Aufführungsbesprechung Prag, 1821: „Kampf und Sieg“ von Carl Maria von Weber
Nachrichten.
Prag. Die Lage unserer Oper hat sich seit meinem letzten Berichte im vorigen Jahre | nicht gebessert, sondern im Gegentheil in den neuesten Zeit durch den Abgang des braven, mit Talent und Fleiss ausgerüsteten Bassisten Hauser und durch die langwierige Krankheit der Prima Donna, Mad. Becker, noch einen grossen Stoss erlitten. Gleichwohl geschah es auch hier, dass gerade aus dem höchsten Bedrängnisse die nächste Hülfe hervorgeht, und zwey jugendliche Talente, Dem. Brunetti und Sonntag, welche vielleicht noch länger in der Dunkelheit eines engern Wirkungskreises geblieben wären, durch die Notwendigkeit, ihnen grössere Partieen anzuvertrauen, Gelegenheit erhielten, sich in einem günstigern Lichte zu zeigen.
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Das Concert der Osterwoche erfüllte den längst gehegten Wunsch vieler Musikfreunde, die schöne Cantate: Kampf und Sieg, gedichtet von Wohlbrück, und von Carl Maria von Weber in Musik gesetzt, wieder einmal zu hören und sich an diesem klassischen Werke nach langer Entbehrung abermals zu erfreuen. Die Ouverture scheint den innern verschlossenen Unwillen des edlen Gemüthes über den Frevel der Tyrannei anzudeuten; zugleich aber ertönen darin Anklänge froher Ahnung der Zukunft; sie erhebt sich immer mehr zur Kraftäusserung, und verhallt endlich in bittres Rachegefühl, welche Stimmung auch im ersten Völkerchore fortwaltet, worauf der Glaube (Hr. Kainz) mit einem sanften Solosätze in B dur beruhigend eintritt, welcher durch zarte Violoncell-Solos in einem melodieenreichen dreystimmigen Gesang übergeht (G dur), in dem sich Liebe (Dem. Brunetti) und Hoffnung (Hr. Pohl) mit dem Glauben vereinigen, und worin vorzüglich die Stelle: „Eintracht ist Siegespfand“ durch das sprechendste Gefühl auszeichnet. Dem Terzett folgt ein herrlicher Kriegerchor, kühn und in kurzen Rhythmen voll Entschlossenheit und Kampflust, zwischen welchem der österreichische Grenadier-Marsch in einer äusserst effektvollen Instrumentation durchschallt. Dumpfe Paukenwirbel gehen einem kecken Feindesmarsch zuvor, zwischen welchem der Gesang der Krieger aus Theodor Körners Gebet kunstvoll verwebt ist. Hier wie überall hat der Tonsetzer auf eine meisterhafte Weise den Marsch und Chor mit einander fortgehen lassen, ohne dass einer oder der andere etwas von seiner Individualität verlöre. Der Marsch verliert sich und die Wuth der Schlacht bricht herein – Trommeln treten ein, der Angriff der Schlacht, heisser Kampf, die Bedrängnis der Verwundeten, der Uebermuth des Feindes wird hier in grossen Tonmassen ausgedrückt. Das „ah ça ira“ erschallt in fre|chem Feindesjubel, und tritt während des Kriegerchores öfter wieder ein, welcher Anfangs Besorgniss ausspricht, dann aber in Hoffnung und erneute Kraftäusserung übergeht. Die Schlacht erneut sich, das ça ira tönt wieder, bis es endlich unter dem wachsenden Forte des Orchesters und dem Schall der preussischen Hörner erdrückt wird. Nun wird das Getümmel der Töne immer heisser und wilder bis zum Jubelruf: „Hurrah! er flieht!“ das God save the King ertönt von allen Blasinstrumenten, die Schlacht endet im Siegesmarsch, ihr Rauschen verklingt. – In diesem mahlerischen Theile der Musik sind durchaus alle kleinlichen, spielenden Mittel verschmäht, und dennoch wird der höchste Effekt erreicht. – Der Glaube beginnt nun wieder in feierlichen Tönen; mit ihm verbinden sich Liebe und Hoffnung zum Dreygesange, bis folgender gross gedachter Völkerchor das schöne Werk schliesst:
„Herr Gott! dich loben wir,Ewiger Urquell des Guten!Nimmer erlöschen im MenschengeschlechtDie Gefühle für Wahrheit und Recht,Deines Odems heilige Gluthen.Herr Gott! wir danken dir!Du hast des Unrechts Macht gefällt,Daß wir auf dir geweihten AltärenEwig die himmlischen Gluthen ernähren;Gieb und erhalte den Frieden der Welt.“Höchst majestätisch ist das Thema, und seine Wirkung wird noch durch bloss von Singstimmen immer rückkehrende Wiederholung des letzten Verses erhöht. Ein Vorwurf, den man diesem Werke schon bey der ersten Aufführung machte, ist, dass es von der gewöhnlichen Cantatenform abweicht, und sich oft beinahe dem dramatischen Style nähert; aber eben darin liegt der Beweis, wie sehr beide vereinte Künstler von dem Wesen ihres Stoffes durchdrungen waren, und, wie besonders der Tonsetzer jedes Hinderniss zu besiegen wusste, welches ihm im Wege stand, denn nur auf diese Weise konnte jene grosse herrliche Weltbegebenheit durch Töne gleichsam wiedergeboren werden, und es blieb noch immer eine der schwierigsten Aufgaben der Kunst, jene ohne alle Anschauung im Gemüthe zu wecken: so hat auch Hr. von Weber, überzeugt, dass dieser Stoff, unaufhaltsam vor¦wärts dringend, kein Retardiren duldet, dem Schmucke glänzender Arien entsagt, und vor Allem die gefährlichste Klippe aller Compositeurs, welche Kriegsscenen durch ihre Kunst wiedergeben wollen, diejenige nemlich, dass sie durch entsetzliches Getöse die Schlacht gleichsam in den Concertsaal einführen, und ihn mit Kanonen- und Pelotonfeuer erfüllen, aufs Glücklichste umgangen. Mit weiser Berechnung hatte er einzig den Totaleindruck im Auge, gab nur in grossen imposanten Massen die Gefühle menschlicher Natur wieder, und kann darum das Ziel nicht verfehlen, zum Gefühle zu sprechen.
Die Chöre und manche Instrumentalpartieen liessen in der Aufführung viel zu wünschen übrig und man schien an Proben gespart zu haben.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Überlieferung
-
Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 23, Nr. 24 (13. Juni 1821), Sp. 418–426