Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 17. März 1817 (Teil 3 von 4)
(Am 17. März. Fortsetzung.)
Als Nachspiel: Der arme Poet, von A. von Kotzebue. Herrn Wohlbrück’s 3te Gastrolle. Selten ist es dem unerschöpflich reichen Dichter, der doch so vieles wagen durfte und der so oft lebende Gestalten hervorrief, so gelungen, in dem engen Raume eines kleinen Nachspiels eine so vollendete, in allen ihren Umrissen so richtig gezeichnete, so rührend und einfach durchgeführte Rolle aufzustellen, als wir in diesem Lorenz Kindlein, dem armen Poeten, besitzen. Es ist eine wunderbare Verschmelzung von Sternischer Sentimentalität und deutscher Gutmüthigkeit hineingelegt. In unsers Jean Paul’s Quintus Fixlein und anderen ähnlichen Schöpfungen, wo äußere Dürftigkeit mit innerem Seelenreichthum gepaart ist, begegnen uns zuweilen dergleichen Figuren. Aber sie gestalteten sich als armer Poet, von einigen unserer berühmten Schauspieler auf der Bühne dargestellt, in die lebendigste Wirklichkeit. – Viele Anwesende bewahrten mit Liebe das Andenken der überschwenglichen Gemüthlichkeit und Gottergebenen Zufriedenheit in der bittersten Armuth, womit Herr Devrient noch im vorigen Jahre bei einer Reihe von Gastrollen, die er in Leipzig zum Besten gab, als Lorenz Kindlein alles entzückt hatte. Wir können daher Herrn Wohlbrück’s Spiel wohl kein schmeichelhafteres Zeugniß geben, als wenn wir versichern, man habe, als man ihn sah, dadurch, daß man Devrient’s Kunstgebilde neben das Seinige stellte, sich einen neuen Genuß bereitet. Schienen doch beide Künstler zuweilen gemeinschaftlich Ein großes Vorbild vor Augen gehabt zu haben Eins hatte die Natur dem uns heute erscheinenden Künstler verweigert, was Devrient’s Spiele sehr zu statten kam. Seine längere, mehr trockene und schlanke Gestalt schickte sich weit besser zur Armseligkeit des hungernden Wassertrinkers, als Wohlbrück’s feingerundete, wohlgenährte, in allen ihrem Formen tüchtig ausgeprägte Mittelstatur. Es galt also das Kunststück zu machen, was man von Iffland einst rühmte: Breite und Höhe *). Nun, der alte, abgetragene, eng zusammengeknöpfte graue Flausrock mit der blassen Maske und dem herabhängenden Haare half so gut, als möglich, zuspielen.
„Ich glaube, Er gäbe das Herz aus dem Leibe.“ – „O ja! Frau Susanne!“ in diesen Anklängen des ersten Zweigesprächs zwischen dem armen Poeten und der Obsthökin, seiner zungenfertigen Wirthin, die von Mad. Drewitz recht ergötzlich ausgestattet wurde, liegt der ganze Charakter des durch Gewohnheit zu ¦ friedenen, selbst im bittersten Mangel noch Ursache zum Frohsinn findenden Dichters. Daß demüthige Ergebung und sich selbst lieber anklagende Weichheit mit unerschöpflicher Gutmüthigkeit und Milde im Hoffen und Dulden, als Hauptzug in diesem Charakter, von Wohlbrück ganz aufgefaßt und möglichst wiedergegeben wurde, versteht sich von selbst. Er fand überall zwischen Weinerlich und Lächerlich die mittlere Gleichung. Auch entging es ihm nicht, daß in den ersten Scenen allzu große Weichheit unnatürlich wäre. Wahrhaft musterhaft in dieser Rücksicht wurde von ihm die Demonstration gleich Anfangs durchgeführt, wo er die Dürftigkeit seines Hausraths mit dem Zauberstabe der Genügsamkeit berührt. Der Ausdruck: Der Hunger begeisterte mich, erregte so gesprochen doch nur ein leises Zucken zum Lächeln bei den Zuschauern, das Höchste, was er erregen darf. Erst muß den durch Leiden und Entbehren zwar nicht moralisch, doch körperlich Eingeschrumpften eine holde Erscheinung mit dem Himmelsthaue, der in der Traube perlt, erquicken, damit er ganz aufthaue, und in der Mittheilung selig werde. Wegen dieser feinen Abstufung bedarf es für einen Künstler, wie Hr. Wohlbrück, warlich keines Fingerzeigs. Auch hat der Dichter selbst refflich vorgearbeitet. Das Crescendo in Fröhlichkeit und erwachender Lebenslust durch den Wein bis zu dem Ausruf: ich bin lustig und guter Dinge! vergnügte alle Zuschauer in seinem Spiel. Ueberhaupt aber erhielt die lange, das ganze Polychord der Schmerzen- und Freudentöne durchspielende, Erzählung ihr volles Recht. Die zweimal ganz verschieden, und doch ganz angemessen gesprochenen Vermächtnisworte der geliebten, ihm im tiefsten Heiligthum der Seele wohnenden Hedwig: ich folge dir, so bald ich kann! das Erwachen nach der Freudenohnmacht mit dem Ausruf: hab’ ich geträumt? das Aprilwetter im Gesicht, wo Regen und Sonnenschein mit einander kämpfen und ein durchs andere durchbricht, mit dem zwischen Schluchzen recht in Verzückung hervorbrechenden Lachen: ha, ha, ha, ich habe ein Kind! das kindische Anstaunen der geliebten Tochter – mit einer bedeutenden Pause, mimisch und psychisch gleich wahr, dazwischen – und das in steigender Ekstase mit einem Ton, der durch alle Nerven trillte, und in der ganzen Vorstellung nur auf diesem Moment gespart worden war: Vater, Vater! waren Momente, wodurch alle Anwesende elektrisirt werden mußten. Hier feuchteten sich viele Augen und selbst die, welche noch vor dem Aufziehen des Vorhangs über dieß Kotzebue’sche Thränenkrüglein, diesen Lorenz Kindlein, vornehm gespottet hatten, konnten einige Zuckungen der Rührung nicht ganz von sich abwehren.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Aufführungsbericht Dresden: “Der arme Poet” von A. von Kotzebue am 17. März 1817 (Forts. zum 17. 3.; zu Wohlbrücks Gastrollen)
Creation
–
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 75 (28. März 1817), f 2v