – Von den Chören ging besonders der erste Elfenchor recht ¦ gut, weniger der Chor im Finale des 2ten Akts. Unpassend war es, daß im Zimmer der Roschana die Choristinnen während des Gesanges tanzen mußten, die üppigen Melodien traten dadurch ganz in den Hintergrund. Der Tanz im Zimmer des Kalifen wurde recht hübsch ausgeführt. – Der Männerchor: „Ehre sei dem großen Kalifen“, würde sich besser ausnehmen, ständen die Sänger vorne zu jeder Seite des Theaters. Der Hintergrund könnte durch Statisten ausgefüllt werden, da überdieß die Zahl der Gäste auf der Hochzeit der Tochter des Kalifen viel zu geringe war. Zu Anfange des Finale vom letzten Akte muß Almansor das Zauberhorn nicht mehr hören, sondern vorher rasch abgehen; auch dürfen Fatime und Scherasmin, wovon letzterer das Zauberhorn bläst, nicht mit tanzen, da sich auf sie der Zauber nicht erstreckt.

Das Publikum war mit der Darstellung im Ganzen sehr zufrieden, das Haus an allen 3 Abenden sehr besetzt, und der Beifall steigerte sich bei jeder Wiederholung. Dem. Conradt wurde an jedem Abend gerufen, eben so Hr. Krampe nach den beiden letzten Vorstellungen.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Freimüthiges Abendblatt, Jg. 11, Nr. 542 (22. Mai 1829), Sp. 429–431

Textkonstitution

  • „Wiederklingen“sic!
  • „Läufer“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… den tüchtigen Musikdirektor Hrn. Seidel“Wilhelm Adam Johann Seidel, geb. 1798 in Plau (Mecklenburg) und seit 1825 Musikdirektor in Wismar, starb dort wenige Monate später, am 10. September 1829.
  • „… Anführung des Herrn Organisten Lührß“Friedrich Lührss, Organist der Schlosskirche und Hofmusiker (später Musikdirektor der Hofkapelle) in Schwerin, gest. 1874.
  • „… es unmöglich, daß Hr. Romberg“Musikdirektor Romberg gehörte von 1824 bis 1830 der Schweriner Theatertruppe unter Direktor Krampe an.
  • „… von Mad. und Dem. Bianchi“Mad. Bianchi debütierte im Dezember 1827 in Rostock als Mitglied der Schweriner Theatergesellschaft und war in dieser bis 1830 als Sängerin in Mezzo- bzw. Altpartien tätig. Dem. Bianchi (ihre Tochter?) debütierte im Februar 1829 in Schwerin und war dort bis 1830 vorrangig im Fach der naiven Liebhaberinnen beschäftigt.
  • „… Hr. Hoffmann und Hr. Reußler“Eduard Hoffmann gab ab 1824 in der Schweriner Gesellschaft zunächst erste Liebhaber und Helden, später Charakterrollen; von 1836 bis 1839 war er am Schweriner Hoftheater Oberregisseur. Joseph Wilhelm Reußler war 1826 bis 1831 in der Schweriner Gesellschaft engagiert, wo er Intriganten, Charakterrollen und Basspartien gab.

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