„Preciosa, Schauspiel von P. A. Wolf. (Dargestellt auf der Berliner Bühne am 14. u. 19. März 1821.)“ (Teil 4 von 5)

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Preciosa, Schauspiel von P. A. Wolf.

(Fortsetzung.)

Wir können nach diesen Betrachtungen zur Beurtheilung des neuesten Gedichts Preciosa übergehen. Der Stoff ist bekannt genug als Novelle und in manchen andern Formen. Ein Mädchen, welches als Kind von Zigeunern geraubt ward, findet auf den Streifereien des Zigeunerhaufens ihre Aeltern wieder. Der rohe Stoff an sich konnte sogar an Mignon in Meisters Lehrjahren erinnern. Aber darin besteht gerade der selbstständige Werth dieses Dramas, daß außer einer eigenthümlichen Weltansicht des Dichters hier eine ganz andere Natur und menschliche Bildung entwickelt wird. Wir sehen nämlich das ungestörte Aufleben der reinen Menschheit in einem jungen verlassenen Wesen, während es von der Gefahr und vom Verderben umringt ist. Die persönliche Bestimmung der Menschen geht also, nach dem Glauben des Dichters, durch eine drohende Reihe von Schicksalen unbezwungen hindurch, und die ursprüngliche menschliche Schönheit, d. h. die Unschuld, steigt, von der Nähe des Häßlichen, Gemeinen, Widrigen und Verkehrten unangefochten, leuchtend hervor, indem sie sich verklärend auf ihre unfreundliche und unwürdige Gesellschaft ausbreitet. Dieser Gedanke des Drama’s wird aber dadurch verdunkelt, daß der Dichter den Zigeunern, vielleicht in der Ueberzeugung, das Ekelhafte und Abscheuliche dieses Volks, als einer dramatische Person, mildern zu müssen, den heitern Zug eines genügsamen, fröhlichen und treuherzigen geselligen Beisammenseyns gegeben hat. Es hätte daher zur liebenswürdigen und anmuthigen Preciosa ein erklärendes Gegenbild in das dramatische Ganze verwebt werden müssen; etwa ein wildes, in der Begierde und Sünde aufgewachsenens Zigeunermädchen, mit einer heißen Leidenschaft zu dem jungen spanischen Edelmann und einer die Aufklärung des Geheimnisses herbeiführenden Eifersucht gegen Preciosen. Der Hauptmann der Zigeuner ist völlig charakterlos, und seine poetische Schilderung des Zigeunerlebens ist etwa die eines überraschten und angeregten Dichters, der eben von einem solchen volksthümlichen Anblicke zurückkommt. Der Zigeunerhaufe selbst tritt nicht theilnehmend genug in die Handlung ein, und es scheint, als ob es dem Dichter an einer lebendigen Anschauung gefehlt habe, um hier ein durchgeführtes Gemälde zu liefern. Aber schon deswegen hätte der Zigeunerhaufe thätiger werden sollen, um den der | Schönheit Preciosens inwohnenden Zauber reicher zu entfalten. Denn wiewohl es ein poetischer Grundgedanke des Dramas ist, die Macht der unbefleckten Schönheit und ihren Wiederschein mit rohen und verwilderten Naturen zu zeigen, so hat sich der Dichter dennoch, und vielleicht aus einem Mangel an schaffender Besonnenheit, damit begnügt, Preciosen mit einem flatternden Blumengewinde von Adorationen durch die andern Personen seines Stücks umgeben zu lassen. Der junge liebentbrannte Spanier tritt sogleich mit einer überschwenglichen Schilderung ihrer Reize ein, und selbst die Alten müssen sich, dem Dichter zum Vortheil, in begeisterte Reden über das Mädchen ergießen. Der Dichter gibt ihr Gelegenheit anmuthige Talente im Angesichte eines enthusiastischen Volks zu zeigen, sie tanzt, sie spielt, sie improvisirt Gedichte, doch eine reine und tiefe innere Lebensfülle bleibt uns noch verborgen, denn jene Gaukeleien auf offenem Markte, die zum natürlichen Ausdrucke eines betrübten verschlossenen Herzens werden, kommen uns eher widrig und aufbringend vor, als rührend und das Mitleid ansprechend. Der Dichter scheint aber die Entwicklung aller Keime in dieser schönen Natur bis auf den anregenden und befruchtenden Augenblick der Liebe verspart zu haben. Und hier zeigt sich die