BMBF-Projekt Freischütz Digital bei der Mitgliederversammlung der Weber-Gesellschaft in Ermlitz erstmals vorgestellt

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Bei der Mitgliederversammlung der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft, die anlässlich des 200. Todestages von August Apel (dem Autor der Freischütz-Geschichte im sogenannten Gespensterbuch) am 23. April 2016 in dessen ehemaligem Gut Ermlitz bei Leipzig stattfand, haben Solveig Schreiter und Joachim Veit erstmals die Ergebnisse des BMBF-Projekts Freischütz Digital (das offizielle Kürzel ist FreiDi) öffentlich vorgestellt. Das Projekt hat die Ergebnisse seiner Arbeiten an Webers Freischütz frei zugänglich einerseits unter der Website freischuetz-digital.de veröffentlicht, andererseits in diese Website auch eine Edirom online integriert, die dem Nutzer alle wichtigen Quellen des Werkes (sowohl Musik als auch Texte betreffend) in komfortabler Weise präsentiert.

Das Projekt entstand in der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern der Universität Frankfurt (Prof. Dr. Thomas Betzwieser, Institut für Musikwissenschaft), der International Audio Laboratories in Erlangen (Prof. Dr. Meinard Müller), der Universität Paderborn (Prof. Dr. Gerd Swillus, Institut für Informatik) und des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn (Prof. Dr. Joachim Veit). Von jedem dieser Standorte aus wurden unterschiedliche Schwerpunkte betreut: In Frankfurt beschäftigten sich Janette Seuffert M.A. und Dr. Solveig Schreiter mit der Entstehung und weiteren Überlieferung des Librettos sowie mit sog. „Referenztexten“, also einerseits Texten, die Vorbild für das Libretto waren (wie die Geschichte aus Apels Gespensterbuch), andererseits aber auch mit anderen Dramatisierungen des Freischütz-Stoffes. Unter Leitung von Meinard Müller experimentierte Thomas Prätzlich M.Sc. im akustischen Bereich mit Algorithmen zur automatischen Erkennung von musikalischen Einheiten, aber auch zur Trennung von gleichzeitig Erklingendem (speziell der Stimmtrennung, die durch das Übersprechen von Mikrofonen schwer zu bewältigen ist). In Detmold/Paderborn stand der vielfältige Umgang mit den Notentexten im Vordergrund, daneben lag hier die Koordination und informationstechnische Betreuung des Gesamtvorhabens, das sich anfangs auf die ehemaligen Edirom-Mitarbeiter Dipl.Wirt.-Inf. Daniel Röwenstrunk, Dr. Johannes Kepper und Benjamin W. Bohl M.A. stützen konnte. Durch Mitarbeiterwechsel waren im späteren Verlauf Anna Komprecht M.A., Dipl.-Inf. Elena Schilke und Joachim Iffland M.A. im Projekt tätig. Von Washington aus arbeitete Dr. Raffaele Viglianti als externer Berater an dem Projekt mit (er ist auch an der analogen Edition innerhalb der WeGA beteiligt).

Im Untertitel hatte das dreijährige Projekt den Namen Paradigmatische Umsetzung eines genuin digitalen Editionskonzepts. Dieses Editionskonzept unterschied sich deutlich von dem traditioneller Editionen – daher war auch die Vorlage eines „Edierten Werktextes“ (wie ihn die WeGA in Kürze präsentieren wird) nie Ziel dieser Edition. Vielmehr standen hier neben der Exploration und Demonstration neuer Möglichkeiten durch die digitalen Techniken die Entstehung der Texte, die Unterschiede der Quellen und die Veränderungen durch die Rezeption der Texte im Mittelpunkt der Bemühungen. Zu den wichtigsten Neuerungen gehörte eine durchgängige Codierung von Text- und Musikanteilen nach den internationalen Standards der Text Encoding Initiative TEI und der Music Encoding Initiative MEI. Während bei Texten durch andere Projekte schon ausreichende Erfahrungen vorlagen, handelte es sich hier um die erste in dieser Tiefe erschlossene Oper, die im Format der MEI codiert wurde. Dies stellte die Bearbeiter allein aufgrund der Datenmenge (das Autograph Webers umfasst ca. 1 Million Zeilen Code!) vor enorme Herausforderungen. So mussten spezielle Korrekturlesewerkzeuge entwickelt werden, um diese Datenflut zu bewältigen. Erst in der letzten Phase konnte mit der von Laurent Pugin (RISM Schweiz) entwickelten Darstellungsbibliothek Verovio ein Tool integriert werden, das diese Codierungen wieder in anzeigbaren Notentext überführt. Dadurch wird aber eine Flexibilität in der Darstellung erreicht, die bis dato undenkbar war: So lassen sich Partitursysteme frei aus- oder einblenden, Partituren mit verwendeter Kürzelnotation wahlweise original oder mit aufgelösten Kürzeln anzeigen oder auch Details des Notensatzes in der Suche erfassen oder farblich hervorheben. In diesem Bereich konnte FreiDi nur erste Möglichkeiten im Ansatz aufzeigen, da all diese Entwicklungen noch brandneu sind.

