„Preciosa, Schauspiel von P. A. Wolf. (Dargestellt auf der Berliner Bühne am 14. u. 19. März 1821.)“ (Teil 1 von 5)

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Preciosa, Schauspiel von P. A. Wolf *).

(Dargestellt auf der Berliner Bühne am 14. u. 18. März 1821.)

Allgemeines.

Man hat häufige Vergleiche gemacht zwischen den verschiedenen Grundformen der Poesie, um das Eigenthümliche einer jeden schärfer zu unterscheiden, und die Kraft und den Werth der darstellenden Talente, die sich in der einen oder der andern versucht haben, bezugsweise auszufinden. Man hat bald das Drama, bald das Epos, den Roman, für die Form erklärt, welche die größte Kunst verlange, doch seltener hat man bemerkt, daß sich die wesentlichen Grundformen der Poesie fast überall, oft in dem kleinsten Gedichte schon, ganz nahe berühren und durchdringen, so daß eine Sonderung der einzelnen Elemente ohne die innere Auflösung des Gedichts nicht möglich ist. Vorzüglich das neuere Drama bringt uns diese Betrachtung entgegen, denn in ihm haben sich, nachdem die Bühne Mittelpunkt für deutsche Kunstliebe und deutsche Kunstbestrebungen geworden ist, fast alle Darstellungsweisen der Poesie zu einem großen verwebten Mannigfaltigen gesammelt. Nur wird in ihm die natürliche Einheit der verschiedenen Formen vermißt, die wir im antiken Drama finden. Göthe bemerkt eine Mischung im französischen Trauerspiel, in seinem Aufsteigen zum enthusiastisch Erregten durch das Epische der Einleitung und das Dramatische der Mitte. Ich entbehre aber an ihm die freie blumenartige Entfaltung eines Ge¦dichts und seine naturgemäßen Uebergänge, und entdecke mehr ein geist- und kunstreich gesteigertes Interesse, das seine einzelne Stationen, auf denen es vorbringt, wie deutliche Ruhepunkte durchscheinen läßt. Auch in Müllners Dichtungen ließe sich eine Mischung nachweisen. Hier geht aber das bewußte dramatische Schaffen unter in zufälligen Formen, weil im Dichter, bei dem größten Verlangen seinen Stoff zu beherrschen, die Besonnenheit und produktive Begeisterung, die nur zusammen das zugleich Freie und Regelrechte hervorbringen, nicht Eins werden. Das Epische verbreitet sich in seinen Dichtungen zu weitläuftig über das Ganze, worin sich die Personen, welche sich lebendig bewegen sollen, nur als Bilder menschlicher Eigenthümlichkeiten abspiegeln.

Wir fanden nun eine Mischung des Epischen, des Lyrischen und des Dramatischen in jeder Form der Poesie zu einem abwechselnden und reichen Ganzen nothwendig, und wiesen sie, freilich in einer gewissen Unnatur und Willkürlichkeit, in einzelnen Dichtungen nach. Dennoch müssen wir jeder Darstellungsweise ihr Eigenthümliches zugestehn, das sich nach der ursprünglichen Anlage des Dichters als das Vorwaltende zeigen soll. Das Eigenthümliche des Dramas würde eine thätige in lebendiger Wechselrede fortbewegte Handlung seyn. Ich möchte es hier aber nun ganz unumwunden aussprechen, daß das vollkommene Drama die größte bildende Kraft voraussetze. Denn der dramatische Dichter soll aus dem positiven Einzelnen, das sich in einen engen Moment des Lebens zusammenzieht, ein bedeutendes Ganzes voll innerer Fülle und Tiefe erschaffen, und in seinem aufgefundenen Zusammenhange mit der Welt und der Menschheit eine eigenthümliche Ansicht der irdischen Dinge beurkunden; er soll vor dem epischen Dichter die reinere Einheit und Klarheit seines Bildes in einem geschlosseneren Kunstrahmen bewahren, vor jenem sein Gedicht persönlich beleben, und wenn jener die Individualität in Gefühlen und Bildern sich spiegeln läßt, ein freies in sich selbst begründetes menschliches Wesen außer ihm ausbilden.

(Die Fortsetzung folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Da dieser Aufsatz mehr das Allgemeine der dramatischen Kunst, und den Geist des Dichters, als die Darstellung des Schauspiels zum Gegenstand hat, so wird der Leser ihn hier an seiner Stelle finden. d. Red.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 21, Nr. 66 (2. April 1821), Sp. 525–526

    Einzelstellenerläuterung

    • 18.recte „19.

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