Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: „Faust“ von L. Spohr, am 1. September 1816 (Teil 1/2)

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Theater.

Prag. – Den 1. Sept.: Faust, romantische Oper in zwey Aufzügen, von J. C. Bernard, mit Musik von L. Spohr. – Ein gediegenes und seines Verfassers in den meisten Theilen würdiges Werk, welches wir, da selbes hier zum ersten Mahl aufgeführt wurde, nach Musik und Text zu würdigen versuchen wollen. Die erstere ist meistens kräftig und anpassend, doch ist sie wohl nicht frey von Reminiscenzen an Mozart, Winter und selbst an manche neuere französische Werke. Vor allen schön gedacht und mit tiefem Sinne durchgeführt ist die Ouverture, die, ein wahrer Prolog zu dem Ganzen, uns Fausts wildes Leben und dessen nothwendigen Untergang in den kräftigsten Tonbildern vor das Gemüth führt, und fast lebhafter als das Stück selbst darstellt. Der Faust des Dichters ist im Grunde ein recht guter Mensch, der sich zwar im Taumel des Vergnügens herumtreibt, doch scheint er dieß nur gezwungen zu thun, und singt schon im ersten Recitativ, wo er mit Mephistopheles von einem nächtlichen Gelage kommt:

In Sinnenlust so sinnlos leben,Ein elend Zauberspiel!Hinweg mir Schmaus und Tanz,Mit diesen schalen Festen,Geweiht der Völlerey!Hinweg!

Er droht dem Teufel – welcher ein so unkräftiger Teufel ist, daß jener große Mann, der behauptete, der teutsche Satan sey der satanischste von allen Nationen, ihn gewiß nicht vor Augen hatte – ihn selbst mit der Macht zu schlagen, die ihm die Hölle gegeben hat; er will

– Zum Guten sie verwenden.Den Mangel will ich reich begaben,Mit Lust der Menschheit Elend laben,Sie lösen aus der Leiden Acht.Und eine Mahlzeit will ich halten, ¦ Wie sie die Welt noch nie geseh’n;Die Lust soll da als Wirthinn schalten,Das Elend hin zu Gaste geh’n.Es soll ihm einmahl wohl gescheh’n.     Mephistopheles.Versuche dich in guten Thaten,Wenn du dem Bösen unterthan;Das Beste wird dir schlecht gerathen,Das Böseste hängt oft daran.Du strafst dich selbst durch deinen Wahn.

In dieser Rede liegt die ganze Prophezeyung der Komödie. Faust thut manches Gute, das Satan durch gewöhnliche Tücke zum Bösen verkehrt, und am Ende muß Faust ungerechter Weise dafür büßen.

Nach jenem frommen Vorsatze erinnert sich Faust eines Mädchens, das er liebt. Röschen, eine arme Waise, die von einem jungen Goldschmied geliebt wird, kann seine Liebe nicht erwiedern, weil sie selbst in Faust entbrannt ist; zu ihr eilt er, und bringt sie, nachdem vorher seine vier Spießgesellen sich in einer ziemlich leeren Scene trinkend und schwatzend dem Publicum präsentirt haben, in seine Herberge, wo er sie beredet, ihm zu folgen. Nach einem äußerst gefälligen und seelenvollen Duett zwischen Faust und Röschen kommt Mephistopheles, und meldet, daß der Goldschmied Franz aus Eifersucht den Faust beschuldige, er habe Röschens Mutter getödtet, und sie selbst bezaubert; man wolle sie ihm nun entreißen, und ihn als Zauberer richten. Röschen wird in ein Seitengemach gebracht und der Teufel soll Hülfe schaffen. Als ihn dieser daran erinnert, daß er versprochen, der Ehe zu entsagen, schreyt Faust:

Zerrissen sey der schnöde Bund!

Und Mephistopheles antwortet sehr gefällig: Wohlan! du bist frey! deine Macht hat aufgehört – deine Richter hör’ ich schon nahen, du entrinnst ihnen nicht; auf dem Holzstoße wirst du als Zauberer enden und Röschen mit dir ins Verderben reißen.

Faust schwört aufs neue – wir hätten kaum geglaubt, daß Sa|tan ein erstes Versprechen so leicht zurückgeben würde, und daher scheint es mit einem zweyten auch nicht viel auf sich zu haben – Mephistopheles rettet Röschen, und als endlich Franz mit dem Volke herein stürzt, Röschen fruchtlos überall sucht, und sich Fausts bemächtigen will, fliegt dieser mit seinen vie Gefährten durch die Luft davon. Die Scene stellt ein Gemach auf der Burg des Raubritters Gulf vor, der das schöne Fräulein Kunegunde geraubt hat. Sie steht am Fenster und verkündet in einem Recitativ und einer zwar schönen, aber etwas langen Arie ihren Schmerz und ihre Liebe zu Graf Hugo, welche ihr neue Hoffnung gibt. Gulf kommt und fordert Liebe, Kunegunde verspricht ihm Haß – nun macht er ihr auf die ungeschickteste Weise erst weiß, ihr Geliebter sey todt, dann, er sey von ihm gefangen, und sie ist thöricht genug, ihm das letztere zu glauben. Kunegunde entflieht mit Versicherungen ihrer Liebe für Hugo und ihres Hasses gegen Gulf, der ihr drohend folgt. Die Bühne stellt einen Wald vor. Hugo kommt mit seinen Leuten, um Kunegunden zu befreyen. Eine vortreffliche Scene mit Chor schmückt diese Scene. Als sie sich entfernt haben, kommt Röschen und Franz; die erstere ist dem geliebten Faust nachgezogen und ihr unglücklicher Anbether begleitet sie; in dem Augenblicke läßt sie Mephistopheles einschläfern und in einem leichten Gewölk forttragen. Hugo ist mit Faust zusammengekommen, und sie kommen vor Gulfs Veste an; Faust fordert Kunegunden, und auf die Weigerung des Ritters steigt auf Fausts Geboth ein Gewitter auf; ein Blitzstrahl entzündet das Schloß, und als Gulf mit Kunegunden und seinen Leuten herauskommen, wird jener durch Larven in die Flammen gejagt, und Hugo mit Kunegunden vereint. Faust verliebt sich aber augenblicklich in das wunderschöne Fräulein, und der Act schließt mit dem Chor:

