Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 18. bis 20. Februar 1817

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Am 18. Februar: Die Brandschatzung. Hierauf ein Matelot-Solo in Holzschuhen getanzt von Herrn Simoni, welches wir besser gesehn zu haben uns erinnern. Endlich, um den Fastnachttag zu ehren, Das Hausgesinde, über welches das Nöthige schon vom Hrn. Kapellmeister v. Weber gesagt worden ist, und das seine Pflicht that, indem es Lachen erregte.

Den 20. Februar: Pflicht um Pflicht, von P. A. Wolff. Dieß kleine, aber in seiner Art fast einzige Stück, dessen Verfasser, früher die Zierde der Weimarischen Bühne, jetzt unter den ersten dramatischen Künstlern Berlins glänzt, wurde zuerst am 25. Mai 1814 in Weimar, dann auch in Berlin und auf einigen andern Bühnen mit dem verdientesten Beifall aller Kenner gegeben. Die Aufführung desselben auf unserer Bühne mag wohl zu den gelungensten gerechnet werden, wobei wir jedoch gern einräumen, daß bei mehrmaliger Wiederholung – und es wird auf lange ein Lieblingsstück des Dresdner Publikums seyn – manches, besonders in der rhythmischen Declamation, noch gerundeter und harmonischer hervortreten wird. Auf den ersten Wurf ist nirgends ein ganz Vollendetes möglich!

Die Hauptschwierigkeit liegt theils in den zart angedeuteten, noch zarter wiederzugebenden Anklängen des Romantischen, das alle Gemeinheit unserer gewöhnlichen kleinen Dramen ausschließt, theils in dem vom Dichter glücklich gelösten, aber nun auch vom Schauspieler mit tiefem Studium aufzugreifenden Gegensatz der Handlung und der Form – der Stoff ist hoch tragisch und glüht im Feuer des Orients; über Form und Sprache aber waltet ein eigenthümlicher Zauber von Milde und Klarheit – theils im melodischen Wohlklange der Verse, mit welchem Geberdung und Stimme in rhythmischem Einklange sich gleichsam vermälen müssen. So wird die mimische Aufgabe hier auch ganz eigentlich eine rednerische. Das Stück ist todt, sobald es in der Natürlichkeit unserer gewöhnlichen Declamation untergeht, und doch hat es auch nur ein Schatten- und Scheinleben, wenn die gehaltene Declamation in steife Tiraden übergeht. Die Christensklavin Zuleima, von einem habsüchtigen Juden zum Verkauf auf dem Basar oder Sklavenmarkt prächtig herausgeputzt, verdreht zwei auf Leben und Tod mit heroischer Freundschaft verbundenen Türken, Hassan und Achmet, durch den Glanz ihrer Schönheit den Kopf. Jeder will sie durch die Beisteuer seines Freundes besitzen, jeder, von der Liebe des andern unterrichtet, kühlt seine Liebesglut im Heroismus der Freundschaft und will zu Gunsten des Andern von ihr abstehn. Pflicht um Pflicht! Hermann, ein deutscher Ritter, der beiden seine Befreiung verdankt, findet in der verhängnißvollen Stunde des Abschiedes von seinen Freunden und Rettern in Zuleima, seine, als Raub der Fluthen todtgeglaubte, neapolitanische Braut, seine Rosamunde in dem Augenblicke wieder, wo diese aus der Verzweiflung sich ins Meer stürzen will. Die zwei Türken entsagen im erneuerten Eifersuchts- und Großmuthskampf ihrer Sklavin, die nun allbesänftigend dazwischen tritt. Aus dieser einfachen Fabel weiß der Dichter fünf ächt tragische Situationen hervorzurufen, die in musikalischer Uebereinstimmung der Rede und Geberdung, bald im trochäischen, bald im jambischen Rhythmus vorgetragen werden. ¦