Eine Herausforderung im Textbereich stellte der Versuch einer Darstellung der Textgenese dar. So konnten für einzelne Libretto-Manuskripte die verschiedenen Entstehungsschichten mit Hilfe der TEI-Codierung getrennt erfasst und anschließend stufenweise einblendbar präsentiert werden. Im Bereich der Referenztexte wurde durch die Nutzung des Topic-map -Verfahrens der Versuch gemacht, motivische und stoffliche Beziehungen der Texte zu visualisieren und über ein solches „Netzwerk von Begriffen“ einen neuartigen und raschen Zugriff auf die Textinhalte zu bieten. Als Vorstufe eines Tools zur Unterstützung von Interpretationsanalysen wurde ein sogenannter Sync-Player entwickelt, der einerseits akustische Aufnahmen und Notentext (Faksimile oder Verovio-Darstellung) parallelisiert, andererseits aber einen punktgenauen Übergang zwischen verschiedenen Interpretationen des Werks erlaubt. Mit Hilfe einer eigens mit Unterstützung der Hochschule für Musik Detmold und des Erich-Thienhaus-Tonmeisterinstituts produzierten Aufnahme der Nummern 6, 8 und 9 der Oper konnten zudem akustische Versuche durchgeführt werden, die auf der Homepage des Projekts im Bereich Demonstratoren beschrieben sind.

Das Projekt bietet vielfältige Zugangsformen zu dem reichhaltig ausgebreiteten Material und es sei an dieser Stelle ein eigenes Erkunden der Website empfohlen. Hingewiesen wurde bei der Vorstellung von Schreiter und Veit aber auch darauf, dass viele Dinge nur als erste, keineswegs perfekte Demonstration von Möglichkeiten zu verstehen sind und dass die Website auch nach dem Ende der offiziellen Förderung noch weiter ausgebaut und momentan im Hinblick auf eine weitere Vorstellung des Projekts bei der Music Encoding Conference Mitte Mai 2016 in Montreal nochmals grundlegend umstrukturiert wird.

Ein besonderer Dank wurde anlässlich der Präsentation an die ehemaligen Mitarbeitern des Edirom-Projekts Daniel Röwenstrunk und Johannes Kepper ausgesprochen, die auch nach dem offiziellen Ausscheiden aus dem Vorhaben Freischütz Digital weiterhin konzeptionell und aktiv mit Rat und Tat unterstützt haben (Röwenstrunk hat bis zum Ende des Projekts die Projektleitung wahrgenommen) und sich auch am nachträglichen weiteren Ausbau beteiligen.

Es ist zu hoffen, dass diese Art der Präsentation neben der Veranschaulichung neuer digitaler Möglichkeiten mit dazu beiträgt, die Probleme, in die jeder Editor bei der Interpretation von Noten- oder Worttexten gerät und die oft eine eindeutige Festlegung willkürlich erscheinen lassen, einem größeren Publikum verständlicher zu machen. Alle im Projekt selbst erstellten Materialien (also nicht die von Bibliotheken und Archiven freundlicherweise zur Verfügung gestellten Digitalisate) werden in Form von XML-Dateien im open access zugänglich gemacht, so dass weitere Forschungen direkt darauf aufbauen können.

Joachim Veit, Samstag, 30. April 2016

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