Entsetzen! o Schreckensgeschichte!Er stürzet sich selbst in die Gluth.So strafen des Himmels GerichteDen Frevler am eigenen Blut.

Das Finale ist tief durchdacht und mit kräftigem Leben ausgeführt, und gehört unter die vorzüglichsten Stücke der Oper.

Der zweyte Act beginnt auf dem Blocksberge und die Hexen singen:

Brenne Laterne!Nahe und ferneDämmere auf!Flimmer’ und leuchteÜber die feuchteHeide hinauf!Daß wir saufen,Daß wir brausenHussasa laut!Bis es graut. – u. s. w.

Bey der Ankunft des Faust mit Mephistopheles singt eine Stimme:

In dem FesteKommen GästeSelten geschaut.Herr und MeisterUns’rer Geister,Mit dem Klugen,Nimmerg’nugen,Der ihm vertraut.     Chor.Frisch zu TanzeRings im Kranze,Hussasa laut! ¦ Willkommen zu Saus und Braus,Willkommen zum lustigen Schmaus!     Mephistopheles.Sieh uns hier an Ort und Stelle!     Faust.Suchst du hier die Wunderquelle?Wo der Unsinn ist zu Haus,Lacht dich Narr und Kluger aus (!!!).     Mephistopheles.Zweifle nicht an meinem Wort.     Faust.Wohl, so zeig’ mir an den Ort!     Mephistopheles.Eine Jungfrau, grau und kalt,Dreymahl dreyßig Jahre alt,Ohne Speis’ und Schlaf, bewachtSie im tiefsten Erdenschacht.     Faust.Eine Quelle, wohlbedacht (!),Die unwiderstehlich macht,Hast du mir verheißen hier.     Mephistopheles.Kosten sollst du bald von ihr.Wie’s dem Eisen beym Magnet,Geht es dann bey Weibern dir,Keine, keine widersteht.

Auf Mephistopheles Geboth bringt die Hexenmutter Sycorax den Trank, Faust trinkt und zerschlägt die Schale, die Hexen verfolgen ihn mit Liebkosungen, bis er ihre Lampe zerschlägt und sie in die Erde versinken. Die Bühne verwandelt sich in einen Platz nahe dem Dom bey Aachen. Franz und Röschen sind durch des Teufels Macht dahin getragen worden, und gehen in die Kirche, wo eben Hugo und Kunegunde verbunden werden. Fausts Leidenschaft für die Braut hat den höchsten Grad erreicht. Als der Bräutigam vorüber ist, nahet ihm Röschen, aber er macht sich los von ihr, und verspricht, bald zu ihr zu kommen. In einem glänzenden Saal wird Hugo’s Hochzeitsfest gefeyert. – Ein sehr schönes Duett und eine der brillantesten Polonaisen zeichnen sich in dieser Scene aus. Endlich kommt Faust, der dankbare Hugo setzt ihn an Kunegundens Seite, er erklärt ihr seine Liebe; durch Zauberkraft besiegt, neigt sich diese zu ihm, Mephistopheles macht Hugo aufmerksam, der hinzu eilt, als Faust das schöne Fräulein umfaßt.

     Hugo.O unerhörter Frevel!Das Weib mir zu verführenVor meinen Augen hier!

Faust und Hugo kämpfen, Kunegunde und Röschen, die mit Franz unter den Zuschauern waren, treten dazwischen: endlich entflieht Kunegunde, Faust ficht Hugo nieder und folgt ihr. – Die Bühne verwandelt sich abermahls in eine Waldgegend, und nach einem Selbstgespräch des Teufels folgt eine Arie desselben, die wohl eines der minder bedeutenden Musikstücke des Ganzen ist, und nach einem Quintett mit den Hexen erscheint Faust, von Gewissensbissen ergriffen, Wagner kommt dazu, und Faust scheint ganz bekehrt, will sich mit Röschen vermählen, und im Verein mit ihr und Wagner ein frommes Leben führen. In Fausts Wohnung sucht Röschen den Geliebten, und Kunegunde schwört ihm Rache; Faust erscheint, Kunegunde droht, und Röschen entflieht und stürzt sich ins Wasser. Hugo’s Gefährten nahen, seinen Tod zu rächen, und der Teufel nimmt Faust in Besitz; die Hölle öffnet sich und der Gerichtete wird hinab geschleudert.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 8, Nr. 132 (2. November 1816), S. 543f.

Textkonstitution

  • „st“unsichere Lesung

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