Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 30. August 1817 (Teil 2 von 2)

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Rodogüne. (Fortsetzung.)

Aufmerksame, gefühlvolle Zuhörer an unserer Seite, die den Gang des Stücks nicht kannten, athmeten wirklich frei auf, weil auch sie glaubten, das Ungeheuer sey gezähmt. Aber die wahre Vollendung erhält alles erst, als sie nach der heimtükisch-freundlichen Frage: Liebt Rodogüne Dich? die letzte Gewißheit ihrer Niederlage erhält. Da sah man im augenblicklichen Wechsel den Kampf aus der Brust heraufquellen und zurückgedrängt verschwinden. Eben so malerisch und wahr spielte sie den Unglauben in der Unterredung mit Seleucus. Es muß ihr, der solcher Edelmuth eine Fabel ist, unglaublich vorkommen, daß alle ihre Giftpfeile, alle ihre Reizmittel zur Eifersucht und Rache an so heroischer Bruderliebe abprallen. Alle kaum zurückgehaltene Zornwuth, bricht nun in der Abgangsscene aus, in schnell und schneller fortrollenden Tönen, ein wahres Donnerwetter. Immer wird uns ihr Abgang selbst, wie sie Medeen-artig mit der gehobenen Hand den gezückten Dolch zu schwingen scheint, unvergeßlich seyn. Der Monolog, womit der letzte Akt beginnt, war ein Meisterstück in Darstellungen kaltberechnender Tücke; die Schlangenfreundlichkeit, womit sie allerdings auch Rodogünen bestrickt zu haben scheint, ist unwiderstehlich; aber den Kranz setzt sie sich auf im aufhorchenden, lauschenden Geberdenspiel und in der ausdrucksvollen Haltung des Körpers, als sie durch Timagens Aussage sich immer näher am Abgrunde erblickt. Welchen durchbohrenden Blick sie da aus dem gesenkten Haupte hervor schießt, welch ein teuflischer Triumph sich in ihrem Gesichte malt, als sie erfährt, daß der Name des Mörders auf des Ausathmenden Lippen erstarb, kann nie der Griffel versinnlichen! Aber das größte Spiel von allen, was uns dieser Abend bewundern hieß, war und bleibt doch der kleine Monolog, in der Zwischenzeit gesprochen, wo, nach dem Abgang des Antiochus, sie den jüngern Sohn erwartet und der mit den Worten beginnt:

Das sind des Zornes Thränen, die ich weineNicht des Erbarmens – Ha, ich bin allein!

Der Schauer, der bei diesen Worten alle Zuhörer durchbebte, lösete sich bald in ein ehrenvolles Klatschen und Rufen auf, der Vorbote des Rufs, womit man der Künstlerin nach gesenktem Vorhange die letzte Huldigung darbrachte und die sie mit so viel Anmuth und Verbindlichkeit zu erwiedern wußte.