Hassan (Hr. Wilhelmi) ist mit weiser Berechnung vom Dichter in Glut und Entsagung der Leidenschaft heftiger, aber doch niedriger gestellt, als der wahrhaft groß gehaltene Achmet (Hr. Kanow). Beide Künstler hüteten sich, wovor schon Müllner gewarnt hat, in süßlichem Gefühlspiel etwas besseres zeigen zu wollen, als das Feuer der Geschlechtsliebe, wie es in heißen Himmelsstrichen entbrennt. Beide, durch Figur und Anstand symmetrisch, hatten herrliche Momente, nur daß man Hrn. Wilhelmi hier und da das Studium – aber das eifrigste, welches alles erwarten läßt – noch etwas mehr anmerkte, da hingegen Herr Kanow durch lange Bekanntschaft und Uebung dieser rhythmischen Declamation stets und vollkommen Gnüge geleistet haben würde, wenn er alles in jenen innigen hervorquellenden (nicht hervorgestoßenen) Naturtönen gesprochen hätte, zu welchen sich sein Organ so sehr eignet und welche ihm dießmal so vorzüglich gelangen. Herr Julius hatte als deutscher Ritter den Gegensatz det europäischen Romantik mit der asiatischen Sinnlichkeit und aufkochenden Lust, die Tiefe und Zartheit seines namenlosen Schmerzes und dessen tragisches Ausathmen, als ihm endlich die Zunge gelöst ist, geistreich aufgefaßt und verstand es, ein Ganzes daraus zu schaffen. Daß er malerisch und alle Accorde des Affects durchlaufend zu erzählen verstehe, davon überzeugte uns aufs neue sein in allen Theilen gediegener Vortrag und sein ausdrucksvolles Zuspiel dabei in der Erzählung seiner Schicksale. Nur da, wo er dem Hassan an die Brust sinkt, ward durch ein kleines Zurückbleiben der Handlung hinter dem Worte Studium sichtbar. Manches entschlüpfte besonders in der herrlichen Stelle von dem, im deutschen Volke wohnenden Geiste der Ahnung selbst den aufmerksamen Zuhörern. Möchte es diesem trefflichen Künstler gefallen, den Grundton weniger tief zu nehmen! – Wenn einmal ein Jude die schöne Zuleima als Waare feilschen, als Pandora entschleiern mußte – und dieser herabwürdigende Orientalismus muß ja bleiben; denn er greift tragisch ins Ganze ein – so mußte es auch ein solcher Jude seyn, wie ihn Herr Zwick vorschriftmäßig gab. Doch wußten wir’s ihm Dank, daß einiges allzu Grelle wegblieb. Auch der Jehova hätte wegbleiben können, den ja kein Jude ausspricht. Man vergesse übrigens nur nicht, daß auch der türkische Jude beim Verkehr sein eignes Sprachorgan hat.

Zuleima soll uns an jene Erscheinung und Entschleierung der Pandora erinnern, wie sie Göthe in seiner viel zu wenig gekannten Pandora (Wien 1810) uns vorführt. Wie jene Himmlische dort Hephästos geschmückt hat, so putzt diese Irdische der verkauflustige Jude. Wie dort Epimetheus ausruft:

So neu verherrlicht leuchtete das AngesichtPandorens vor aus langem Schleier, den sie jetztSich umgeworfen, hüllend zarten Gliederbau:

so muß Achmet und Hassan vor ihr in Liebeszauber befangen und bethört erscheinen. Keine Schauspielerin wird einer solchen Aufgabe bloß durch Kunst und Putz genügen. Mad. Schirmer löset diese Aufgabe gewiß zur allgemeinsten Zufriedenheit. Aber auch sie unterstützt nur durch sinnige Zuthat, was die Gunst der Natur freiwillig gegeben hat. Es ist die vor dem Auge der Zuschauer sich sichtbar gestaltende Anmuth. So hatte sich gewiß der Dichter selbst diese Erscheinung gedacht, als er ihr die Trachten orientalischer Favorittinnen vorschrieb.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Creation

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 49 (26. Februar 1817), f 2v

Text Constitution

  • “löset”sic!

Commentary

  • detrecte “der”.

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