Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 30. August 1817 (Teil 1 von 2)

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Am 30. August. Im K. Hoftheater. Rodogüne, Trauerspiel nach Corneille. Zweite Gastrolle von Mad. Schröder, K. K. Hofschauspielerin in Wien.

Noch heute wollen wir es Ifflanden danken, daß er im Jahre 1802 dem früh verblüheten Sohne des Astronomen Bode in Berlin in schöner runder Summe dafür den Ehrensold zahlte, um des großen französischen Tragikers begabstestes Trauerspiel (Corneille gab stets seiner Rodogüne den Kranz) zum Geburtstag des Königs von Preußen zum dritten August zu bearbeiten. Bodes Bearbeitung, nicht Uebersetzung, ist um so gelungner, als der alte Praktikus Iffland selbst seine Rathschläge dazu ertheilte. Gerade heraus gesagt, wir können von einer Bühne nichts halten, wo nicht dieses Stück, angemessen besetzt, jährlich wenigstens einmal mit allem Vorstudium auftritt, das jede Aufführung in der Art fodert. Einige Bitterkeiten, die Lessing in seiner Dramaturgie vor 50 Jahren über die empörende Unnatur dieses damals in Hamburg von den großen Schauspielerinnen, der Mekour und Hensler, in starrenden Alexandrinern tragirten Trauerspiels ausgesprochen hat, treffen Bode’s fein nachhelfende Arbeit nicht. Musterhaft hat er nach Ifflands Rath den Schluß abgeändert. Im Original trinkt Cleopatra den Giftbecher, dessen Wirkung an einen Sklaven erprobt werden soll, in der Wuth der Verzweiflung allein. Rodogüne beweißt dem Antiochus in schulgerechter Schlußfolge, daß sie selbst die Mörderin des Seleucus nicht seyn könne. Sie siegt und feiert hinter der Bühne – die Hochzeit! In Bode’s Bearbeitung opfert auch sie sich aus Liebe für den Geliebten. Welches ist edler? tragischer? Dies Stück wird uns nun stets durch Mad. Schröder als Cleopatra und durch die sie trefflich unterstützenden Leistungen unsers Künstlervereins ein Fest in der Erinnerung bleiben.

