Aufführungsbesprechung Berlin: 50ste Vorstellung vom „Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Teil 2 von 2)

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Aus Berlin

(Fortsetzung.)

Wir haben dieß Werk wenigstens in 25 Vorstellungen gehört, und uns genau geprüft, wo denn eigentlich der Eindruck zu finden sey, den es auf unser Gemüth, so wie auf das so vieler Hunderte von Zuhörern gemacht hat. Einzelne klaffende Widersacher, die nur dem Zeitgeschmack der großen französischen Opern knechtisch opfern, zucken zwar mitleidig die Achseln über unsern schlechten deutschen Geschmack, und meinen, die Hexereien und Teufelskünste geben dem Freischützen sein Haupt-Anziehungs-Mittel; allein ernstlich betrachtet, können dergleichen schwache Mittel wohl nicht 50 Mal ein kunstliebendes, gebildetes Publikum zum Theater führen. Die Sache liegt daher tiefer, und zwar in dem wirklich ächt dramatischen, zweckmäßig bearbeiteten Stoff, und in der unnachahmlichen Auffassung des Gegenstandes von Seiten unsers Weber’s.

Wir haben, wie oben erwähnt, bei dieser 50sten Vorstellung unsere ganze kritische Sections-Werkzeuge in Bereitschaft gehalten, haben aber vor Bewunderung und wahrer Begeisterung nicht dazu kommen können, dieselben zu benutzen, denn die kleinen Mängel, die diesem Werk, so wie allen menschlichen Arbeiten, anhangen, sind im Vergleich seiner Schönheiten nicht in Betracht zu ziehen. Das Textbuch in der Hand, kann man dem Componisten in die kleinesten Nuancen folgen, und ohne in lächerliche Malereien auszuarten, hat derselbe doch in Tönen jedes Gefühl klar ausgedrückt. So hat er uns wahrhaft dramatische Musik gegeben, und dabei den Gesang nicht vernachlässigt, nicht unterdrückt, nicht durch Massen ertödtet. Viele der Melodieen sind so glücklich gefunden, daß sie, augenblicklich in’s Volk übergegangen, von jedermann gesungen werden, und dieß ist, wie jener große Tonsetzer sagte, das eigentlich Wünschenswerthe für den Componisten. Die Aufführung war dießmal vorzüglich gelungen, und alle Sänger und Sängerinnen wetteiferten, zur Feierlichkeit des Tages beizutragen. Mad. Seidler, die lieblichste Erscheinung des hiesigen Theaters, zeigt uns hier wieder auf’s Neue, daß sie die Repräsentantin der angenehmen Oper ist, wenn auch nicht der neumodisch sogenannten großen. Anmuth aber und Annehmlichkeit und kunstfertiger Gesang in ein und derselben Person vereinigt, zeigen deutlich, daß sie für uns unentbehrlich ist. Um alles an diesem Tage feierlicher zu machen, hatte die Intendanz das 30 Mann starke Musik-Chor des Garde-Schützen-Bataillons, aus Waldhörnern, Klappflügelhörnern und Posaunen bestehend, als Bergleute angekleidet, auf der Bühne erscheinen lassen, um das schöne Jäger-Chor im letzten Akt (das gewöhnlich ohne alle weitere Instrumente nur durch vier Waldhörner aus dem Orchester begleitet wird) mitzublasen, wodurch ein vorzüglicher und besonderer Effekt bewirkt wurde. Das Jahr neigt sich zu Ende, und Weber`s Töne (der Freischütz mußte nämlich den folgenden Tag schon wiederholt werden, da die Theilnahme so groß war, daß die Zuschauer bei der Jubelfeier nicht alle Platz finden könnten) war die letzten, die wir von der Bühne herab hörten. Wir gehen nun dem neuen Jahr entgegen, wünschen unserm lieben Landsmann vor Allem ein gesegnetes Jahr, und seinen Adler-Flügeln neue Schwingen, damit wir im kommenden Jahr uns neuer ¦ Schöpfungen von ihm freuen mögen. Denn wenn wir der Wahrheit treu bleiben wollen, müssen wir bekennen, daß unser musikalisces Repertoir arm ist, und daß außer der Spontinischen Oper Nurmahal und der Rossinischen: Der Barbier von Sevilla, wir nicht neues zu nennen wüßten, was für mehr als ephemere Erscheinung gelten könnte.

[…]

Apparat

Zusammenfassung

„Correspondenz-Nachrichten. Aus Berlin (Fortsetzung.)“

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 7, Nr. 105 (2. Mai 1823), S. 420

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