zweite poetische Grundansicht des Drama’s, daß in der Liebe sich das reine schon in sich vollendete Leben zur höheren Weihe verkläre, und seine Blüthe habe. Doch, wie gesagt, der poetische Grund des Stücks tritt immer zu sehr in die Ferne, und verschwindet uns hinter rohen und mißgestaltenen theatralischen Personen, die, ihrer Breite und Schwere ungeachtet, doch nichts als Schattenbilder sind. Der kurzweilige Burgvogt legt sich fast überall der fortschreitenden Handlung in den Weg, daß sie darüber hinstolpert; ich erinnere nur an die Scene aus dem Schlosse der Edelmanns in Valencia, worin sich Sohn und Vater wieder erkennen. Und so oft nun das Stück in seinen komischen Personen einen launigen Aufschwung nehmen will, scheint die äußere Kunstform zu widerstreben. Wollte der Dichter, bei einer nicht ganz geübten Verskunst, den den spanischen Trochäus durchführen, so war durchaus eine Einschränkung des Personals nöthig. Die Form nimmt die Besonnenheit des Dichters in Anspruch, und darin bethätigt sich eben seine schaffende Kraft, daß der in seinem Gemüth belebte Stoff, und die durch ihn beduugene Form ihm im organischen Zusammenhange erscheinen. Dem Humor des Dichters ist eine große Freiheit gestat¦tet, und selbst Shakespeare bedient sich derselben gern in seinen Dramen. Der wilde ungenügsame Humor kann sich nur in der Weitläuftigkeit der Prosa recht behaglich ausbreiten, und die enge unbewegliche Form des spanischen Trochäus ist nicht mit seinen luftigen Sprüngen und Wendungen verträglich. Ganz interessant hat der Dichter das Verhältnis zwischen dem alten Edelmann in Madrid und seinem Sohne gehalten; nur muß dabei der spanische Charakter in seinem strengen Ernst vergessen, und über die Gränze nach Frankreich verlegt werden. Im Sohne sehen wir das spanische Blut, dunkel und feurig wie es ist, einmal aufsteigen, da ihn der Gedanke der Eifersucht erfaßt. Das enthusiastisch Beschreibende des Jünglings wäre nicht unschicklich, obgleich sonst das Beschreibende überhaupt der Natur des Dramas Gewalt anthut, wenn es reicher an nationalen brennenden Farben wären. Durchaus überraschend ist die Wendung des Stücks nach dem ersten Akte, der unbeschadet des Ganzen beinahe hinwegfallen könnte, wie der junge Spanier dem Mädchen folgt, um alle seine weltlichen Annehmlichkeiten und Vortheile im Glück der Liebe zu vergessen. Zu überraschend scheint mir seine Gefangenschaft auf dem Schlosse in Valencia, wenn sie als Hebel der Katastrophe hat dienen sollen. Es läßt sich aber nicht bezweifeln, daß der Dichter nur die heilige Gewalt der Liebe zum Schlüssel des Geheimnisses wählte, und die ihr inwohnende rettende Kraft und ihre Segnungen des irdischen Lebens hervorgehen lassen wollte. Und hier läßt er nun den schönsten Silberblick in Preciosens veredeltem Wesen aufsteigen. Sie reißt sich vom Gemeinen und Unreinen los, dem sie sonst in frommer Unschuld gedient hat, und in der Liebe findet sie das lichte Bewußtseyn und das höhere Bedürfniß des Menschen. Daß der Frevel am Ende des Stücks unbestraft dasteht, und im Augenblicke seiner Entlarvung noch hinterlistig einen Vortheil festhält, wird in den Freuden vergessen, welche der Anblick treuer liebender Aeltern und eines guten unschuldigen Kindes, die sich wiederfinden, und ihres reinen frommen Entzückens gewährt. Wiarda zeigt sich in ihrem schlauen Geiz und ihrem Aberglauben als echte Zigeunerin; es würde aber zu fern liegen, in ihr ein Gegenbild zu Preciosen finden zu wollen. Man müßte sich dabei ihrer Jugend und ihrer Schicksale zu erinnern suchen, und der Dichter hat eine solche Erinnerung völlig ausgeschlossen.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 21, Nr. 69 (6. April 1821), Sp. 548–550

    Einzelstellenerläuterung

    • beduugenerecte „bedungene“.

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