Ferdinand von Dusch an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Stuttgart, Freitag, 27. Oktober 1865
Geehrtester Herr Musikdirector!
Vor Allem bitte ich um gefällige Entschuldigung, Ihre geehrte Zuschrift d.d.‡ Berlin den 1t v. M. erst heute zu beantworten. Ich mußte die Gelegenheit zu einer Reise nach Heidelberg abwarten, um dort das einzige Autograph C. M. von Weber’s das mein Vater besitzt, unter dessen Papieren hervorzusuchen, da er selbst, des Augenlichtes beraubt, dazu leider nicht im Stande war.
Dieses Autograph übersende ich Ihnen im Anschlusse mit dem Ersuchen, dasselbe s. Z. wieder an mich hierher zu senden, übrigens es so lange zu behalten, bis Sie jeden Ihnen wünschenswerth scheinenden Gebrauch davon gemacht haben werden. Es ist das Autograph der Principalstimme der in Ihrem chronologischen Verzeichnisse (Band I Seite 556 des Lebensbildes C. M. v Weber, das sein Sohn herausgegeben hat) erwähnte Andante und Variationen für Violoncell, am 28 Mai 1810 von Weber componirt, am 30 Mai 1810 von meinem Vater in Webers Concert zu Heidelberg vorge|tragen*. Die Stimmen der Begleitung, von anderer Hand aus der Partitur abgeschrieben, lege ich ebenfalls bei, wie sich dieselben nebst der Principalstimme von Webers Hand seit jenem Concerte im Besize meines Vaters finden. Die Bemerkung auf der Principalstimme „Handschrift etc. etc.“ ist von meiner Hand schon vor vielen Jahren, nach mündlicher Äusserung meines Vaters, geschrieben.
Zu meinem lebhaften Bedauern ist nun aber mit der Mittheilung dieses Autographs schon Alles erschöpft, was ich Ihnen in Beantwortung Ihrer Anfragen zu sagen habe. Obschon ich Ihr Schreiben meinen nunmehr nahezu 77 Jahre alten Vater wiederholt vorgelesen habe, wußte er sich doch auf nichts zu besinnen, was Auskunft über die in demselben gestellten Fragen zu geben geeignet wäre.
Nur über den einen Punkt 3 (Canone a tre betreffend) kann ich Ihnen wenigstens eine Meinungs-Äusserung meines Vaters mittheilen. Er hält Gottfried Weber ebenso wie C. M. v Weber für absolut unfähig, sich jemals wissentlich Eigenthumsrechte am Eigenthum eines Anderen haben beilegen zu wollen. Unter den in Ihrem | Schreiben erwähnten Umständen bleibt ihm daher nur die einzige Erklärung plausibel, daß dieses musikalische Kunststück in einer bei dem täglichen Zusammenleben beider möglichen gemeinschaftlichen Beschäftigung entstanden und Beide geistigen Antheil an demselben haben möchten. Wenn dann nach langen Jahren Irrthum in dieser Beziehung entstanden und Einer und der Andere den Canon ohne Weiteres als sein Werk bezeichnet, beziehungsweise reclamirt habe, so lasse sich dies bei der Geringfügigkeit der Sache wohl erklären, da ihn aber auch Gottfried Weber unter seinen Papieren von seiner Hand geschrieben aufgefunden und dann gelegentlich für Spohr verwerthet haben möchte*, in der Meinung ein opus vor sich zu haben, von dem sein Antheil wenigstens der überwiegende ihm in der Erinnerung erschienen sein kann.
Bei dem meinem Vater so genau bekannten Charakter der beiden Männer bleibt ihm, wie gesagt, gar keine andere Meinung über den von Ihnen dargestellten Vorgang mit dem Canone a tre zu fassen möglich.
Sehr lebhaft hat es mein Vater bedauert Sie in Karlsruhe nicht haben selbst sprechen zu können und er wünscht, daß ich Ihnen | sage, wie sehr es ihn gefreut haben würde in Ihnen persönlich den Mann kennen zu lernen, dessen uneigennüziger und rastloser Eifer schon so Vieles für das Andenken und die Erkenntniß der Werke seines früh dahingeschiedenen Freundes geleistet hat und nunmehr noch Bedeutenderes zu leisten verspricht.
Indem ich Sie, geehrtester Herr MusikDirector, ersuche, auch meines aufrichtigen
Antheiles an Ihren mühevollen Forschungen versichert sein zu wollen, ergreife ich
gerne diese Gelegenheit Sie der vollkommensten Hochachtung zu versichern in der ich
verharre,
Ihr ergebenster
Fv Dusch
Legationsrath
Apparat
Zusammenfassung
schickt ihm das Autograph der Prinzipalstimme der Variationen für Violoncello (JV 94) zur Ansicht, ebenfalls die Begleitstimmen in Abschrift; die Bemerkung auf der autographen Stimme stammt von ihm; leider kann er seine weiteren Fragen nicht beantworten, auch sein blinder, jetzt 77jähriger Vater wusste dazu nichts zu sagen; zur Autorschaft des Canons a tre (JV 90) wusste Dusch sen. ebenfalls nichts zu sagen als dass er ausschließe, dass Gottfried Carl Marias Autorschaft für sich hätte beanspruchen wollen, allenfalls könnten sie beide daran beteiligt gewesen sein; vgl. Jähns (Werke), S. 110–113
Incipit
„Vor allem bitte ich um gefällige Entschuldigung“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 166Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
- am unteren Rand Bl. 2v Notiz von F. W. Jähns: „Hiebei die Cello-Principal-Stimme, Violini I u. II. Viole I u. II (zusammen) | Bassi (zus.) Flauti I u. II (zus) Oboa II. Corni in F. (zus.) /: Oboa I u Fagotti I u. II fehlten.[:/] | Zurückgesendet mit meinem Brief vom 22. Febr. 1866.| F.W.J.“
Einzelstellenerläuterung
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„d.d.“Abk. von „de dato“.
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„… Concert zu Heidelberg vorge tragen“Vgl. Aufführungsbesprechung, in der es u.a. dazu heißt: „Die Composition ist unbedeutend, desto bedeutender aber die Schwierigkeit der Passagen, welche nicht selten der Natur des Instruments ein wenig zu widerstreiten scheinen, jedoch von Herrn von Dusch mit vieler Kraft und Präzision und richtigem Geschmacke vorgetragen wurden, [...]“.
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„… für Spohr verwerthet haben möchte“Niederschrift des Kanons durch Gottfried Weber in Spohrs Stammbuch am 5. Januar 1816, von Carl Maria von Weber im Nov. 1819 mit einem Spruch, die Urheberschaft betreffend, versehen; vgl. dazu den Brief von Marianne Spohr an Jähns vom 17. Mai 1865.