Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Der Abend am Waldbrunnen” von Friedrich Kind am 11. Januar 1819 (Teil 1 von 2)

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Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.

Sonntags, am 10. Jan. Sappho.

Montags, am 11. Jan. Zum erstenmal: Der Abend am Waldbrunnen. Dramatisches Idyll in einem Akt, von Fr. Kind.

Nur ein Thor wünscht, daß allen Bäumen einerlei Rinde wachsen soll. Nichts wäre einseitiger, als eine Gattung des Drama’s darum hintansetzen zu wollen, weil sie nicht in dem gewöhnlichen Theater-Rahmen gefaßt ist. Nur die langweilige trifft die Bannformel. Das idyllische Drama ist so alt, als die griechische Bühne selbst, und stand in gleichem Range mit dem Trauer- und Lustspiel. Wir besitzen in unserer Königl. Antikengallerie ein Marmor-Relief, wo die drei Gattungen des griechischen Schauspiels durch die drei characteristischen Masken nebeneinander angedeutet sind. Da bezeichnet die Silenus-Maske das ländliche Drama. Die sogenannte Satyr-Handlung (drama satyricum) spielt stets außer der Stadt, in Land- und Waldgegenden. Es ist freilich in neuern Zeiten als arcadisches Schäferspiel sehr fad und lächerlich geworden. Als Torquato Tasso und Guarini ihre berühmten favole boscarecchie dichteten, war das noch nicht so. Es hat aber auch nicht an gelungenen Versuchen gefehlt, das idyllische Drama in seine alten Rechte wieder einzusetzen. Wer erinnert sich hier nicht an Göthe’s Jery und Bätely? So müssen wir es einem unserer geistreichsten und gemüthvollsten Dichter, dem Hofrath Friedrich Kind, großen Dank wissen, daß auch er, dem schon weit größeres gelungen, uns neuerlich mit einem zierlichen Scherz-Spiel der idyllischen Gattung beschenkte, und uns freuen, daß fast zu gleicher Zeit die Leipziger und Dresdner Bühne durch eine sehr fleißige und gelungene Aufführung den unwiderleglichen Beweiß geführt haben, es könne ein solches Stück nur durch Fehlgriffe in den äußern Mitteln, in der Besetzung und Darstellung, seinen Zweck verfehlen, zu ergötzen und zu unterhalten. Auf den genannten beiden Bühnen ist das Stück von den vorzüglichsten Künstlerinnen mit großer Liebe aufgeführt und die Scenerei verständig und malerisch angeordnet worden. Allein dieß alles hätte höchstens dem Stücke Duldung verschafft. Es erhielt Beifall, weil auch der Dichter es mit seinem Geiste freundlich ausgestattet hatte, weil seine Fantasie die lieblichen Gruppen und Bilder, die uns hier erschienen, im voraus erschaffen, weil seine Dichtung selbst durch reinen Versbau und Wohlklang den Schauspielern es möglich gemacht hatte, uns durch Spiel und Vortrag eine halbe Stunde lang auf’s anmuthigste zu unterhalten.

Das Stück selbst ist bereits im dritten Jahrgang des Müllner’schen Almanachs für Privatbühnen abgedruckt, und also gewiß in aller wahren Theaterfreunde Händen. Röschen, ein Landmädchen, Dem. Tilly, Dorchen, ein Strohflechtermädchen, Mad. Schirmer, belauern einander an einem Brunnen im Gehölze, unfern des Dorfs, beim Sonnenuntergang eines warmen Sommertages. Das sittsam schüchterne Dorchen erwar¦tet hier ihren geliebten Ferdinand, Herrn Wilhelmi, einen wackern Jäger, der aber, um einem jüngern Bruder auf der Schule Vatersstelle zu vertreten, noch keinen Herathsantrag machen konnte. Das schalkhafte Röschen erpreßt durch ihre unabtreibliche Ausdauer beim Brunnen von Dorchen das Geständniß ihrer Liebe. Ein fremder Knabe, Dem. Julchen Zucker, ein Citherschläger, tritt hervor und singt den anfangs am Brunnen lauschenden, dann sich ihm zu erkennen gebenden Mädchen eine passende Romanze vor, und versteckt sich, als ihn die Mädchen forttreiben, hinter das Gebüsch am Brunnen. Jetzt kommt Ferdinand, Dorchen spielt Versteckens in einer hohlen Weide, die im Mittelpunkt angebracht ist, hört nun selbst Ferdinands Geständnisse, die Röschen ihm abzulocken weiß, springt hervor und wird, da zugleich der Knabe auch hervortritt und sich als Ferdinands Bruder durch eine ihm in der Stadt geschenkte Geldsumme zum Vermittler macht, die glücklichste Braut. Aus diesem rein idyllischen Stoff wußte die Fantasie des Dichters eine Reihe lieblicher Gemälde hervorzurufen, die so lebendig ergriffen und ausgeführt, wie bei uns der Fall war, auf feinsinnige und zartfühlende Zuschauer, die aus dem Getümmel der tragischen, aus dem Gelächter der komischen Bühnenwelt sich gern einmal in der naiven Fröhlichkeit ländlicher Sitte und Unschuld flüchten möchten, ihre Wirkung gar nicht verfehlen konnte. Dorchens schüchterne Liebe ist der Hauptpunkt der kleinen Fabel. Ihr Spiel ist also entscheidend. Mad. Schirmer wußte auch in der That durch ihre musterhafte Darstellung ihre Rolle zur ersten zu erheben. Dorchen ist durch die Liebe, so lange als sie noch in Ungewißheit schwebt, weit befangener, aber eben dadurch auch schon würdiger und überhaupt das feinere, klügere Mädchen. Unsere Künstlerin zeigte ihre Einsicht besonders in den leisen Ueberschwebungen von Ungeduld und Unmuth zur Gutmüthigkeit und munteren Hingebung in den Anschlag der Kleinen. Dagegen ist die jüngere, Röschen, in ihrer Unbefangenheit kindlich vorlaut, neckend, vorwitzig. Dadurch scheint sie die vorherrschende Rolle zu haben, tritt aber bei der erfolgten Aufklärung natürlich zurück. Sie reicht auch nur die Wange zum Kuß dar. Damit wollen wir indeß keineswegs sagen, daß nicht Röschens Rolle, in aller Feinheit und Laune des Muthwillens durchgeführt, noch weit ansprechender sey, als jene. – Mad. Schirmer übertrifft sich selbst in der Scene, wo sich Dorchen in der hohlen Weide versteckt. Was dem überall plastischen Dichter doch nur als Fantasiegebilde erschienen war, bringt sie zur ergötzlichsten Anschauung, eine umgekehrte Metamorphose. Dort im Ovid werden Mädchen in Bäume verwandelt, hier klettert, wächst aus dem Baume ein Mädchen hervor. Man muß es selbst sehen, wie sie erst seitwärts guckend den Stamm umklammert, dann oben hervorlauscht, dann mit dem ganzen Oberleibe den Arm zwischen die Aeste breitend emporragt. Das kann sehr bäurisch ausfallen. Aber hier ist es rein-naiv.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Der Abend am Waldbrunnen” von Friedrich Kind (Teil 1 von 2). Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 19 (22. Januar 1819), f 2v

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