Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Der Abend am Waldbrunnen” von Friedrich Kind und “Das Landleben” von Steigentesch am 11. Januar 1819 (Teil 2 von 2)

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Der Abend am Waldbrunnen.

(Beschluß.)

Dem. Tilly spielte ihr Röschen ungemein lieblich, und ihre Munterkeit steht ihr wohl an. Ihre weiche Sprache, wenn sie vor einer gewissen Manier sich bewahren will, wird stets viel Gefälliges und Einschmeichelndes haben. Uebrigens hat ihr der Dichter, so klein die Rolle ist, Raum zur Entwickelung des mannigfaltigsten Spiels gegeben. Was läßt sich aus muthwilligen Nothbehelfen, aus dem Schreck vor der vorgeblichen Schlange, aus dem Haschen nach dem Libellen-Pärchen, wo sie stolpern sollen, aus der verliebtscheinenden Neckerei mit Ferdinand nicht alles machen? – Julchen Zucker gefiel, wie immer, auch als Knabe und Zitherschläger. Doch mag auch die fertige Sängerin ihren Theil an dem Beifall haben, der auch ihr in der heitern Stimmung des Publikums ward. Hätte sie von hinten hervorsingend auftreten können, wie es in Leipzig gespielt wird, so würde manches noch runder geworden seyn. Beim Sichtbarwerden hinter dem Waldbrunnen ließe sich vielleicht noch manche Feinheit anbringen. Der Knabe muß gleichsam ein Wassergeist scheinen, der sich aus dem Brunnen erhebt. Der Dichter hat es angedeutet. – Hr. Wilhelmi als Ferdinand griff durch Spiel und Vortrag recht harmonisch ein. Rauschendes Beifallklatschen kann hier niemand erwarten, wiewohl auch diese Zeichen nicht ganz ausblieben. Aber es herrschte durchaus eine fröhliche, anerkennende Stimmung. Dichter und darstellende Künstler hatten gleichen Theil daran. Liebliche Gruppirungen, wie gleich Anfangs, wo die beiden Mädchen ihre Geschenke ausgetauscht haben und nun, um sich wie Zieräffchen gegenseitig zu purten, gar vor einander niederknieen, die anmuthigen Brunnenbilder, wo Dorchen schöpft, Röschen sich spiegelt, das eine der andern gleichsam im Schoß sitzt, zeigen von dem feinen Sinn der Schauspielerin, die dies im Geiste des Dichters so ordnete, und gehören ganz eigentlich in eine Gattung, in welcher Salomo Geßner ein eben so geistreicher Dichter als Zeichner war. Das Costüm erinnerte an die Schweiz, ohne doch der Grazie Abbruch zu thun, was strengere Nachahmung leicht verschuldet. Die Scenerei, besonders die Brunnen-Decoration, war frisch und malerisch, die hervorschimmerne Abendbeleuchtung täuschend. Möge uns noch oft ein ähnlicher Genuß zu Theil werden.!

Hierauf folgte das Landleben, Lustspiel in 3 Akten, von Steigentesch, welches, obgleich schon lange gedruckt, auf unsrer Bühne heut zum erstenmal gegeben wurde. Es haben sich Stimmen unter uns vernehmen lassen, welche behaupten, dies Stück sey gar nicht von dem geistreichen Erzähler und Lustspieldichter, dem jetzigen General von Steigentesch. Wir kennen in der That die dramatische Muse dieses Welt- und Menschenkenners von einer weit angenehmern und leibenswürdigern Seite, als sie uns in diesem Landleben erschien, wo der erste Akt weit mehr verspricht, als die zwei übrigen leisten. Besonders mißfielen die verworrenen Wald- und Duellscenen im dritten Akt so sehr, daß sich am Schluß einige Zeichen dieses Mißfallens verneh¦men ließen. Das Ganze ist ein sehr leicht hingeworfenes Machwerk voll Reminiscenzen und verbrauchter Situationen, das nur durch die sorgsamste Pflege und das rundeste Spiel – im dritten Akt überschrie sich diesmal der Soufleur – aufrecht erhalten werden könnte. Dann würden wir einzelne Scenen, wie die sehr gut gegebene, wo die Nichte Amalie (Mad. Schirmer) den schwindsüchtigen Kammerherrn zum Besten hat, und manche Kraftäußerungen des Jagdjunkers von Ebersbach (Hrn. Helwig’s), der auch einmal dafür beim Abgang lauten Beifall erhielt, dem Stück, dem es doch nicht an einzelnen, gelungenen Witzspielen fehlt, gewiß noch mehr Anerkennung verschafft haben. Ein Nachtheil solcher Versuche ist, daß durch die Carikatur, die oft mehr hinein gelegt wird, als darin ist, das feinere Lustspiel, woran wir doch wahrhaft Mangel leiden, immer mehr zurückgedrängt, und die vornehmer gehaltene Darstellung desselben immer seltener wird.

Böttiger.

Donnerstag, den 12. Jan. Die Elster, nach dem Franz. bearbeitet von Th. Hell, in 3 Akten. Das an sich los zusammenhängende, wenig motivirte Stück, da ja ein Schubfach nach dem andern darin aufgezogen wird (pièce à tiroir) und das ganze Interesse sich auf einen bekannten Criminalfall bezieht, der freilich in der Wirklichkeit weit schlimmer endigte, gefällt bei uns bei jeder wiederholten Aufführung durch ein sehr fertiges Zusammenspiel, wobei auch die kleinen Rollen, wie die der zwei Väter, des wackern Gervais und des Evrard, ihr Recht erhalten, und durch die ergreifende Wahrheit, womit die falsch beschuldigte Annette von Mad. Schirmer vorgestellt wird. Auch diesmal floß der hartbedrängte, guten Tochter manche Thräne. Die erste Scene mit dem Amtmann und die steigende Angst beim Löffelzählen gelangen vorzüglich. Mad. Hartwig spielte den Pathen Blais fort mit seiner beweglichen, aber etwas täppischen und einplumpenden Gemüthlichkeit auch diesmal wieder zur allgemeinen Zufriedenheit. Es sollte uns leid thun, wenn durch die gazza ladra auf dem italienischen Theater und andrer Umstände wegen dies Stück zurückgelegt würde. Es wird, so besetzt, noch oft unterhalten.

Böttiger.

Mittwoch, d. 13. Jan. Die Posse von Schall: Trau, schau, wem? und Inganno felice, von Rossini. In der ersten freuete man sich, Hrn. Julius, der von einer Kunstreise nach Breslau zurückgekehrt ist mit aller Selbstgenügsamkeit eines verzogenen Zierbengels von vornehmem Geschlecht, auf der Gartenbank seine Bequemlichkeit pflegend, und Mad. Hartwig in der chargirten Rolle der Generalin, mit der vielbelachten Ausstattung von Beliebtheit und After-Vornehmheit herumwatscheln zu sehn. Das Publikum, welches dabei mehr lachte als klatschte, schien wirklich dabei einen Wechselbrief auf Leipzig ziehen zu wollen, wo die von uns allen hochgeachtete Künstlerin in dieser Rolle vor kurzem den lautesten und wiederholtesten Beifall während ihres Gastspiels erndtete.

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Der Abend am Waldbrunnen” von Friedrich Kind und “Das Landleben” von Steigentesch (Teil 2 von 2). Danach über “Die Elster” von Winkler, “Trau, schau, wem?” von Schall und “Inganno felice” von Rossini. Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 20 (23. Januar 1819), f 2v

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