Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 20. Februar 1817
Pflicht um Pflicht (Beschluß.)
Der Künstlerin blieb bei der von ihr selbst getroffenen Wahl des Anzugs die größte Freiheit, da eine von Juden verführerisch geschmückte Sklavin keiner Regel des Harems unterliegt. Also kein steifer Talar – wie gern hätten wir ihn auch an den beiden Türken vermißt, da auch sie nur Wämse mit Hangermeln und schöne Shawls um den entblößten Hals zu haben brauchen – sondern eine saum-umstickte, rosenfarbne Tunika, lang genug herabgehend, um die stets verunstaltende orientalische Fußbekleidung nur errathen zu lassen, die übrigens von der Farbe der weißatlassenen langen Ermel sind, über welchen an den Schultern die langen aufgeschlitzten Hang-Ermel der Tunika herabfallen. Darüber ein reich gestickter kurzer Ueberwurf, der nur die Brust umfaßte, vorn herunter offen. So alles übrige bis zum schimmernd durchflochtenen, im Rücken in breite Flechten herabfalenden Haar mit dem Turbantuch. Bei einem solchen Anzug hätte es, wo sie in der zweiten Scene, als Erkaufte auftritt, nicht einmal des israelitischen Juwelen-Halsbandes und Brustschmucks bedurft. Vor einigen Jahren erschienen in Leipzig Costüms unsers Theaters. Das Unternehmen scheiterte an der Zeit und Geschmacklosigkeit der Ausführung. Zuleimas hiesiges Costüm würde das erste Blatt einer neuen seiner berechneten Unternehmung seyn können. Aber möchte auch der reiche Farbenschmelz des Orients aus der Entschleierung noch reizender hervorgeleuchtet haben, er hätte nur auf Augenblicke die Gaffer befriedigt, wenn nicht die Künstlerin selbst Seele und die Gemüthswelt des Abendlandes durch Stimme und Geberdung hinzugethan hätte. Das anfangs leise, dann gewaltig sich entfesselnde Geberdenspiel in der ersten stummen Scene, dann der im Dreiklang von Stimme, Miene und Geberde harmonisch durchgeführte, mit dem Vorsatz eines leucadischen Sprungs endende Monolog und endlich der alles entfesselnde, aussöhnende Schmeichelton der Abschiedsscene, können hier nur angedeutet werden. Das Einzige stehe hier, daß durch die richtige Betonung der Stelle in der Abschiedsscene:
eine sonst ganz mißverstandne Stelle sogleich klar wurde; und daß, wer sehn will, wie die malerische Declamation von der Pantomime sich unterscheidet, darauf merken muß, wenn unsere Künstlerin den Worten einen Körper giebt:
Wieviel ist an diesem der Räumlichkeit nach beengten, den Ansprüchen nach, die es auf Darstellung der Künstler, und Aufmerksamkeit der Kunstfreunde macht, fast unbeschränkten Stück sonst noch zu lernen und zu bemerken! Bald hoffen wir, soll es ein Lieblingsstück unsers der ersten Aufführung doch mehr durch Stille als lauten Beifall huldigenden Publikums seyn. Dann können auch wir vielleicht darauf zurückkommen. Jetzt nur noch Folgendes: der Dichter hätte bei diesem Drama, wie auch schon von andern bemerkt worden ist, durch Hervorhebung des ¦ Christenthums und Contrastirung desselben mit dem moslemischen Schicksalsglauben noch eine zweite herzerhebendere Ansicht gewinnen können. So ist er bloß bei der Geisterstimme einer Ahnung stehen geblieben. Wir fodern‡ ihn auf, uns ein Seitenstück zu geben, worin diese fruchtbare Gegeneinanderstellung vorherrscht.
Werth der Weimarischen Schule, in der Wolf gebildet wurde, ist zweitens manche symbolische Andeutung in diesem Stück, wodurch wir aus der platten Alltäglichkeit und der betastenden Begreiflichkeit, die alle Sinne mitbringt und allen auf der Stelle gleich volle Sättigung wünscht, erlöset und ins Reich der Formen eingeführt werden sollen. Zuleima trägt bei ihrem Eintritt bloß in der Linken eine Fessel. Bedarf es mehr um eine Sclavin zu bezeichnen? – Nach der Vorschrift sollte sie in der Rechten auch noch ein schönes Tuch zum Thränen-Abtrocknen haben. Wir wissen es Mad. Schirmer Dank, daß sie hier ungehorsam war. Ihr Schmerz weinet nicht. Und wenn er weinte, das Tuch dient nicht bloß zum Thränen-Trocknen. Es ist ja übrigens eine sehr niedere Handmagd. Keine Griechin und Römerin hatte je ein Fazzolet, ein Tuch in der Hand. Wenn das viele, die damit auf der Bühne Misbrauch treiben – Schnupftuchwelker nannte sie Iffland – bedächten! – Wie bedeutsam ist in diesem Stück die doppelte Entschleierung! denn sie darf auch da nicht fehlen, wo Achmet die Gekaufte einführt. – Es ist vom Meeresstrand und von Stufen die Rede, die dahin führen! Wir haben Zuschauer mit langen Hälsen gesehen, die auch dieß schauen wollten!! Endlich wird auch, da die Sonne untergegangen ist, von der vollen Mondscheibe und von Sternen gesprochen. Wir freueten uns, darauf bei der Vorstellung weiter keine Rücksicht genommen zu sehen. Es blieb hell auf dem Theater. Und so kam es gewiß auch dem Dichter gar nicht in den Sinn, einen transparenten Mondlappen irgendwo in Requisition zu setzen. Sollen die Personen indeß etwas im Zwielicht herumtappen und soll das Herrlichste, ihr Mienenspiel, darüber verloren gehen? Oder will man die Mondbeleuchtung durch künstliche Lampenreflexe auf den Spielenden leiten? Das ist und bleibt stets ein ärmliches Guckkastenspiel. – Wenn wird man endlich auf unsern Bühnen aufhören, alle Jahre eine tüchtige Donnermaschine zu verbrauchen? Wenn werden die Geister nur in der Schreckensmiene der Schauspieler, die sie allein sehen, wenn die Reitpferde und Journalieren nur in der Fantasie der auch hierin mündig gewordenen Zuschauer erscheinen? Antwort: So bald uns geistreiche Dichter viel solcher Dramen, kunstreiche Schauspieler viel solcher Darstellungen spenden!
B.Editorial
Creation
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Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 50 (27. Februar 1817), f 2v