Aufführungsbesprechung Hamburg: „Oberon“ von Carl Maria von Weber (Mai 1829)

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Hamburgische Theater-Zeitung.

Stadt-Theater.

So viele Schönheiten auch der Webersche Oberon im Einzelnen darbietet, so wenig ist er als Ganzes den früheren Compositionen dieses Meisters an die Seite zu setzen. Es fehlt ihm an der Einheit des Gedankens, welche schon in der Euryanthe weniger hervortrat, als im Freischützen. Einzelne Lichtpunkte ziehen stets aufs Neue wieder an, aber die verbindenden Mittelglieder sind oft locker und schwach. Dazu erscheint das allgemein bekannte Sujet hier in einer erbarmenswerthen Bearbeitung und selbst der günstigste Eindruck der Composition muß durch die entsetzliche Langweiligkeit des Dialogs beeinträchtigt werden, zumal da durch einige bessere neuere Operntexte, z. B. der Jessonda, der weißen Dame, der Stummen von Portici, die Anforderungen des Publikums gesteigert worden sind. Für diesen Mangel können Decorationen und Maschinerien nicht entschädigen, und das Publikum, welches durch diesen himmlischen Schwanenwagen mit seinen steifen Puppengenien appendix, durch die Versenkungen, durch den Seesturm gelockt und befriedigt wird, kann wohl ein großes, aber kein auserwähltes seyn. Die billige Rücksicht auf die beschränkten Mittel eines Privattheaters, wie das unsrige, kann indessen die Bemerkung nicht unterdrücken, daß diese glänzende Augenlust an ¦ einer massiven Handgreiflichkeit leidet, welche oft die Illusion stört, und das also der eigentliche Zweck verfehlt wird. Wir behaupten nicht, daß in dieser Hinsicht zu wenig geleistet werde, sondern im Gegentheil, daß man in dem sichtlichen Bestreben viel zu gewähren, bereits die Grenzen überschritten hat, ohne für die gehabte Anstrengung belohnt zu werden. – Nach diesen allgemeinern Reflexionen betrachten wir die heutige Darstellung etwas genauer. Die schöne Ouvertüre wurde, mit Ausnahme einiger falschen Blaseinstrumente, ausgezeichnet brav durchgeführt. Die richtige Beobachtung der Piano- und Forte-Vorzeichnungen, die sich freilich entschieden genug abtrennen, trägt nicht wenig zur Hebung des Eindrucks bei. Um desto mehr ist es zu wünschen, daß von unserm Orchester auch bei andern Gelegenheiten ein solches Hauptbedingniß der gewünschten Wirkung nicht vernachlässigt werde. Gewöhnlich ist das Forte nicht gemäßigt genug, thut der Reinlichkeit des Spiels Eintrag und das Piano wird übersehen. Wenn wir uns nun zu den einzelnen Gesangparthieen wenden, so machen wir mit Recht den Anfang mit der Rezia, welche von Mad. Schröder-Devrient als zweite Gastrolle repräsentirt wurde. Diese Sängerin war seit ihrer frühern Anwesenheit im besten Andenken geblieben, und zahlreiche Verehrer derselben freuten sich im Voraus ihrer wiederholten Erscheinung. Meinem Gefühl nach hat sie Mad. Kraus in dieser Rolle nicht vergessen machen können. Ihre Mitteltöne sind weniger gut als ihre Höhe. Sie schien besonders in der Visionsscene befangen, ja unsicher. In der großen Arie: „Ocean, Du Ungeheuer,“ mangelte es an Kraft und Bestimmtheit in der Tiefe. Der Neuheit ihrer Auffassung wegen machte diese Arie den größten Effect. Mir aber scheint es, daß der Schrei zum Gesang werden müsse, nicht aber der Gesang zum Schrei und dies geschah mehreremale. Die Absichtlichkeit blieb zu erkennen, ohne darum gerechtfertigt zu seyn. Die zarte Grenzlinie der Kunstschönheit und Natur war überschritten. Gerade da, wo der Beifall des Publikums am entschiedensten ausbricht, sind oft die größten Mißgriffe geschehen. Das Tadelnswerthe wird viel häufiger gerühmt, als das wirklich Lobenswürdige erkannt. Anerkennung verdient das treffliche Spiel der Sängerin; nur einzelne Angewöhnungen, wie z. B. das verbrauchte Wiegen und Neigen des Köpfchens auf diese und jene Seite, der imponirende, zum Applaus auffordernde Abgang, blieben uns störend. – Brav sang Herr Cornet die eingelegte Webersche Surrogat-Arie*, die mehr als irgend eine andere zerstückt und aus verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt (componirt) ist. Besonders ansprechend bleibt der Toast, Frankreichs adligen Frauen dargebracht, und der Ton der leichten Chevalerie, wie die zierlichen Arabesken der Musik gelingen Herrn Cornet recht eigentlich am besten. Die liebliche Dlle. Schröder* singt leider nur zu häufig falsch. Aus des Scherasmin trauriger Rolle, der wohl kaum etwas abzugewinnen ist, macht Hr. Gloy einen Lustigmacher. Aufrichtiges Bedauern zollen wir der Roschana, deren ganze Activität das An- und Umkleiden kaum verdient. Höchst ergötzlich bleibt das ehrliche „Nein“ des Emirs von Tunis auf die Frage der Rezia: Kannst Du Todte wieder erwecken? Da doch einmal getanzt werden soll und muß, so verdient das Bemühen und die Leistungen der Mad. Brülow wohl Aufmunterung und Beifall. Mit ungeduldiger Erwartung sehen wir der Aufführung des Don Juan und Fidelio entgegen, worin Mad. Schröder-Devrient zunächst auftreten wird und werden gewiß gegen die Vorzüge ihrer Leistungen nicht unempfänglich seyn.

Apparat

Zusammenfassung

über „Oberon“ in Hamburg, Gastspiel von Wilhelmine Schröder-Devrient als Rezia

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank; Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 13, Nr. 65 (1. Juni 1829), Sp. 519f.

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Cornet die eingelegte Webersche Surrogat-Arie“Offenbar wurde in Hamburg anstelle der Arie von Hüon „Von Jugend auf im Kampfgefild“ (Nr. 5) die von Weber für John Braham zur UA komponierte Arie „Yes! even Love to Fame must yield“ (Nr. 5a) verwendet. Die Arie war Frühjahr 1827 im Klavierauszug mit engl. und dt. Text bei Schlesinger erschienen, was in Hamburg jedoch als Aufführungsmaterialien zugrunde lag, bleibt unklar.
    • „… besten. Die liebliche Dlle. Schröder“In der Rolle der Fatime.

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