Wir dürfen aber bei dieser fast an Begeisterung grenzenden, von Lesern, die nicht Zuschauer waren und sympathetisches Herzpochen fühlten, leicht der Uebertreibung zu bezüchtigenden Andeutung, auch das einheimische Verdienst nicht zu ehren vergessen. Wenn schon alle übrigen Mitspielenden, besonders aber auch Hellwig als Antiochus, der schöne Momente hatte, und oft im herzzerschneidenden Tone des Jammers uns ergreifend berührte, – sein Mutter, Mutter! tönt uns noch jetzt in’s Ohr; und Demois. Christ als Laonice mit wohlgemessener Declamation und verständigem Zuspiel unsern Dank verdiente, und sich durch eine feierliche Stimmung heut besonders angeregt zeigte: so gebührte Mad. Schirmer in der schwierigen Rolle der Rodogüne doch unstreitig der zweite Kranz und die lebhafteste Anerkennung, die ihr, wenn bescheidene Scheu bei der Vorstellung selbst weniger laut wurde, doch gewiß jeder, der sich des Besitzes einer solchen Künstlerin für unsere Bühne freut, herzlich weihete. Sie übertraf sich selbst an Fülle, Rundung und Tiefe des Spiels, und zeigte, was weise Mäßigung und Vertheilung der Kräfte auch bei minderm Umfange physischen Vermögens thun kann. Die ganze Rolle hat selbst im Original etwas Zweideutiges, und es ist ¦ schwer, zu bestimmen, ob sie überhaupt mehr haßt, oder mehr liebt. Durch das Spiel unserer Künstlerin wird psychologische Einheit in diesen Widerstreit gebracht. Mit feiner Besonnenheit trat sie im ersten Akt noch ganz verhüllt im langen Schleier auf. Ist doch hier selbst ihr Inneres noch unenthüllt. Das schön erfundene und geordnete Costum zeigt sich unverschleiert in den übrigen Akten. Rodogüne liebt den Antiochus wirklich, und ist keineswegs eine liebäugelnde Furie, wie Lessing diesen Charakter bezeichnet. Darauf muß also auch schon ihr Spiel im ersten Akt vorbereiten. Unsere Künstlerin wußte dies durch Mimik und Ton schon in der Vertraulichkeitsscene mit Laonice fein anzudeuten. Einen schönen Moment hatte sie, wo sie in der Unterredung mit Oront ausruft: die Götter wissen nichts von mir. Hier hätte ein falscher Pathos alles verdorben. Das himmelwärts gehobene Auge sprach wehmüthige Klage, und so machte die Senkung des Blicks zur Erde bei den letzten zwei Versen einen um so tiefern Eindruck. Den Monolog im dritten Akt stattete sie diesmal mit noch weit größerer Kraft aus und gewann dadurch den verdientesten Beifall. Erschütternd war die Visionsscene, wo ihr der Geist des erschlagenen Nikanors die blutigen Locken entgegen schüttelt. Dabei ward uns Lessings Bemerkung auf’s neue lebendig, daß, wenn nur der Schauspieler seiner Kunst gnügt, der Geist selbst gar nicht über das Theater zu schreiten braucht. Das Gespenst muß durch den Schauspieler von uns gesehen werden. So war es hier wirklich. Mad. Schirmer steigerte das Entsetzen durch eine doppelte Abstufung. Die französischen Schauspielerinnen, die Stufenleiter des Erschreckens zum Entsetzen, des Entsetzens zum Erstarren (man denke an Sluiters Schreckensmasken im Zeughause zu Berlin,) sogleich überspringend, das Entsetzliche durch zuckende Verzerrung überbietend, stürzen in dieser Scene ganz zu Boden. Haben wir doch auf dieser Bühne selbst die berühmte Georges, dem hochgefeierten Talma gegenüber, in der Semiramis die Erscheinung des Geistes als Ninus in so argen Verzuckungen und Niedersturz tragiren sehen. Unsere Künstlerin verschmähte diesen Effect durch falsches Prallicht. Im höchsten Moment ruht sie doch nur mit einen Knie auf dem Boden. Noch mehr wäre baare Unnatur bei einer bloßen Vision gewesen. Wie lieblich contrastirte sie damit auf der andern Seite in eben diesem Monolog die Hinneigung zu dem Geliebten, den sie noch nicht den stillen Mauern zu nennen wagt. Der Kampf zwischen der Klugheit (nicht Rache, man darf nur Corneilles eigne Erklärung darüber in den Examen du Rodogune lesen), und die Liebe in der ersten Scene des vierten Aktes gelang ihr vorzüglich, weil die Hingebung in die Leidenschaft noch feuriger und zärtlicher gegeben wurde, als sonst, ein sichtbarer Commentar zu den von ihr meisterhaft gesprochenen Worten: das Weib ist schwach und Sieger bleibt der Mann. Verständiges Einbringen in den Sinn des Dichters bewieß das Spiel und der Vortrag in den mit höchster Aufregung und Angst zu spielenden Worten am Schlusse dieser Scene, die ohne ein solches Spiel völlig räthselhaft bleiben. Wie beredt ist am Schlusse des Stücks ihr Verstummen als Ausdruck des stolzen Selbstbewußtseyns und hochherzigen Verachtung gegen die giftige Gauklerin ihr gegenüber. Und so vollendet die rührende Weichheit, womit sie die Worte zu Antiochus; Du bist es, ich vergebe! in diesem von Bode so zweckmäßig abgeänderten Schlusse ausspricht, das wahrhaft tragische Gemälde, das nur die sich opfernde Rodogüne aufstellen kann. – Möge es der Direction, der wir so gern diesen Genuß verdanken, nicht unstatthaft erscheinen, ein solches Stück bald wieder aufzuführen! Mad. Hartwig gehört nicht zu den Schauspielerinnen, die kein fremdes Verdienst in sich aufzunehmen vermögen. –

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden: “Rodogüne”, nach Corneille am 30.8.1817 mit S. Schröder a.G.

Creation

vor 11. September 1817

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 218 (11. September 1817), f 2v

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