Wir haben bei einer früheren Aufführung dieses Stücks auf unsrer Bühne (am 10. Dec. 1816) dem Spiele unsrer Hartwig als Cleopatra die gerechteste Anerkennung widerfahren lassen. „Schlangenlist und Mordlust, nach Blut lechzend, wechselte im Geiste des Dichters in gräßlicher Wahrheit. Mildern durfte sie nicht. Wir erstaunten über den Umfang der physischen Mittel, die ihr zu Gebote stehn.*)“ Eben so gerecht sey jetzt der Beifall, den wir in Anerkennung dieser neuen seltenen Kunstleistung der ersten tragischen Schauspielerin, die unter den Lebenden uns bis jetzt bekannt wurde, nach dem einstimmigen Urtheil aller Kunstfreunde, die wir darüber vernahmen, laut auszusprechen uns gedrungen fühlen. Auch Mad. Schröder verschönert oder mildert nichts in den Zügen die der Dichter dieser Rachfurie leiht. Nur physisches oder intellectuelles Unvermögen könnte so etwas sich zu Schulden kommen lassen. Aber indem sie mit einer eignen Klarheit und plastischen Wahrheit des Spiels uns gleich Anfangs und besonders in der Rede vom Thron an ihre Söhne die Motive ihrer Rachsucht – grenzenlose Herrschsucht – recht deutlich erblicken läßt, hört sie auf, ein Ungeheuer, ein Teufel aus bloßer Rachgier zu seyn. Wir begreifen sie; die Unnatur, die Lessing dem Urbild im Französischen vorwirft, schwindet. Solche Cleopatren sind uns mehr in der Geschichte begegnet. Mad. Schröder spielt durchaus in grandiosen Formen wahrhaft vornehm. Die verruchteste Verstellung besitzt sie eben darum auch ganz vollkommen und fällt nie aus dem Takt. Nicht eine einzige unedle Mißgeberdung. So alles gestaltend kann sie, die Hölle des Giftes im Leibe, noch einmal sich ¦ aufraffend – es war nach einer grauserweckenden Pause ein herrlicher Moment – halbröchelnd rufen: führe mich hinweg, auf daß ich herrschend sterbe. Wie winkt sie gleich in der ersten Scene der ihr betrauten, aber untergeordneten, Laonice. Ihr: tritt näher, ihr: reiche mir die Hand, wie herablassend und doch gar nicht hoffärthig, nicht einmal stolz! Das ist der Rahmen, in dem nun das Bild, wie in Erz gegraben, dasteht. Mad. Schröder entwickelte heute alle Kunst der Mimik und Declamation. Wir verstanden nun, was uns als Kunde zugekommen war, daß sie in eignen Darstellungen jede Leidenschaft steigernd zeichnen und in jeder Abstufung festzuhalten vermöge. Und ihre volle austönende Stimme, ihre nicht syllabirende, aber alles klar betonende, in Höhe und Tiefe gleich vernehmliche Aussprache! Man könnte sagen, sie habe für jede Gattung und Ueberschwebung des Affects ihre eigne Tonleiter, anders für den Schmerz, anders für den Hohn, anders für den Stolz u. s. w. Nur ein einzigesmal ist sie in der Tiefe unverständlich gewesen. Das ist sehr viel in einer solchen Rolle! Einmal sprach sie ohne Klang halbleise, und doch war es durchweg hörbar. Vorzüglich hat uns in ihrem Geberdenspiel das gefallen, wie sie, durch Fehlversuche ergrimmt, in sich selbst eingedrängt und auf neue Mittel brütend, den Purpurmantel um sich wickelte und fest an sich zog. Der Zorn concentrirt sich, wie etwa der Löwe sich zusammenkrümmend auf die Hintertatzen stellt, um desto gewaltiger anzuspringen. Denn vom Löwen erhielt ja, nach der alten Promethues-Fabel, der Mensch die Zornsucht. Dürften wir, wie man von einem Glanzgewande ein Hälmchen abliest, eine Kleinigkeit bemerken, so wünschten wir in derselben Geberdenreihe, wo diese Einwicklung auch vorkam, das Ineinanderfalten der Hände weg. Wir sind hier im Alterthum. Die Alten kannten dies Einflechten der Finger in Finger, womit wir zu beten und die Hände zu ringen pflegen, nicht anders als zur Bezeichnung eines hemmenden oder gar bezaubernden Geistes. – Als ein vollendetes Tableau erwähnen wir hier noch im letzten Akt die Scene mit dem Giftbecher. Auch die französischen Schauspielerinnen thaten sich von jeder viel zu Gut auf dieses Aufheben und Niedersetzen des Bechers mit dem berühmten Vers: Poison, me sauras – tu rendre mon diadême? – Und dies Diadem sahen wir an der einfachen aber edel drapirten Künstlerin wirklich ganz im Geiste der Antike bloß als ein weißes Band über die Stirne so umgelegt, daß dahinter erst das Haar und auf dem Hinterkopf in schiefer Abneigung die Krone zu sehen war.

Ihr erstes großes Spiel fanden wir in der vordersten Audienzscene, wo ihr die zwei Prinzen kniebeugend die Huldigung darbringen. Sehr verständig hatte sie den Königsstuhl vorn an’s Proscenium links auf zwei Stufen setzen lassen. Vorschriftsmäßig thront Cleopatra hinten und die Prinzen kniebeugen rechts und links am Throne. Dies hat viel Unbequemlichkeiten. Wie es unsere Künstlerin einrichten ließ, sahen wir beide Prinzen im Profil. Nun wirkt der Mutter leidenschaftliches Aufstehen, Herabsteigen, das Blitzen ihrer Dolchblicke auf die Unentschlossenen, der Stachel ihres Blutbefehls, weit näher, gewaltiger. Noch größere Mittel entwickelte sie im dritten Akt, in der fruchtlosen Bearbeitung ihrer Söhne zu Rodogünens Ermordung. Man muß es sehen, wie sie, nach einer augenblicklichen Pause, voll des seelenvollsten Mienenspiels, auf einmal die Maske des erwachten Muttergefühls annimmt, wie sie das noch den Nachwehen des Zorns gedämpfte, aber schon schmelzende: Ha, wer lehrte Dich der Bitten Zauberkünste? nur zur Einleitung einer noch schmelzendern Rede mit malerischer Pause macht.

(Der Beschluß folgt.)

[Original Footnotes]

  • *) Scherz und Ernst oder der alte Freimüthige. (Berlin 1816.) Nr. 87. 88. 90. im Decemberheft

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden: “Rodogüne”, nach Corneille, am 30.8.1817 mit S. Schröder a.G.

Creation

vor 10. September 1817

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 217 (10. September 1817), f 2v

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