Aufführungsbesprechung Berlin: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber am 14. März 1821

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Ueber Allerlei in Berlin. (Schluß.) […] |

– Am 14ten März war auf unserer Bühne die erste Darstellung von: „Preciosa“, Schauspiel mit Gesang und Tanz in 4 Abtheilungen, vom Königl. Schauspieler P. A. Wolff. Der in mehreren alten Erzählungen schon bearbeitete Stoff ist folgender: Ein Kind (Preciosa), von Zigeunern entwendet, erwuchs bei der Horde zu einem Wundermädchen, das ganz Spanien bezaubert. Don Alonzo verliebt sich in die Allesfesselnde so sehr, daß er den Zigeunern sich anschließt. Bei ¦ einem Zuge erreichen sie das Schloß, in dessen Nähe einst Wiarda, eine alte Zigeunerin, das Kind mit sich nahm. Hier hat Don Alonzo, in einem Anfall von Eifersucht, Streit mit Don Eugenio, dem Sohn des Schloß-Besitzers; Jener wird verhaftet, Preciosa will nun nicht von dem Geliebten weichen, und die Umstände fügen es: daß Wiarda den Kindesraub gesteht. Preciosa ist nun wieder die Tochter des Don Fernando de Azevedo und vermahlt sich dem Alonzo. - Die Spannung, welche etwa im Gange der Handlung erregt werden könnte, ist sehr geschwächt dadurch: daß schon im ersten Akt Preciosa dem Azevedo aus der Hand prophezeit: „Was, o Herr, du einst verloren, wird dir plötzlich neu geboren“; jeder Zuhörer weiß nun das Ende. Die Wahrscheinlichkeit wird nicht minder, unter Anderem auch dabei verletzt: daß der Zigeuner-Hauptmann und Wiarda, welche die Preciosa als ihren Glücksstern betrachten, wieder nach demselben Schlosse kommen, bei welchem die Entwendung geschah. Ein Grund der Notwendigkeit hätte sich dabei wohl auffinden lassen, so wie überhaupt, da es einmal Abentheuerliches galt, die Phantasie mehr aufgeregt werde mußte: sie verliert aber ihr Spiel, weil nur wenige Personen in die Handlung eingreifen, einige, wie z. B. Don Contreras und Donna Petronella ganz überflüssig sind. Beide vermehren zwecklos den Aufwand von Kräften; denn sie sind nur herbei gezogen, um einiger Späße willen, deren Entbehrung nicht eben viel Resignation erfordern kann. Charakteristik scheint überhaupt nicht zu der Aufgabe gehört zu haben; und nur mit der, zum Theil in recht lobenswerther Leichtigkeit – die aber viele falsche Reime sich erlaubte – gehaltenen Vers-Art ist Lokalität angedeutet. Die „Wiarda“ (Mad. Wolff) ist noch am natürlichsten geschildert und wurde vortreflich dargestellt, so wie auch Mad. Stich als „Preciosa“, mit allem Aufwand ihrer bedeutenden Kräfte, die ins beste Licht gestellte Rolle noch zu heben wußte; sie genügte in hohem Grade den hier gemachten bedeutenden Anforderungen, und diese sind: großes Darstellungs-Talent, Musik-Kenntniß, Fähigkeit zu Gesang und Tanz, vereint mit einer schönen Gestalt. Auch die übrigen Darstellenden thaten, was sie konnten, und als Bemerkung der Kritik wäre besonders nur noch Hrn. Gern (ein burlesker Pedro, der etwas Pierre précieux – d.h. erkünstelter Peter, nicht Edelstein – ist) zu sagen: daß er der französischen Ausrufungen ja nicht mehr geben möge, als in der Rolle stehen; denn bekanntlich haben die Spanier schon von alter Zeit her die französische Sprache verschmäht und gehaßt. Nach diesen, in unserer Ueberzeugung ruhig mitgetheilten Andeutungen glauben wir noch äußern zu müssen: daß der Name „Preciosa“ uns wahrscheinlich schon auf den Maaßstab hinweiset, den die Kritik ergreifen soll: indem er an Werthvolles, Kostbares und Erkünsteltes zugleich erinnert. Werthvoll durch poetisch-sinnreichen Ausdruck sind mehrere Einzelheiten, als: Preciosa’s Schilderung des Gefühls einer Waise, ihr Deuten von Alonzo’s Gesichtszügen u.s.w.; so auch Manches in der Musik von Maria von Weber, obgleich man Flüchtigkeit überall wahrnimmt; kostbar ist die ganze Ausstattung und besonders die den lautesten Applaus erregende neue Dekoration im letzten Akt; erkünstelt aber erscheint, laut Obigem, gar Vieles. Wenn wir unter solchen Umständen die Preciosa nicht für besonders ächt halten, so sind sie doch wenigstens à jour gefaßt, d.h. nach der Mode des Tages und durchbrochen von alten, Beifall erstürmenden Außenwerken (Malerei, Gesang und Tanz). Auf diese Weise präsentirt sich das Ganze als Gelegenheits-Stück, bestellt von der Menge; gefällt es dieser – wie zu wünschen ist, wegen des bedeutenden Aufwandes – so wäre ja der Zweck erreicht und wir hoffen, Hr. Wolff (der übrigens, nächst Mad. Stich hervor gerufen ward) werde uns bald wieder mit einem anderen neuen Stück daran erinnern: daß sein Name in der dramatischen Literatur durch viel bessere Leistungen bekannt ist. (B. Mehr.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Gesellschafter, Jg. 5, Nr. 46 (21. März 1821), S. 207–208

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